Ein Seufzer entschlüpfte der Brust der Duena; sie hob die Hände empor und sprach:
– Und solch’ einen Mann, die Güte und Liebe selbst, müssen wir hintergehen! Gott vergebe es uns, Senora; wir thun großes Unrecht!
Die Edelfrau ließ ihr Haupt auf die Brust sinken; sie schien von der Bemerkung der Duena niedergedrückt zu werden. Endlich antwortete sie traurig:
– Wir thun Unrecht, sagst Du? Leider! es ist vielleicht wahr; aber ist es möglich diesem Schicksal zu entfliehen? Ich bin unschuldig, Du weißt es – und eher stürbe ich vor Schaam ehe ich einem einzigen unedlen Gedanken in meinem Herzen Zugang verstatten würde . . . und doch muß ich leiden und unter den Verdacht gebeugt einher gehen.
Einen Augenblick schwieg sie, dann aber fuhr sie fragend fort:
– Soll ich ihm Alles entdecken, Ines?
– O, was sagt Ihr da, Senora!
– Sieh, Ines, ich liebe den Grafen so wohl aus Neigung wie in Folge meiner grenzenlosen Dankbarkeit. Die Ueberzeugung, daß ich ihn hintergehen muß, ist für mich eine Hölle voll Schmerz und Pein: es giebt Augenblicke, in denen ich ihm Alles entdecken könnte.
– Hütet Euch wohl davor, Senora; das spanische Blut würde dann gewiß – und mit Recht – die Oberhand gewinnen. Sein Leben würde von einer für ihn gräßlichen Gewißheit vergiftet werden und Ihr selbst könnt nicht voraussehen, was in diesem Falle Euer Loos sein würde. Es wäre besser wieder nach Spanien zurückzukehren und zu vergessen warum wir nach den Niederlanden gekommen sind.
Diese letzten Worte der Duena machten auf die Edelfrau einen sehr peinlichen Eindruck; als wenn ihr ein Hohn geschehen, erhob sie sich mit würdigem Stolz und, indem sie der alten Frau einen finstern Blick zuwarf, sprach sie:
– Wie darfst Du davon sprechen, Ines? Abreisen ohne sie zu sehen? Du spottet sicher, denn besser als ich weißt Du daß dies unmöglich ist – Komm, meine Haube . . . wir gehen!
In der Gasthuisstraße steht ein Haus mit seltsamem, gothischem Giebel, dessen oberstes Fach mit einer symbolischen Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit geziert ist. Ueber der Hauptthür befindet sich ein in erhabener Bildhauerarbeit ausgeführtes Gemälde, eine Anzahl junge Mädchen vorstellend, die von einer Mutter oder Lehrerin unterrichtet werden, wie auch einige Waisen an der Thüre des Stifters. Unter dieser kunstvollen Bildhauerarbeit liest man folgende Erklärung über den Ursprung und Zweck des Mägdehauses:
Vor diesem Hause war es, wo die Gräfin d’Almata am frühen Morgen mit ihrer Duena sich zeigte. Diese Letztere hob den eisernen Thürklopfer empor und ließ ihn niederfallen, daß der Schlag im Innern des Hauses wiederhallte.
– Nun, Senora, sprach sie unterdessen hastig zu ihrer Gebieterin, um Gottes Willen bezwingt Euch; man könnte aus Eurem Gesicht errathen, was Niemand auch nur vermuthen darf.
Die Edelfrau antwortete nicht.
Einen Augenblick später öffnete ein Waisenmädchen, was ein großes Bund Schlüssel an der Schürze trug, die Thür. Die Kleine sah ungemein fröhlich aus; ihre ganze Kleidung war so nett und rein, Schürze, Kape, Mützchen und Vorärmel waren von Leinwand, aber so blendend weiß und so glänzend, daß das Mägdlein für einen lebendigen Beweis der Reinlichkeit, der Sorgfalt und der kundigen Arbeit, die das Institut auszeichnete, gelten konnte.
– Was beliebt der Edelfrau? fragte das Mägdlein mit freundlichem Lächeln.
– O! Du liebes Kind! rief die Senora wie bezaubert, während sie die Kleine freundlich am Kinne faßte. – Sie griff in die Tasche und zog nach kurzem Suchen einen silbernen Fingerhut hervor, den sie der Kleinen zum Geschenk machte.
– Nimm das, mein Kind, weil Du so freundlich bist und nett. – Ich komme um hier einige schöne Spitzen zu kaufen.
– Dank Euch, Dank Euch, Edelfrau, antwortete das Mädchen. Wir haben sehr schöne Spitzen. Beliebt hier in dieses Zimmerchen zu treten. Und unter die Thür schreitend rief sie nach oben:
– Frau Mutter, Frau Mutter, kommt schnell herab! Hier ist eine schöne Edelfrau, die Euch zu sprechen verlangt! Einen Augenblick später erschien eine Frau von vielleicht vierzig Jahren im Sprachzimmer. Gesundheit und Gemüthsruhe spiegelten sich in ihrem Angesicht und ihre ganze Erscheinung zeugte von Güte und Frieden. Sie verneigte sich vor der Senora, und bot ihr höflich einen Sessel an.
– Welche Ehre, edle Frau, sprach sie, daß die Gräfin d’Almata unser Haus und eine armen Waisen eines Besuches würdigt! Worin können wir Euch dienen?
– Wohlan, Frau Mutter, ich wünsche einige schöne Spitzen zu kaufen und bei dieser Gelegenheit eine Stiftung zu sehen, die so berühmt ist ob ihrer Reinheit und ihrer Zucht.
Die Mutter öffnete hastig eine große Lade und breitete große Stücke Spitzen vor den Augen der Edelfrau aus. Diese jedoch konnte ihre Ungeduld nicht bezwingen.
– Ja, sprach sie, die Spitzen sind außerordentlich schön und ich werde deren gewiß kaufen; wollt Ihr aber, Frau Mutter, nicht die Güte haben mir vorerst Eure Waisen zu zeigen wenn sie bei der Arbeit begriffen sind?«
Ohne dieser Bitte die schuldige Aufmerksamkeit zu schenken, fing die Mutter plötzlich an die Senora verwundert zu betrachten, und zwar in einer Weise, die keineswegs von Unhöflichkeit frei zu sprechen war.
– Wohlan, Frau Mutter, sprach die Gräfin, Ihr antwortet mir nicht?
– Verzeiht, edle Frau, erwiderte diese, ach Gott, wo sind meine Sinne! Ich war ganz zerstreuet! . . . Es ist doch sonderbar!
– Was ist’s denn, was Euch so sehr überrascht? fragte die Senora fast zitternd.
– Nichts, nichts, eine Aehnlichkeit . . . aber, mein Himmel, wie ich auch nur daran denken konnte! – Habet die Güte mir zu folgen, edle Frau!
Sie führte beide Frauen über einen viereckigen Hof nach dem Hintergebäude, wo die Waisen sich befanden.
– Cuidado, Senora! (Gebt acht!) flüsterte unterwegs die Duena ihrer Herrin mit Nachdruck in das Ohr.
Der Saal, in welchen die Gräfin von der Mutter geführt ward, war von arbeitenden Mädchen verschiedenen Alters angefüllt.
Sie waren alle gleich gekleidet: ein schwarzer wollener Rock, ein blaues wollenes Leibchen mit plattem weißem Krägelchen, eine schneeweiße Schürze und ein schwarzes Sammtkäppchen, dies war ihr ganzer Schmuck. Das Haar war hinten aufgebunden und in das Käppchen gefaßt, so daß die Stirn ganz frei und sehr erhaben erschien. Bei der Arbeit trugen sie, um die Aermel ihrer wollenen Leibchen vor zu schneller Abnutzung zu bewahren, leinene Vorärmel.
Die Meisten waren mit Spitzenklöppeln beschäftigt, Andere nähten oder zeichneten Wäsche, strickten bunte Wolle oder stickten mit Seide und Gold