Die hölzerne Clara. Hendrik Conscience. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hendrik Conscience
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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      Die hölzerne Clara

      I

      Meine Nichte Frederika, die kleine, liebe – Gott sei ihrem armen Seelchen gnädig – fragte mich oft mit thränenden Augen, warum ihre Mitschülerinnen immer spottend sagten: »Du stehst da wie die hölzerne Clara.« Sie wußte so gut als ich, daß hölzerne Clara der Name eines Bildes war, was an der Treppe des Antwerpner Mägdehauses (Waisenhaus für Mädchen) stehet, aber sie hätte gern von mir erfahren wer diese Clara gewesen ist, und was ihr Name bedeutet.

      Ich konnte damals ihrem Wunsche nicht entsprechen und mußte sie ungetröstet und ohne Antwort lassen.

      Längst ruhete mein Nichtchen schon auf dem Kirchhofe zu Stuivenberg und das Kreuzchen auf ihrem Grabe war schon verfallen und verschwunden, als ich, von poetischer Begeisterung dazu getrieben, endlich anfing mit Ernst und Ausdauer die alten Volkssagen meiner Vaterstadt Antwerpen zu studieren und dann auch erfuhr, wer diese »Houten Clara oder Houten Cleer« – wie die Antwerpner sagen – eigentlich war. Diese Geschichte, die sich kurz nach der Einnahme Antwerpens durch den Herzog von Parma ereignet haben soll, gleicht durchaus nicht einer gewöhnlichen Volkssage, und man darf daher mit Recht vermuthen, daß ihr ein wahres Ereigniß zu Grunde liegt. Wie dem auch sei, das, was ich hier erzähle, ist Nichts als die Verknüpfung und freie Bearbeitung dessen, was ich bruchstücksweise aus dem Munde verschiedener alter Leute vernommen habe.

*                   **

      Als an einem Frühlingstage des Jahres 1589 die Waisen aus dem Mägdehause in der Gasthuisstraße mit ihrer Mutter oder Aufseherin spazieren gingen, blickten Viele nach den Fenstern eines nebenstehenden Hauses empor und deuteten neugierig auf eine reiche Frau, die vom Fenster aus auf sie herabschauete.

      – Sieh, sprach die Eine, das ist die reiche Senora, die kürzlich hierher gezogen ist.

      – Ich weiß wie sie heißt, rief eine Andere; es ist die Gräfin d’Almata und kommt aus Spanien.

      – Ja, und von wem weißt Du das? fragte eine Dritte.

      – Ich habe es von der Mutter und Schwester Monika gehört, – und die reiche Senora ist keine Spanierin; auch seht Ihr wohl, daß sie blaue Augen hat und blondes Haar? Nein, es ist ein Fräulein aus Antwerpen, die an einen reichen Spanier verheirathet ist.

      – Hört Trees, die Lügnerin, wieder Lügen ersinnen! lachte eine der Zuhörerinnen.

      – Fragt doch lieber die hölzerne Clara; die war auch dabei . . . Eh, pst, hölzerne Clara, hölzerne Clara!

      Bei diesem Rufe wandte die Mutter des Mägdehauses sich um und bemerkte wie einige der Mädchen unverwandt nach den Fenstern des Herrenhauses hinblickten während sie selbst beschäftigt war die anderen in Reihe und Glied zu stellen. Strengen Blickes trieb sie die Neugierigen in den Zug zurück, ergriff dann mit besonderer Vorliebe eines der Mädchen bei der Hand und gab dann das Zeichen zum Aufbruch.

      – Schon wieder hölzerne Clara! sagte Trees; dieses Zuckerkind, das arme, daß es nur nicht in Stücke bricht!

      – Eh, Anna Moeyal, sieh, wie hochmüthig und steif sie mit ihrem Besenstiele im Rücken nun neben der Mutter hergeht! Sie hat wieder über ihre Aufgabe gearbeitet, die Närrin.

      – Schweigt nur von der hölzernen Clara! sie ihr die lange Mie, die Schwätzerin, in die Rede; sie kann wieder ein neues Liedchen. Ach es ist so schön! Es geht so:

      Gott grüß’ Dich schöne Blume,

      Maria edle Jungfrau.

      Und sie soll es uns heute Nachmittag lehren und noch dazu mit Begleitung des Clavecimbel’s: Ich gäbe zwei Finger meiner linken Hand darum, wenn ich auf dem Clavecimbel so schön wie die hölzerne Clara spielen könnte!

      – Das ist ganz gut; allein muß sie deshalb immer das liebe Kind sein, als wenn sie keine Waise wäre gleich uns Anderen? Warum ist sie denn so hochmüthig?

      – Hochmüthig? sie? Ich dächte sie wäre die Freundschaft und Sanftmuth selbst.

      Vielleicht würden die meisten Mädchen ihren Zungen noch lange Zeit auf Clara’s Rechnung freien Lauf gelassen haben, wenn nicht ein schöner und kräftiger Jüngling auf schäumendem Pferde daher gesprengt wäre. Nun hatten die Mädchen genug zu thun, um diesen zu betrachten und sich gegenseitig ihre Ansichten über ihn mitzutheilen.

      Während die Waisen also langsam durch die Gasthuisstraße fortschritten, fand die Edelfrau noch immer hinter dem Fenster und blickte träumerisch hinab auf die Straße. Alles an ihr, die durchscheinende Blässe ihrer Gesichtszüge, der matte Blick ihrer blauen Augen wie die Abgemessenheit ihrer Bewegungen gab Zeugniß von einer tiefen Melancholie. Trotz ihres Alters, denn sie mochte wohl über dreißig Jahre zählen, war sie noch eine schöne und herrliche Frauengestalt.

      Die Senora hatte fast eine Viertelstunde unbeweglich am Fenster gestanden, als die Thüre leise geöffnet ward und ein Mann den Kopf forschend in das Zimmer steckte. Da die Dame sich nicht regte, so trat der Mann geräuschlos, jedoch ohne augenscheinlich überraschen zu wollen, in das Zimmer. Er nährte sich der Dame und warf einen flüchtigen Blick über ihre Schultern durch das Fenster.

      Beruhigt, da er Nichts auf der Straße bemerkte, trat er einige Schritte zur Seite und warf sich in einen Sessel.

      – Immer so traurig, Catalina? sprach er zur Edelfrau. Ihr täuschtet mich also als Ihr mir unaufhörlich versichertet, daß die Luft der Niederlande Euch erquicken sollte? Nun weilen wir bereits vierzehn volle Tage hier, und statt aß der Aufenthalt in Eurer Geburtsstadt Euch erheitern sollte, ist im Gegentheil das holde Lächeln von Eurem Antlitze verschwunden, was während unserer Reise so tröstlich darauf strahlte. Ich bedaure sehr, daß ich Eure Bitten so leicht erhörte, denn gewiß ist Spaniens glühender Himmel gesünder und heiterer als jener dicke Nebel der hier unaufhörlich bleischwer au die Erde drückt. Wahrhaftig, Catalina, meine Liebe zu Euch muß sehr groß sein, daß ich mich bewegen ließ eine so weite Reise zu unternehmen um ein Land wieder zu besuchen, in welchem ich Freunde und Blut verwandte durch Feuer und Schwert umkommen sah. Ich hoffte, daß Ihr die Aufopferung wenigstens durch Zeichen des Wiederauflebens und der Freude belohnen würdet. Leider aber seid Ihr jetzt gefühlloser als zuvor. Habt Ihr au er den Besuchen, die wir zusammen bei Euren Blutsverwandten abgestattet haben, unsere Wohnung nicht verlassen?

      Diese letzten Worte wurden in einem eigenthümlich forschenden Tone ausgesprochen. Die Edelfrau schlug die Augen nieder und blieb sprachlos und wie beschämt stehen.

      Ihr Ehegenosse fuhr mit erkünstelter Kälte fort:

      – Nein, Senora, Ihr habt das Haus nicht verlassen. Selbst nicht gestern gegen Abend als ich ausgegangen war um Don Fabricio aufzusuchen – selbst dann seid Ihr nicht ausgegangen, Ihr und Eure Duena – die ich schon wieder hier nicht sehe?

      – Calisto! Calisto! seufzte die Edelfrau, warum beobachtet Ihr meine geringsten Schritte? Ihr fragt, warum ich unter niederländischem Himmel nicht wieder auflebe? Es war die Freiheit, die ich hier suchte – und, leider, die Sklaverei hat mich bis hierher verfolgt. Es ist weder niederländische Luft noch die vlämische Sonne, die mich zu erquicken vermag. Die niederländische Freiheit muß ich genießen; und wenn mir dieselbe hier eben so grausam entzogen wird, wenn Ihr auch hier wie in dem erstickenden Spanien immer bezahlte Spione um Eure Gattin pflanzt – erwartet dann keine Besserung in meinem Zustande, Senor. Es ist nutzlos einen andern Aufenthaltsort für mich zu suchen; ich werde überall verkommen, wo Sklaverei mich niederdrückt.

      Während die Edelfrau mit schlecht verhehlter Bitterkeit also antwortete, schauete Graf d’Almata ihr tief in die Augen und das Lächeln des augenscheinlichsten Zweifels bewegte seine Lippen.

      – Sollte Senora, fragte er, wohl die Güte haben Ihrem Gatten mitzutheilen, wo sie gestern Abend in der Dämmerung mit ihrer Duena gewesen ist?

      – Auf dem Groote Markt, Calisto.

      – Darf ich auch wissen, Catalina, was Ihr dort in einem Hause von sehr geringem Anscheine zu suchen hattet?

      – Ach, Gott, Calisto, in welchem Tone fragt Ihr mich da!

      – Es wäre viel einfacher, Catalina, mir ganz kurz zu sagen, was ich wissen will.

      – Wohlan,