Auf die bei den Spazierfahrten immer wiederkehrende Frage, die man, mehr um mit Fiffi anzuknüpfen als aus Interesse für den Jungen, stellte:
»Wer ist denn dies reizende Kind?« antwortete Fiffi:
»Günther Berndt,« und Emma fügte regelmäßig hinzu:
»In Firma Berndt & Tie., Konserven en gros.«
Und es dauerte gar nicht lange, da war »das Konservenkind« das populärste aller Tiergartenkinder.
Cäcilie ging häufig in einem Abstand von dreißig Schritten hinter dem Wagen her und genoß den Triumph ihres Sohnes als eine Ehrung, mit der man zugleich die verantwortliche Stelle, die Mutter, traf. Und wenn es bisher nur der Reichtum gewesen war, im Gefühl dessen sie sich blähte, so kam nun der Stolz einer Mutter hinzu, deren Sohn sich auszeichnete vor allen anderen Söhnen. —
Günther selbst verhielt sich allen Liebesbezeugungen und Auszeichnungen gegenüber passiv. Er empfand es höchst störend, wenn Unbekannte sich zu ihm hinabbeugten, mit ihren Händen auf seiner Decke entlang fuhren, die Mäuler spitzten und ihm die dümmsten Koselaute ins Gesicht pruschten.
Er riß die blauen Augen weit auf und dachte:
»Seid ihr verrückt? oder was wollt ihr?«
Daß man ihm die kurze Zeit, die er wach lag, keine Ruhe gönnte, verdroß ihn, zumal er von dem dummen Zeug, das man ihm erzählte, kein Wort verstand. Nur, was das ewig wiederkehrende: »Na, so lachʼ doch mal!« zu bedeuten hatte, wußte er. Denn als zwei Tanten ihn eines Tages stundenlang mit diesem »na, so lachʼ doch mal« gepeinigt hatten, und er für diese Quälereien nur einen verächtlichen Blick übrig hatte, sah er plötzlich in einem Spiegel, wie Fiffi sich mit einem runden Gegenstand das Gesicht betupfte und ganz weiß auf den Backen wurde. Das fand er komisch und mußte lachen. Im selben Augenklick riefen die Tanten strahlend:
»Na also!«
Von da ab wußte er, was dies ewige »na, so lachʼ doch mal!« zu bedeuten hatte. Und Günthers erster Schritt, den er bewußt tat, war die Opposition. Denn von dieser Stunde ab waren alle Versuche, ihn auf diese Weise zum Lachen zu bringen, vergeblich. Außer Emma langweilten ihn alle. Kam sie aber in seine Nähe, so streckte er die kleinen Arme nach ihr aus und rief:
»A . . . a . . . a . . .!«
»Großer Gott!« rief Cäcilie entsetzt. »Der Junge wird doch nicht etwa stottern?«
»Was soll das heißen?« fragte Emma.
Und Cäcilie, die sich den Glauben nicht nehmen ließ, daß diese Rufe nichts anderes bedeuteten, als Amme, verfolgte ängstlich die Lautentwicklung ihres Sohnes.
Fiffi erkannte er am Geruch. Und wenn er dann mit dem Näschen instinktiv »seinen Hochzieher« machte, wie Emma sich ausdrückte, der sich so ähnlich, wie: »Hif – hif – hif,« anhörte, dann war es für Cäcilie ganz deutlich, daß er Fiffi rief.
Und, um dies Wunder zu zeigen, mußte sich Fiffi, so oft Besuch kam – an manchen Tagen mehr als ein dutzendmal – über seine Wiege beugen.
Hatte er ʼmal eine unruhige Nacht und war er daher tagsüber besonders ruhebedürftig, so wußte er schon im voraus, daß die bösen Menschen ihn heutʼ doppelt quälen würden. Sie schleppten alles mögliche Spielzeug heran, mit dem er durchaus nichts anzufangen wußte. Die meisten Gegenstände verübten sogar noch Lärm, klapperten, quietschten, knatterten und miauten und wurden in ihrer Wirkung höchstens noch durch den Lärm der Umstehenden übertönt, die allʼ dies Zeug mit süßem Lächeln in Bewegung setzten.
In solchen Fällen sehnte Günther das Ende des Tages herbei und streckte Emma, wenn sie des Abends zum Waschen kam, mit doppelter Bereitwilligkeit die kleinen Ärmchen entgegen. Cäcilie begriff er gar nicht. – Daß sie ihm mit ihrem Munde unaufhörlich im Gesicht herumfuhr, ließ er sich gefallen, weil er dachte, das gehöre zu den Dingen, die, wie das Bürsten, Waschen und Kämmen, sein müssen. Daß sie aber, so oft er einen Laut von sich gab, wobei er sich gar nichts dachte, in Begeisterung geriet, vor Freude aufschrie, ihn in die Höhe riß und an sich drückte, verstand er nicht. So lag er denn nie ruhiger, als wenn Cäcilie vor ihm stand.
»Du kannst mir glauben,« sagte sie zu Leo, »der Junge denkt.«
In Günthers kleiner Vorstellungswelt, in deren Mittelpunkt Emma, Fiffi und Cäcilie standen, wirkte Cäcilie auf seine Gehörs-, Fiffi auf seine Geruchs-, Emma auf seine Geschmacksnerven. Leo, der ihm alle Tage neue Spielsachen aufs Bett baute, mochte er gar nicht. Leo hatte die Angewohnheit, ihm mit zwei Fingern auf den Bauch zu stuken und dabei zu sagen:
»Wie macht die Kuh? – Muh! Muh!«
So kam es, daß Günther, der gar nicht wußte, was eine Kuh war, die Begriffe verwechselte, Leo für eine Kuh hielt und, wenn er gerade bei Laune war, »muh, muh!« sagte, sobald Leo sich über sein Bettchen beugte. Da daraufhin aber regelmäßig ein Jubel losbrach, der ihm wehʼ tat, so gab er auch das bald auf.
Am wenigsten konnte es Günther leiden, wenn er des Nachmittags nach vorn gebracht und von Arm zu Arm gereicht wurde. Daß es sich dabei um Cäciliens Teegesellschaften handelte, wußte er natürlich nicht. Aber etwas anderes hatte er bemerkt: Einmal, als es ihn dabei überkam, war so eine Tante, die ihn gerade im Arm hielt und »kille kille« mit ihm machte – was er, da er kitzlich war, auf den Tod nicht leiden konnte – aufgesprungen, hatte entsetzt aufgeschrien und ihn Fiffi wieder in den Arm gelegt. Und danach war er nicht weitergereicht, sondern in sein Zimmer getragen worden. Das wiederholte sich ein zweites und ein drittes Mal. Und schließlich empfand er so etwas wie einen Zusammenhang zwischen dem »Überkommen«, dem Aufschrei, der Rückkehr in Fiffis Arme, dem Hinausgetragenwerden und der Rückkehr in sein Bett, in dem er endlich Ruhe hatte.
Und so entwickelte sich in ihm der Wille. Er dachte schon von dem Augenblick an, in dem man ihn nach vorn trug, an nichts anderes. Und oft machte sich seine Willensäußerung schon fühlbar, wenn Cäcilie ihn vor den entzückten Augen ihrer Gäste der Amme Fiffi aus dem Arm nahm. Die Vorstellung mußte dann vorzeitig abgebrochen werden.
Cäcilie war außer sich. Daß man Günther bewunderte, war eins der vielen Imponderabilien, die ihr mütterliches Glück ausmachten. Sie wandte sich besorgt an den Sanitätsrat und war sofort für Hinzuziehung eines Spezialisten. Aber der Arzt sah in Günthers Verhalten keinen Grund zur Besorgnis. —
Günther wurde nicht mehr herumgereicht und bereitete damit Cäcilie die erste Enttäuschung.—
Während so Günther schon in seinem ersten Lebensjahre viel auszustehen hatte, lebte Frida bei Linkes ein ruhiges Leben. Sie wurde von Emma pünktlich und gewissenhaft besorgt, in die Luft gefahren, von Paul geschaukelt, durch die Stube gefahren und von keinem Menschen sonst belästigt.
Für Laute, die sie von sich gab und die sich trotz dem Unterschiede im Körpergewicht in nichts von den Lauten Günthers unterschieden, interessierte sich niemand. Franz, der mehrmals am Tage durch das Zimmer kam, in dem sie lag, trat so leise wie möglich auf und sah beim Vorübergehen zu ihr hinüber. Hatte sie die Augen offen, so trat er an ihr Bettchen heran und nickte ihr zu. Aber weder zwang sie jemand zu lachen, noch hatte sie es, wie ihr Altersgenosse im ersten Stock, nötig, sich zu etwas zu zwingen, was ihr nicht von selbst kam.
Kein Zweifel, daß Frida von den beiden Kindern das glücklichere war.
Daran vermochte auch die Tatsache nichts zu ändern, daß Frida Günthers abgelegte Sachen trug. Denn, was Berndts im Laufe des Jahres ablegten, was unmodern oder Günther zu eng wurde, verschenkten sie mit herrschaftlicher Miene am Heiligabend ihren Leuten.
Da stand in seinem Lichtstrahl dann der Riesenbaum mitten im Zimmer und bildete die Grenze für die beiden Welten, die sich einmal im Jahre auf ein paar Stunden hier begegneten.
Rechts vom Baum streckte sich sechs Meter lang die stolze Herrschaftstafel, die über und über mit Geschenken für die drei