Sobald er der Aebtissin dieß Versprechen gegeben, bereitete sich dieselbe mit ihrer Begleitung zum Weggehen. Schwester Ursula näherte sich zuvor Quintin und flüsterte ihm ins Ohr:
»Fahrt nur so fort, Quintin, – die Aebtissin ist höchst zufrieden mit Eurer Arbeit, sie kann nicht davon schweigen.«
Und mit leiserer Stimme fügte sie hinzu: »Eurer Mutter soll es nun an nichts mehr fehlen; habt nur guten Muth!«
Diese letzten Worte erfüllten Quintin mit unaussprechlicher Seligkeit: er wandte Ursula einen dankbaren Blick zu und sagte:
»Für Euch, für Euch werde ich immer beten – und meine Mutter auch.«
Als die Aebtissin sich entfernt hatte, wandte die glückliche Frau sich zu ihrem Sohn, warf ihm zwei Goldgulden auf sein Malerbuch indem sie rief: »Sieh! Quintin! Dieß hat mir die Aebtissin für deine Arbeit gegeben; nun sind wir reich mein Kind! unendlich reich! Jetzt geh ich und kaufe Alles ein, was dir bisher in deiner Krankheit gemangelt hat! – Und du wirst genesen, mein lieber Quintin! denn all unser Leid hat nun ein Ende; wir werden aufs Neue glücklich sein!«
»Sagte ich dir’s nicht, daß ein Sohn, der für seine Mutter arbeitet, kein gewöhnlicher Arbeiter ist? Glaube mir, der Schmerz, den ich bei dem Anblick deiner Noth ertragen mußte, hat mich zum Maler gemacht. Gott selbst hat meine schwache Hand geleitet!«
Quintin malte ziemlich lange an dem Buch der Aebtissin; als er aber das Werk vollendet, gaben sich bereits wunderbare Fortschritte darin zu erkennen, und es ward ihm eine reiche Belohnung dafür. Man gab ihm dann andre Arbeiten dieser Art, welche er zur Zufriedenheit Aller ausführte. – Endlich ward er es müde gedruckte Darstellungen zu bemalen; er begann selbst Zeichnungen anzulegen, und je nachdem ihm dieß leichter und leichter wurde, überwand er in kurzer Zeit alle Hindernisse, welche sich ihm noch auf seiner neuen Bahn entgegenstellten.
Noch zehn ganze Monate blieb er schwach und krank, so daß er nicht das Haus verlassen konnte, und diese Zeit benutzte er, sich Alles anzueignen, was die milde Natur ihm versagt hatte. Als er zum Erstenmale ausging, begrüßte man ihn schon überall als einen berühmten Maler.
An Geld fehlte es ihm jetzt nicht mehr: er zog mit seiner Mutter in ein schönes Bürgerhaus, und sorgte mit derselben Liebe wie früher für sie. Sie hatte die Freude ihren Sohn die Zierde und den Ruhm des Vaterlandes nennen zu hören, und beschloß ihr Leben mit seligem Frieden in seinen Armen.
Ricketicketack
I
Vor nicht gar langer Zeit noch besuchte ich die Meierei, auf welcher der Anfang dieser Erzählung spielt. Sie steht zwischen Desschel und Milgem, etwa zwölf Meilen östlich von Antwerpen und ist von Bauern bewohnt, von denen kaum einer sich mehr des Namens Jan Daelmans erinnern kann.
Wie malerisch dieß Haus auch da liegt, so bietet es doch nichts Besonderes für das Auge. Donnerwurz und grüne Moose wuchern auf dem alten Dache; die bröckelnden Mauern bergen sich hinter reichen Rebenranken; Hühner und Tauben spazieren auf dem Hofe und im Stalle mahlen drei glänzende saubere Kühe den weichen Klee.
Schöner ist die eigenthümliche Umgebung des Meierhofes. Vor ihm dehnt sich eine unermeßliche Haide bis zur fernsten Grenze des Horizonts; hinter dem Blumengärtchen eilt ein Bach den Moorweiden zu und saftiggrüne Erlen und Weiden baden ihre Wurzeln in der silbernen Heidenader; prächtig wölbt sich der blaue Himmel drüber, geheimnißvoll zirpen die Grillen umher und lustiger schmettern die Vögel um die hübsche Oase der weiten Sandwüste.
Noch hatte sich an einem schönen Morgen des Jahres 1807 die Sonne nicht über die Fläche der Haide erhoben, kaum hörte man hier und da ein Vöglein das Vorspiel zu dem großen Morgensange der Natur beginnen; in dem Innern des Hofes herrschte dieselbe stille; nur in einer Kammer brannte ein kleines Feuer leise prasselnd unter dem weiten Kamine, tickte ruhelos die Wanduhr und summte eintönig in einer halbdunkeln Ecke ein Spinnrad.
An ihm saß ein Mädchen; ihrem Gesichte nach zu schließen, hätte man sie auf etwa fünfzehn Jahre schätzen können; ihre Kleidung war eben nicht sehr gesucht, eher nachlässig, doch ihre Züge hatten etwas Fremdes, etwas Edles, welches die Aufmerksamkeit des sie Betrachtenden wohl fesseln und ihn mitleidig zu ihr hinziehen konnte. Schön war sie darum nicht zu nennen, denn sie war weiß wie Marmor, und wenn ihre dunkelschwarzen Augen unter den langen Wimpern hervor einen Blick voll Gluth aussandten, dann schienen sie eher hart und unangenehm. Doch gab es auch Augenblicke, wo der schwarze Apfel langsam und träge umirrte, wo ein frohes Lächeln diese Züge verklärte, wie wenn eine Stimme der Freude in ihrem Herzen aufgetaucht sei; dann mochte man sie schön nennen, ein albastern Bild der hinwelkenden Blume, die ihren Kelch nach der Sonne öffnet, obschon ein Wurm ihre Wurzel seit lange durchnagte.
Seit einer Stunde saß sie schon vor dem Spinnrade und ließ achtlos den Flachs durch die Finger gleiten; ein tiefer Traum schien einer dichten Wolke gleich sie umlagert zu haben, die Welt war für sie nicht da; eine überirdische Freude leuchtete aus ihrem Angesicht.
Welch lichte Gedanken stiegen dann auf aus ihrer Brust? Das wußte sie selber nicht. Sie öffnet den schönen Mund, sie singt. Wohl muß das Lied hinreißend sein, wenn es ihre Gefühle überträgt; ihre Stimme klingt süß und rein, doch leise, fast wie der Ton eines fernen Silberglöckchens; sonderbar, eigentümlich aber ist das trippelnde Liedchen und es scheint wenig zu passen zu dem Ganzen, welches aus ihren Zügen spricht. Hier sehe das Lied:
Ricketicketack,
Ricketicketu.
Eisen warm,
Hoch den Arm,
schlaget zu,
Ricketicketu.
Hat sie es aber gesungen, dann sinkt sie wieder in ihr sinnen zurück.
Während sie also sich selbst vergessend vor dem Spinnrade saß, kam eine schon bejahrte Frau die Treppe hinunter und trat in die Kammer. Dem gebieterischen Blicke zufolge, den sie auf das kaum noch glimmende Feuer und das träumerische Mädchen warf, konnte es wohl niemand anders, als die Pachterin sein. Ihre Augen erglühten zornig, sie flog auf die Spinnerin zu und schlug sie so hart ins Gesicht, daß die Arme fast von dem Stuhle zur Erde stürzte.
»Was ist das! Du faul Stück! Sitzest da zu schlafen, wie ein Vieh! Willst du das Feuer anmachen oder ich nehme einen Stock und schlag dich wacker, du Thunichtgut, die du bist!«
Das Mädchen erhob sich und ging zum Feuer. Sie war die rohe Behandlung der Pachterin wohl schon seit lange gewohnt, denn ihre Marmorzüge verriethen weder Betrübniß noch Schmerz; nur auf der einen Wange brannte ein rother Flecken, der genugsam zeigte, wie hart der Schlag gewesen war.
Sobald die Pachterin das Feuer unter dem Kessel flammen sah, ging sie zur Treppe und schrie aus aller Macht:
»Auf, auf, ihr faule Strick! soll ich euch heraus holen, ihr Schlafmützen? Wacker, Trine, Bärbel, Jan! ’s ist meiner Seel schon vier und noch liegt das Volk und streckt alle vier von sich.«
Wenige Augenblicke später kamen die Gerufenen.
Die beiden Mädchen waren die Töchter des Hofes, sie konnten etwas weniger mehr, denn zwanzig Jahre zählen, waren übrigens echte Bäuerinnen, schwerfällig und stark gebaut und ohne allen Reiz.
Jan zählte gegen siebzehn Jahre; seine Züge waren rauh, doch regelmäßig und recht männlich; es lag etwas sehr bewegliches darin und man sah ihm an, daß, hatte die Natur ihn auch geistig nicht reich betheilt, er doch ein wackerer Junge sein mußte. Seine blauen Augen und langen blonden Haare gaben seinem Wesen vor Allem etwas Gutmüthiges und sein Herz war in der That so.
Er allein trat auf das Mädchen zu, welches noch am Feuer stand und sprach leise zu ihr:
»Guten Morgen, Lena.«
Noch leiser antwortete sie:
»Dank, Jan. Guten Morgen.«
Bevor jeder in dem Pachthofe an die Arbeit ging, wurde der Kaffee auf den Tisch gebracht und die Pachterin schnitt jedem sein Butterbrod. Das arme Lenchen bekam für ihr Theil kaum so viel, daß ein Kind