Auch eine zweite Hoffnung begann in seinem Herzen zu erwachen. Seine Liebe zu Luisa war immer höher gestiegen und selbst der Besitz hatte sie noch gesteigert.
Da das Verhältniß zwischen Beiden mittlerweile zur allgemeinen Kenntniß gekommen, so war es unmöglich, daß Luisa in Neapel bliebe, und hier die Rückkehr ihres Gemahls abwarte.
Nun aber war es, wahrscheinlich, daß sie die den Patrioten gestellte Alternative, in Neapel zu bleiben oder zu, fliehen, benutzen würde, um nicht blos Neapel, sondern auch Italien zu verlassen. Dann gehörte sie wirklich ihm, dann ward sie die Seine auf immer und nichts konnte sie von ihm trennen.
In Bezug auf die Capitulation, welche unter seinen Befehlen diskutiert worden, hatte er Luisa mehrmals absichtlich den Artikel 5 dieser Capitulation erklärt, welcher dahin lautete; daß allen darin inbegriffenen Personen die Wahl zustände, entweder in Neapel zu bleiben, oder sich nach Toulon einzuschiffen.
Luisa hatte bei dieser Erklärung jedesmal geseufzt, ihren Geliebten an ihr Herz gedrückt, aber nichts geantwortet.
Luisa hatte nämlich trotz ihrer innigen Liebe zu Salvato sich noch zu nichts entschlossen, und wich, indem sie die die Augen schloß, um die Zukunft nicht zu sehen, vor dem unermeßlichen Schmerze zurück, welchen diese Zukunft, wenn der Augenblick kam, entweder ihrem Gatten oder ihrem Geliebten verursachen mußte.
Allerdings, wäre Luisa frei gewesen, so wäre es für sie wie für Salvato das höchste Glück gewesen, dem Freunde ihres Herzens bis ans Ende der Welt zu folgen. Dann hätte sie ohne Schmerz ihre Freunde, Neapel und selbst dieses kleine Haus verlassen, in welchem ihre so ruhige und so reine Kindheit von Jugend an verflossen war.
Neben diesem höchsten Glück aber richtete sich ein Schatten empor, den sie nicht verscheuchen konnte.
Wenn sie fortging, so gab sie das Alter des Mannes, der an ihr Vaterstelle vertreten, dem Schmerz und der Vereinsamung preis.
Ach, leider hat jene berauschende Leidenschaft welche man die Liebe nennt, jene Seele des Weltalls, welche den Menschen seine schönsten Thaten und seine größten Verbrechen begehen läßt, und die, so lange der Fehltritt noch nicht geschehen, an Entschuldigungen so sinnreich ist, der Reue und den Gewissensbissen nichts weiter entgegenzusetzen als Theorien und Seufzer.
Auf Salvatos Bitten wollte Luisa nicht ja antworten, und nein zu antworten wagte sie nicht.
Sie hegte im innersten Herzen jene unbestimmte Hoffnung der Unglücklichen, welche nur noch auf ein Wunder der Vorsehung hoffen, um einer verzweifelten Lage entrissen zu werden, in welche sie durch einen Irrthum oder seinen Fehltritt versetzt worden.
Mittlerweile verging die Zeit, und wie wir schon gesagt, kam am 22. Juni Morgens der Oberst Mejean von dem Castell San Elmo herab, um, von der royalistischen Cavallerie escortirt, mit dem Directorium zu conferiren.
Der Zweck seines Besuches war, sich zum Vermittler zwischen den Patrioten und dem Cardinal anzubieten, weil das Directorium die Bedingungen, die es stellte, nicht zu erlangen hoffte.
Man erinnert sich der Antwort Manthonnet’s: »Wir werden nicht eher unterhandeln, als bis der letzte Sanfedist die Stadt verlassen hat.«
Da der gesetzgebende Körper wissen wollte, ob die Castelle im Stande wären, die stolzen Worte Manthonnets aufrecht zu erhalten, so ließ er den Commandanten des Castells Nuovo rufen.
Die Sitzungen des legislativen Körpers fanden gegenwärtig im Nationalpalast statt.
Oronzo Massa, dessen Namen wir schon mehrmals genannt, ohne übrigens bei seiner Person zu verweilen, hat in einem Buche wie das, welches wir uns die Aufgabe gestellt zu schreiben, Anspruch auf etwas mehr als bloße Eintragung seines Namens in die Martyrologie des Vaterlandes.
Er war von edler Familie geboren. Schon in jungen Jahren Artillerie-Officier, hatte er, als vor vier Jahren die Regierung die blutige, despotische Bahn betreten, welche durch die Hinrichtung Emmanueles di Dio, Vitaglianos und Gaglianis eröffnet worden, seinen Abschied genommen. Als die Republik proclamirt ward, verlangte er als gemeiner Soldat zu dienen. Die Republik machte ihn zum General.
Er war ein Mann von Beredsamkeit, Unerschrockenheit und erfüllt von erhabenen Gesinnungen.
Cirillo war es, der im Namen der legislativen Versammlung das Wort an Massa richtete.
»Oronzo Massa,« sagte er zu ihm, »wir haben Sie rufen lassen, um von Ihnen zu hören, welche Hoffnung uns noch für Vertheidigung des Castells und die Rettung der Stadt bleibt. Antworten Sie uns offen, ohne weder im Guten noch im Schlimmen etwas zu übertreiben.«
»Sie verlangen, daß ich Ihnen mit voller Offenheit antworte,« entgegnete Oronzo Massa. »Ich werde es thun. Die Stadt ist verloren. Keine Anstrengung selbst wenn jeder Mensch ein Curtius wäre, kann sie retten. Was das Castello Nuovo betrifft, so sind wir noch Herren desselben, aber blos aus dem Grunde, weil wir Soldaten ohne Erfahrung und ungeübte, durch einen Priester commandirte Banden gegen uns haben. Das Meer, der Binnenhafen und der äußere Hafen sind in der Gewalt des Feindes. Der Palast kann sich gegen Artillerie nicht mehr halten. Die Courtiue ist zerstört, und wäre ich Belagerer, anstatt Belagerter zu sein, so wäre das Castell binnen zwei Stunden in meiner Gewalt.
»Dann nehmen Sie also den Frieden an?«
»Ja, vorausgesetzt daß, wie ich freilich bezweifle, wir denselben unter Bedingungen abschließen, die mit unserer Ehre als Soldaten und Bürger vereinbar sind.«
»Und warum-zweifeln Sie, daß wir den Frieden unter ehrenvollen Bedingungen abschließen? Kennen Sie nicht die welche das Directorium vorschlägt?«
»O ja, ich kenne sie und eben deshalb zweifle ich, daß der Cardinal sie annimmt. Der durch den siegreichen Marsch, der ihn bis unter unsere Mauern geführt hat, übermüthig gemachte, durch den König und die Königin angestachelte Feind wird den Anführern der Republik nicht Leben und Freiheit lassen wollen. Nach meiner Ansicht werden sich daher wenigstens zwanzig Bürger zur Rettung der übrigen opfern müssen. Da dies meine Ueberzeugung ist, so verlange ich zuerst auf diese Liste gesetzt zu werden, oder vielmehr mich selbst darauf zu setzen.«
Und während die Anwesenden von einem Schauer der Bewunderung durchrieselt wurden, schrieb er, an das Bureau des Präsidenten tretend, auf den oberen Rand eines Bogens weißen Papieres mit fester Hand die Worte:
»Oronzo Massa. – Für den Tod.«
Lauter Beifall erscholl und wie mit einer einzigen Stimme riefen die Gesetzgeber:
»Alle! Alle! Alle!«
Der Commandant des Castell d’Uovo war in Bezug auf die Unmöglichkeit, sich zu halten, derselben Meinung wie sein Camerad Massa.
Es blieb nun nach Manthonnet, den man zu der Ansicht der noch übrigen Anführer bekehren mußte. Durch seinen wunderbaren Muth verblendet, war es stets der Letzte, welcher sich klugen Rathschlägen fügte.
Man bestimmte, daß der General Massa nach San Martino hinaufgehen und sich mit den am Fuße des Castells San Elmo postierten Truppen besprechen und, wenn er eine Verständigung mit diesen erzielte, den Oberst Mejean benachrichtigen sollte, daß seine Gegenwart dem Directorium nothwendig sei.
Der Commandant des Castello d’Uovo erhielt vom Cardinal freies Geleit.
Der Commandant Massa überzeugte Manthonnet, das Beste, was man thun könne, sei, auf die von dem Directorium vorgeschlagenen, ja sogar auf noch schlimmere Bedingungen hin zu unterhandeln, und setzte verabredetermaßen den Oberst Mejean in Kenntniß, daß man ihn erwartete, um diese Bedingungen dem Cardinal zu überbringen.
So kam es, daß am 22. Juni der Cammandant des Castells San Elmo seine Festung verließ und in die Stadt herabkam.
Er begab sich direct nach dem Hause, welches der Cardinal an der Magdalenenbrücke bewohnte, aber ohne dem Directorium zu verschweigen, daß er kaum hoffe, die gestellten Bedingungen von dem Cardinal angenommen zu sehen.
Er ward sofort bei dem Cardinal vorgelassen und überreichte diesem die schon von dem General Massa und dem Cammandanten Aurora unterzeichneten Artikel der Capitulation.
Der Cardinal, der ihn erwartete, hatte