Der Wahnsinnige. Уилки Коллинз. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Уилки Коллинз
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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nicht zu entdecken vermögen. Ist denn eine Störung in seinem Geiste erkennbar, wenn er von gewöhnlichen Gegenständen spricht?«

      »Nicht im Geringsten; wenn man ihn überhaupt zum Reden bringen kann, was nicht leicht ist und nicht häufig geschieht, so spricht er wie ein vernünftiger, gebildeter Mann. Berühren Sie nicht den Gegenstand, welcher ihn hierher geführt hat, und er wird Ihnen als der sanfteste, ruhigste Mensch erscheinen. Sobald man aber auch nur im Entferntesten jenes Vagabunden, seines Oheims, erwähnt, so zeigt sich die Familienkrankheit augenblicklich. Vor einigen Tagen fragte ihn eine Dame scherzweise, ob er jemals den Geist seines Oheims gesehen habe. Als Erwiderung sah er sie mit wahrhaft teuflischen Blicken an und sagte, dass er und sein Oheim ihre Frage gemeinschaftlich beantworten würden, wenn sie auch aus der Hölle kommen müssten, um es zu tun. Wir lachten über seine-Antwort, allein die Dame war von seinen Blicken so erschreckt worden, dass sie in Ohnmacht sank. Jeder andere Mann würde wegen eines solchen Betragens aus der Gesellschaft verwiesen worden sein, allein der »verrückte Monkton«, wie wir ihn getauft haben, genießt in den Kreisen von Neapel das Privilegium des Wahnsinns, weil er ein Engländer, ein hübscher Mann ist, und jährlich dreißigtausend Pfund zu verzehren hat. Überall, wohin er geht, hofft er jemanden zu finden, der ihm das Geheimnis des Ortes enthüllen kann, an dem das Duell stattgefunden hat. Sobald Sie ihm vorgestellt werden, wird er Sie augenblicklich fragen, ob Ihnen nichts davon bekannt sei. Aber hüten Sie sich wohl, auf den Gegenstand näher einzugehen, wenn es nicht in Ihrer Absicht liegt, sich davon zu überzeugen, dass er wirklich wahnsinnig ist. In diesem Falle dürfen Sie nur von seinem Oheim zu reden anfangen, und der Erfolg wird Sie vollständig befriedigen.«

      Wenige Tage nach dieser Unterredung mit dem Attaché traf ich Monkton in einer Abendgesellschaft. Als er meinen Namen nennen hörte, überzog hohe Röte sein Gesicht. Er ergriff meinen Arm, führte mich in eine Ecke des Zimmers, und bat mich wegen der Kälte, mit der er früher meine Annäherung zurückgewiesen hatte, um Verzeihung, nannte seine Handlungsweise eine nicht zu entschuldigende Undankbarkeit, und sprach mit einer Glut und inneren Bewegung, die mich in Erstaunen setzten. Sein nächstes Wort enthielt, wie mein Freund mir vorher gesagt hatte, die Frage nach dem Orte des geheimnisvollen Duells.

      Während er davon sprach, ging eine merkwürdige Veränderung mit ihm vor. Statt mir in das Gesicht zu blicken, wie er bisher getan hatte, schweiften seine Augen umher und richteten sich dann mit fast wildem Ausdrucke auf die leere Wand vor uns. Ich war zur See von Spanien nach Neapel gekommen, und sagte ihm kurz, dass ich aus diesem Grunde unvermögend sei, die geringste Auskunft zu geben. Er verfolgte den Gegenstand auch nicht weiter, und meines Freundes Warnung gedenkend, lenkte ich das Gespräch auf andere Dinge. Sogleich fielen seine Blicke wieder auf mich und blieben in dieser Richtung, so lange wir in der Ecke des Zimmers miteinander sprachen.

      Er war zwar immer mehr geneigt zu hören, als selbst zu sprechen, allein wenn er sprach, ließ seine Rede auch nicht die leisesten Spuren von Irrsinn erkennen. Er hatte viel und gründlich gelesen, und besaß die glückliche Gabe, das auf diese Weise erlangte Wissen bei jedem Gegenstande der Unterhaltung zur Anwendung zu bringen, ohne dass er dadurch prahlerisch erschien. Sein ganzes Wesen und Benehmen stand im direktesten Widerspruch mit dem Spottnamen »verrückter Monkton«. Er war ruhig, zurückhaltend, und in seinem ganzen Tun und Treiben so sanft, dass ich ihn zuweilen fast hätte weibisch nennen mögen. Wir hatten am ersten Abende unseres Zusammentreffens eine lange Unterhaltung, sahen uns später öfter, und ließen keine Gelegenheit vorübergehen, das angeknüpfte Band des Vertrauens zu befestigen. Ich sah, dass er sich zu mir hingezogen fühlte, und ungeachtet alles dessen, was ich über sein Betragen gegen Miss Elmsly gehört hatte, und des Verdachtes, zu dem die Geschichte seiner Familie sowohl wie sein eigenes Benehmen Veranlassung gab, begann ich die mir geschenkte Zuneigung in demselben Grade zu erwidern. Wir machten manchen Spazierritt in der Umgegend, und ruderten oft zusammen längs der schönen Ufer der Bai von Neapel. Wenn sich nicht zwei auffallende, mir unerklärliche Erscheinungen in seinem Wesen gezeigt hätten, so würde ich mich im Umgange mit ihm so wohl gefühlt haben, als wenn er mein Bruder gewesen wäre.

      Die eine dieser Erscheinungen bestand darin, dass sich zuweilen jener sonderbare Ausdruck in seinen Augen zeigte, den ich am ersten Abende bemerkt hatte, als er mich über das Duell befragte. Er pflegte dann, gleichviel wovon wir sprachen, oder wo wir uns befanden, seine Augen plötzlich von mir abzuwenden, und bald auf diese, bald auf jene Seite zu richten, aber immer dahin, wo nichts zu sehen war, und stets mit demselben stieren, fast wilden Blicke. Das sah dem Wahnsinn so ähnlich, dass ich mich scheute, ihn darüber zu befragen, und mich stellte, als wenn ich es nicht bemerkte.

      Die andere Sonderbarkeit in seinem Wesen war die, dass er nie von den über den Zweck seiner Reise in Neapel umgehenden Gerüchten, nie von Miss Elmsly und seinem Leben in der Abtei mit mir sprach. Dies setzte nicht bloß mich, sondern auch diejenigen in Erstaunen, welche unseren vertrauten Umgang beobachteten und deshalb nicht anders glaubten, als dass ich Mitwisser aller seiner Geheimnisse sei. Allein die Zeit war nahe, da er selbst alle Schleier lüften und mir Dinge mitteilen sollte, von denen ich bis dahin noch keine Ahnung hatte.

      Eines Abends traf ich ihn auf einem großen Balle, den ein russischer Edelmann gab. Ich hatte das Empfangszimmer, den Ballsaal und auch das Spielzimmer verlassen, und mich in ein kleines, an dem einen Ende des Palastes gelegenes Gemach zurückgezogen, welches eine Art Gewächshaus bildete, und mit chinesischen Lampen sehr hübsch erleuchtet war. Niemand befand sich darin, als ich eintrat. Die Aussicht auf das Meer, welches im bezaubernden italienischen Mondlichte vor mir lag, war so reizend, dass ich lange am Fenster stehen blieb, das schöne Bild betrachtend und der aus dem Ballsaale herüberklingenden Musik lauschend, bis ich unwillkürlich einem anderen Gedankenzuge folgte. Ich weilte im Geiste bei meinen Blutsverwandten in England, als ich plötzlich dicht hinter mir meinen Namen von einer leisen, sanften Stimme rufen hörte.

      Mich umblickend, sah ich Monkton vor mir stehen. Todesblässe bedeckte sein Gesicht, und seine Augen waren wieder mit jenem sonderbaren Ausdrucke von mir ab und auf die Seite gerichtet.

      »Ist es Ihnen nicht unangenehm, wenn wir den Ball heute früh verlassen?« fragte er, ohne mich anzusehen.

      »Keineswegs«, erwiderte ich. »Kann ich etwas für Sie tun? Sind Sie unwohl?«

      »Nein, wenigstens ist es nicht der Rede wert. Aber wollen Sie heute Abend noch in meine Wohnung kommen?«

      »Sogleich, wenn Sie es wünschen.«

      »Nein, nicht sogleich. Ich muss zwar augenblicklich nach Hause gehen, aber kommen Sie erst in einer halben Stunde. Sie waren noch nie dort, doch werden Sie meine Wohnung leicht finden, denn sie ist ganz nahe. Nehmen Sie diese Karte mit meiner Adresse. Ich muss Sie heute Abend noch sprechen; mein Leben hängt davon ab. Bitte, kommen Sie – kommen Sie ja nach einer halben Stunde!«

      Ich versprach pünktlich zu sein, worauf er sogleich fortging. Jedermann kann sich leicht denken, in welcher Unruhe und Spannung ich die zu erwartende Zeit nach einer solchen Äußerung zubrachte. Ehe noch die halbe Stunde ganz abgelaufen war, suchte ich bereits den Ausweg.

      Auf der Treppe begegnete mir mein Freund, der Attaché.

      »Wie? Sie gehen schon fort?« fragte er.

      »Ja, und zu einem sonderbaren Zwecke. Ich begebe mich in Monktons Wohnung, in Folge seiner ausdrücklichen Einladung.«

      »Wie, was? Bei meiner Ehre, Sie sind ein verwegener Mensch! Sie wagen es, mit dem »verrückten Monkton« in seiner Wohnung allein zu sein, wenn der Vollmond am Himmel steht?«

      »Er ist krank, der Arme. Ich halte ihn nicht für so verrückt, wie Sie es tun.«

      »Wir wollen darüber nicht streiten, aber merken Sie sich, was ich sage. Er hat Sie dahin, wo noch niemand Zutritt gefunden hat, gewiss nicht ohne besondere Absicht eingeladen. Ich sage Ihnen vorher, Sie werden heute Abend etwas sehen oder hören, was Sie vielleicht in Ihrem ganzen übrigen Leben nicht wieder vergessen.«

      Wir trennten uns. Als ich an das Portal von Monktons Hause klopfte, fielen mir die letzten Worte meines Freundes wieder ein; und obgleich ich darüber lachte, als er sie sprach, so regte sich doch die Ahnung in mir, dass sie in Erfüllung gehen sollten.

      Der öffnende Portier führte mich bis zu dem Stockwerke, in welchem sich Monktons Zimmer befanden. Er musste