Yves machte es eben so, und heftig aufspringend, nachlässig gähnend und ein kindisches, leichtfertiges Wesen annehmend, sagte er: – »Wo habe ich auch nur meinen Verstand diesen Morgen? – Ich bin zu früh aufgestanden, das macht krank – versenkt in sonderbare Betrachtungen! Nachdenken ist ein widernatürlicher Zustand und Grübeln eine Krankheit.«
Dann fügte er mit immer zunehmender Heiterkeit, die der Marquise eben so sonderbar, als die vorhergegangene Traurigkeit, vorkam, hinzu:
»Die ernsthaften Gedanken sind gut für die Thoren – sich amüsiren – das ist Alles und Nichts in der ganzen Welt, kann für eine Stunde Langweile entschädigen.«
Der Graf bemerkte verwundert die Bewegung und da« Unzusammenhängende in den Reden des Herrn von Mauléon, der gewöhnlich, ungeachtet seiner thörigten Handlungsweise, in allen seinen Gesprächen und Manieren viel Ruhe und Würde an den Tag legte; und nicht wissend, was er dem so überreizten jungen Manne antworten sollte, schwieg er lieber ganz.
Die Marquise, eine neue Caprice ihres Enkels fürchtend, beobachtete ebenfalls ein ungeduldiges und angstvolles Schweigen.
Yves versuchte noch einige scherzhafte Redensarten, aber die Worte fehlten ihm, und wohl bemerkend, daß seine künstliche Lustigkeit ihren Zweck gänzlich verfehlte, versank er wieder in tiefe Träumereien.
So schwiegen sie denn alle Drei, aber in den Zügen des jungen Mannes sprach sich, Spott und Verachtung aus, als wollte er sich an dem Geschicke rächen, oder es herausforden, indem er dem beschiedenen Loose nur noch Verachtung entgegensetzte, obgleich dasselbe tiefe und lebhafte Bewegung in seiner Seele zu wecken schien.
Zweites Kapitel
Eine reich gewordene Frau aus dem Volke
»Nun, was ist Dir denn, Gabriele? Du bist roth wie eine Kirsche und zitterst wie Espenlaub,« sagte Madame Rémond zu ihrer Tochter etwas rauh, aber voll Liebe und Herzlichkeit. Das junge Mädchen konnte, außer Athem und zugleich lachend und weinend, nur einzelne Sylben stammeln, statt zu antworten.
»Wenn Du wüßtest. . . Mütterchen . .. ich habe eine Wette gewonnen . . . aber ich bin recht erschrocken, als ich in den Salon kam, und die gute Elénore, die ich mit fortgerissen hatte, ihr wurde unwohl! . . . Du ließest mich rufen und sie ist noch ohne Bewußtsein! Sie leidet an solchen Anfällen, das ist wahr. . . aber dies Mal bin ich vielleicht daran Schuld! Ich bin trostlos.« Und nachdem sie diese Worte gesagt hatte, lachte das junge Mädchen unwillkürlich.
»Warum gingst Du in den Salon – und weshalb fürchtest Du Dich?^ fragt, Madame Rémond, während sie Haar und Halstuch des wilden Mädchens in Ordnung brachte, wobei sie jedoch mit Entzücken die Jugendfrische ihres schönen Kindes betrachtete.
»Ist schon jemand Fremdes da?« fragte sie.
»Ja, . . . eine Dame und zwei Herren, glaube ich; aber ich habe nicht Zeit gehabt, sie genau zu betrachten,« erwiderte Gabriele, noch ganz erhitzt.
,Sie werden es wahrscheinlich sein,« sagte Madame Rémond mit einem so bemerkbaren ungewöhnlichen, etwas listigen Ausdrucke, daß ihre Tochter sie neugierig ansah.
»Sei nur nicht gleich so furchtsam,« fuhr die Mutter fort; »Du brauchst Dich vor Niemand zu fürchten. . . Niemand hat Dir Etwas zu befehlen; und wer hat Dir denn auch jemals Etwas gesagt, oder Etwas abgeschlagen? Wer hat Dich jemals gezwungen, Etwas zu lernen?
Das junge Mädchen sah die Mutter, ohne sie zu unterbrechen, aufmerksam an. Diese fuhr also fort, wobei sie sich zwar immer mehr ereiferte, aber doch immer, so laut sie ihre Stimme auch erhob, ihren guten und zärtlichen Ton beibehielt:
»Hast Du je arbeiten müssen? Gott sei Dank, Du, mein liebes Kind, kannst, wenn Du willst, den ganzen Tag die Hände in den Schooß legen.«.
Gabriele, immer erstaunter, suchte zu errathen, wo das hinaus sollte.
»Und erröthe und zittre nur nicht, wie eine arme Näherin, die einer vornehmen Dame ihre Arbeit bringt; dazu hast Du keine Veranlassung! Wenn ich in vornehmer Gesellschaft etwas verlegen wäre, so wäre es kein Wunder . . . ich wurde ja erzogen, (unter uns gesagt, denn Niemand ahnet es), ich wurde erzogen in einem Laden, wo kaum vier Mal jährlich ein Sonnenstrahl eindrang und wo niemals feine Manieren gesehen wurden; wenn ich also verlegen wäre, das wäre natürlich, und dennoch bin ich es nicht; ich habe die Sicherheit einer Herzogin und betrage mich gegen diese Herrschaften so, daß sie mich für ihres Gleichen halten müssen.«
Gabriele hörte aufmerksam zu, ohne die Mutter zu begreifen; diese fuhr fort:
»Es ist nicht um meinetwillen, aber sieh, Kind, die Menschen sind wunderlich; in den Augen der Welt ist es ehrenvoller, wenn man immer nur Geld verthan zu haben scheint, als wenn man sich merken läßt, daß man es sich hat sauer werden lassen, um welches zu gewinnen; und je weniger Du thust und je weniger Du nützest, je mehr giltst Du in der Welt. . . Auch lasse ich sie Alles glauben, was sie wollen . . . und übrigens, was Dich betrifft, ist es ja wahr . . . niemals in Deinem Leben bist Du in einen Laden eingetreten, als um Einkäufe zu machen . . . und jetzt, wo Du bald sechzehn Jahre alt sein wirst, sollst Du eine schöne vornehme Dame werden . . . Das wars, was ich Dir eben sagen wollte; ich will Dich verheirathen!«
»Ah! sagte das junge Mädchen, ohne daß es schien, als erwecke Das, was ihre Mutter ihr so eben gesagt hatte, irgend eine frohe oder traurige Vorstellung bei ihr, und als habe das Wort »Heirath« gar keine Bedeutung für sie.«
»Ich habe die beste Wahl für Dich getroffen,« fuhr Madame Rémond fort.
»Wie gut Du bist!« sagte Gabriele, ihre frischen Wangen an die Mutter schmiegend, um ihr durch einen Kuß zu Danken, wie sie gewöhnlich that, wenn sie irgend ein neues Putzstück oder Geschmeide bekam.
»Ja, gut bin ich, wenn auch ein wenig heftig; das kommt aber daher, daß nicht wie eine Prinzessin erzogen worden bin . . . Mein Vater war ein Handwerker . . . ein Schlosser, der durch Fleiß, Einsicht und Rechtlichkeit sein Glück gemacht hat . . . aber bei uns mußte auch jeder arbeiten; so ist das Geld ins Haus gekommen. Zuletzt hatte mein Vater eine Menge Eisenhämmer und Schmiedewerkstätten, die ihm unermeßliches Geld einbrachten, und einen so vorzüglichen Ruf, daß der reiche Eisenhändler Rémond mich zur Frau begehrte. Auch er war durch Arbeit reich geworden und hatte die Gewohnheiten eines Handwerkers beibehalten, aber ein braver Mann war er, der Niemand auch nur um einen Sou hätte betrügen mögen; und das hat Gott gesegnet. Alles gelang ihm! »Frau,« sagte er zuweilen zu mir, »ich glaube, wir werden noch Millionairs!« und dann lachte er, daß es eine Lust war, es zu sehen, und arbeiten darum nicht weniger; ja so arbeitete er, daß ihn eines Tages eine Brustentzündung befiel, an der er starb, der arme Mann.«
Die Frau Witwe Rémond nahm hierbei eine ernste Miene an, deren trauriger Widerschein das lachende Gesicht Gabrielens verdüsterte.
Aber plötzlich und ohne Uebergang, wahrscheinlich weil sie dem Schmerze dieser schon alten Erinnerung nun ihr Recht angethan hatte, sagte die betrübte Witwe lachend: »Und ich war Witwe mit mehreren Millionen und einer einzigen Tochter, meiner lieben Gabriele, um derentwillen ich mich nicht wieder habe verheirathen wollen, wofür ihr Glück mich hoffentlich entschädigen wird.«
Und die Mutter nahm den niedlichen Kopf ihres schönen Kindes zwischen ihre beiden Hände, und küsste ihre reine, weiße Stirn mit lebhafter, kräftiger Zärtlichkeit.
Madame Rémond war groß und in Folge ihrer in großer Thätigkeit verlebten Jugend beinahe männlich kräftig, doch gab eine bedeutsame Corpulenz ihr ungeachtet ihrer fünfzig Jahre ein fast jugendlich frisches Ansehen. Sie hatte sich zu dieser ersten Zusammenkunft mit einem goldfarbenen und mit Blumen von allen Farben durchwirkten Kleide von prachtvollem Lyoner Stoffe geschmückt, und also um den Wohlstands der ihr das Kostbarste zu tragen erlaubte, zu zeigen, ein Staatskleid für Winterabende zu einem Sommer-Negligee gemacht. Ein unermeßlicher Cashemir-Shawl breitete über ihre Schultern die Schönheit und Pracht der köstlichsten Gewebes, Die, welche ihn an einem der heißesten Sommertage trug, fast erstickend. Ein von unzähligen weißen Federn beschatteter Rosahhut umschloß ein Gesicht, dessen lebhafte Farben ins Carmolsin