Abendstunden. Hendrik Conscience. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hendrik Conscience
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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sich eine Art von Widerwillen in ihr gegen diese Vergnügungen; sie ging nur zu Abendfesten und Gesellschaften, wenn sie nicht dem ernsten Zudringen ihres Vaters ausweichen konnte, und suchte stets mehr die Einsamkeit. Von Zeit zu Zeit regten sich ihre Lippen fast unwillkürlich, und ohne daß sie an Weiteres dachte, schwebte das seit lange vergessene Lied um ihren Mund. Die Röthe floh wieder von ihren Wangen, sie magerte ab und kränkelte wieder und dieß so, daß der arme Vater zu fürchten begann, er werde sein Kind überleben. Ein gelehrter Arzt, den er zu Rathe zog, rieth baldige Verehlichung als das beste und einzige Mittel und behauptete, Monika müsse unfehlbar genesen, so man sie bereden könne, eine Wahl zu treffen. Der Colonel dachte alsbald an seinen treuen Reisegenossen, den Lieutenant, und gab sich alle Mühe, Monika’s Aufmerksamkeit auf denselben zu lenken; er fand sie auch nicht gefühllos für dessen Liebesbezeugungen und für seine mannichfachen guten Eigenschaften, doch Liebe für ihn wohnte nicht in ihr; ihr Herz blieb eiskalt für ihn. Das schmerzte den Vater sehr; sah er sich doch nun des einzigen Mittels beraubt, auf welches er noch alle Hoffnung zur Rettung seines Kindes gesetzt hatte. Fast täglich bot er nun Alles auf, von ihr zu wissen, was sie wünsche, was sie begehre, was die Quelle ihrer Qual sei, doch sie sagte, sie sei nicht krank, und wußte meist seinen Fragen durch irgend einige Schmeicheleien ein Ende zu machen. Das einzige, was er aus ihr herausbringen konnte, war, daß sie nach Brabant und nach der Haide zurückzukehren verlange, kurz, daß sie eine Art von Heimweh habe.

      Mehr denn einmal hatte er Monika versprochen, mit ihr nach dem Kempnerlande zu reisen und dort für lange zu bleiben, damit sich in der Haideluft ihre Gesundheit wieder kräftigen könne, doch immer kam durch die schnell einander folgenden Kriegsläufte ein Hinderniß dazwischen.

      Gegen das Ende des Jahres 1813 endlich hatte er, durch sein unaufhörliches Andringen, vom Kriegsministerium das Versprechen erlangt, im nächsten Frühling einen dreimonatlichen Urlaub zu bekommen. Monika lebte, schien es, wieder auf, bei dem Gedanken an die Rückreise in das liebe Vaterland. Bald aber kamen aus dem Norden beunruhigende Nachrichten; fast das ganze französische Heer war durch die Russen und die Kälte aufgerieben, und niemand konnte voraussehen, welche Folgen diese Niederlage haben werde. Ein allgemeines Entsetzen hatte die in Frankreich zurückgebliebenen Krieger befallen ob der gräulichen Zeitungen. Der Colonel konnte Monika dieß Alles nicht verbergen, und sie erkannte nur zu wohl, daß nun nichts weniger sicher für sie sei, als ihre Reise nach dem Kempnerland.

      Plötzlich kehrte der Kaiser ohne sein Heer allein aus Rußland zurück, und ließ durch den Senat einen Beschluß verkünden, durch welchen 350.000 junge Männer zu den Waffen gerufen wurden. Der Colonel erhielt ingleichen Befehl, an der Spitze seiner Leute sich zu dem Heere nach Deutschland zu begeben. Er brachte seine Tochter in ein anständiges Haus in Paris, und riß sich von der siechelnden los, um Napoleon über den Rhein zu folgen.

      Sechs Monate später traf ihn bei Dresden eine Kugel in’s Knie. Wohl genaß er, doch sein Bein blieb steif und er mußte lebenslang an einem Stocke hinkeln. Dieß war auch die Ursache, warum man ihn auf sein Ansuchen nach Paris zurückkehren ließ. Da fand er Monika noch mehr abgemagert, mit dem alten transparenten Gesichtchen, den schwimmenden Augen, nachläßig und träumerisch.

      Zwei Saiten nur waren nicht tonlos in ihrem Herzen geworden: ihre Liebe zu ihm und der Heimath.

      Unmittelbar machte er nun alle Anstalten, um mit Monika nach Brabant zurück zu kehren. Ein Bote wurde nach Antwerpen voraus geschickt, dort ein hübsches Haus zu miethen und einzurichten; später wollte der Colonel ein kleines Landgut in der Nähe von Moll gekauft oder auch gemiethet haben, was er jetzt, in den Kriegszeiten, nicht für gar zu rathsam hielt.

      Einige Tage später reisten sie in einer Postkutsche nach Antwerpen ab. Nicht ein erheblicher Zufall unterbrach die frohe Heimkehr, nur in Antwerpen selbst fiel eine kleine Störung vor. Als der Wagen des Colonels dort der neuen Wohnung nahte, schaute Monika zufällig durch eins der Fenster; in demselben Augenblick entfloh ihr ein lauter Angstschrei, der den Colonel vor Schrecken hoch von seinem Sitze aufspringen machte.

      Als er sie frug, was ihr fehle, antwortete sie:

      »Oh, es ist nichts Vater. Ich sah auf der Straße einen armen Menschen in so schlechten Kleidern und doch mit so ausdrucksvollen Augen, ’s ist nun vorüber, ich bin ruhig.«

      VIII

      Sechs Wochen waren verstrichen seit der Ankunft des Colonels zu Antwerpen.

      Auf dem Söller eines kleinen Häuschens auf dem Guldenberg saß sehr früh Abends eine stockalte Frau bei Lichte am Spitzenwirken. Ihre Umgebung sah höchst ärmlich aus, denn sie wohnte unter den bloßen Dachpfannen, und hatte als Hausrath nichts mehr und nichts weniger, als ein Tischchen, zwei schlechte Stühle und ein Bett, dessen Decke aus allerlei zusammengerafften Lappen aneinandergenäht war. Gleichgültig schien sie die Klöppel hin und her zu werfen, doch beugte sie von Zeit zu Zeit das Ohr einer Art von Abschlag zu, in dem das Bett stand, und horchte einem kaum merkbaren Geräusche.

      Eben hatte sie also ihre Hände still auf dem Spitzenkissen liegen, als die Thüre des Kämmerchens sich öffnete und eine andere Frau eintrat. Die Alte legte den Finger auf den Mund, und bat die andere durch ein leises Pst um schweigen, nahm sie dann bei der Hand und führte sie möglichst leise zu dem Tische hin. Während sie ihr dort den einen Stuhl anwies als Sitz, ließ sie sich vorsichtig auf den andern nieder und sprach:

      »Trien, sei was still, Mensch; er schläft so gut.«

      Trien zog einen Strickstrumpf aus der Tasche und sprach nicht weniger leise:

      »Aha, das ist der Mensch, den ihr in’s Haus genommen habt. Meint ihr nicht, Mäken10 Teerlinck, daß ihr ein gut Werk damit habt gethan, wenn’s ist, wie die Leut so sprechen?«

      »Ah Trien, das kannst du mir glauben, ohne mich wär der Jung todt und begraben, ach Gott.«

      Nachdem Trien das Söllerchen in allen Ecken durchschnüffelt hatte, fuhr sie leise fort:

      »Aber Mäken, wenn ich recht hab, dann habt ihr den Menschen schon fünf bis sechs Wochen auf’m Kämmerchen. Wo schlaft ihr denn, Mäken?«

      »Ja, Trien, wo schlaft ihr denn. Hier in der Eck auf’m Stuhl, mit dem Kopf auf’m Tisch. Da ist ja doch an mir nicht viel mehr zu verderben, ich hab meine Zeit gehabt, Mensch.«

      »Herr Gott und Vater im hohen Himmel, wie könnt ihr das aushalten! sechs Wochen ohne zwischen die Laken11 zu kommen! Das ist wahrhaftig um zu sterben, Mäken!«

      »Ja Trien, ein Jedermann der giebt seinem Nächsten so viel er hat. Die reichen Leut, die geben ihr Geld, und ich – nun ja, ich geb auch, was ich hab, mein Bett und meine Nachtruh.«

      »Das muß ich euch aber sagen, Mäken, das könnte ich nicht thun, aber ’s ist doch schön, und ihr verdient euch einen Stuhl im Himmel damit, Mäken. Ich kenn aber das Feine von der Geschicht noch nicht; da sagt der das und der wieder das und am End wird man nicht klug draus, und weiß soviel, als am Anfang. Wie hat es dann nun eigentlich gegangen? das sagt mir mal, Mäken.«

      »Nu, das will ich dir mal sagen, Trien; aber komm und setz dich ein bisschen näher, er möcht wach werden, das arm Blut. Das sind nun fünf oder sechs Wochen gelitten, und es war an einem Samstag und sicherlich elf Uhr Abends, da hatte ich ein bisschen gut gekocht für meine Katz, und weil ich sie den ganzen Nachmittag noch nicht zu Haus gesehen hatte, nahm ich mein Peerken12 und ging dahinten nach der blinden Mauer zu, wo die Karren und Wagen stehn, um meine Her da zu suchen. Wie ich nun so rund humpel und rufe: Puschen! Puschen! hör ich dir mit einem mal einen Seufzer wie von einem Menschen. Ich erschreck, daß ich aufspring, seh einmal auf die Erd’, und ach Gott! ich kann dir nicht sagen, wie ich erschrak, da liegt dir ein Mensch da auf dem Rücken und hat sein ganz Gesicht voll Blut.«

      »Ach Gott, voll Blut!«

      »Ja Trien, voll Blut. Nu denk dir einmal. Ich schnell zu den Nachbarn, die kommen mit Licht gelaufen, und da sahen wir, daß das ein junger Bursch war, der sich vielleicht auf einen Kohlenwagen schlafen gelegt hatt und herabgefallen war. Er muß schon lang so dagelegen haben, denn das Blut, das aus seinem Kopfe lief, war schon ganz gestollt. Скачать книгу


<p>10</p>

Meken, sprich Mäken, Großmutter, ein Name, den man im Volke allen alten Frauen giebt.

<p>11</p>

Betttücher.

<p>12</p>

Kleine Blechlampe.