Soll und Haben. Gustav Freytag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Männergestalt; Anton wußte, ohne daß es ihm jemand gesagt hatte, daß der stattliche Herr Lenorens Vater sein müsse. In dem Augenblick, wo er vor die Frau des Hauses trat, seine Verbeugung zu machen, flog sein Blick über die ganze Gesellschaft. Noch viele Jahre nachher lebte der Augenblick in seinem Gedächtnis, noch viele Jahre nachher wußte er die Farbe von jedem Kleide, er konnte noch die Blumen aufzählen, welche in dem Strauß der Baronin Rothsattel waren, ja er erinnerte sich noch an das Bild der gemalten Tasse, aus welcher die Gräfin trank. Die Hausfrau empfing die Verbeugung unseres Helden mit herablassendem Lächeln und war im Begriff, ihm etwas Freundliches zu sagen, als Anton sie unterbrach und mit einer Stimme, die vor Bewegung zitterte, aber laut durch den ganzen Saal tönte, seine Rede begann, so daß nach den ersten Worten eine allgemeine Stille entstand: »Gnädige Frau, ich habe heut erfahren, daß in der Stadt erzählt wird, ich sei reich, ich besitze Güter in Amerika und vornehme Herrschaften nehmen im geheimen ein Interesse an mir. Ich erkläre dies alles für Unwahrheit, ich bin der Sohn des verstorbenen Kalkulators Wohlfart aus Ostrau; ich habe von meinen Eltern fast nichts geerbt als einen ehrlichen, unbescholtenen Namen. Ich bin dem Andenken an meine guten Eltern und mir selbst schuldig, das hier öffentlich zu erklären. Sie, gnädige Frau, haben die hohe Güte gehabt, einen fremden und unbedeutenden Menschen so freundlich in Ihrem Hause aufzunehmen und mich zur Teilnahme an den Tanzstunden dieses Winters aufzufordern. Ich darf nach dem, was ich heute gehört habe, nicht mehr daran teilnehmen, weil mein fernerer Besuch der Tanzstunde den Unwahrheiten, welche man über mich verbreitet hat, Nahrung geben würde und weil ich gar in den Verdacht kommen könnte, ein Betrüger zu sein, welcher die Gastfreundschaft Ihres Hauses mißbraucht. Deshalb sage ich Ihnen meinen innigen Dank für Ihre Güte und bitte Sie, mir ein freundliches Gedächtnis zu bewahren.«

      Die Rede war etwas zu pathetisch für den Kreis, in welchem sie wirken sollte, aber sie wirkte doch. Es entstand für einige Augenblicke tiefes Stillschweigen; die Gräfin hielt wie erstarrt ihre Tasse in der Luft zwischen Schoß und Mund, und die Frau vom Hause sah verlegen vor sich nieder.

      Anton machte eine tiefe Verbeugung und ging zur Tür.

      Da eilte aus der starren Gruppe mit beflügeltem Schritte eine helle Gestalt dem Scheidenden nach, faßte mit ihren Händen seine beiden Hände; Anton sah in Lenorens weinende Augen und hörte noch, wie sie mit weicher Stimme unter Tränen zu ihm sagte: »Leben Sie wohl!« Dann schloß sich die Tür hinter ihm, und alles war vorbei.

      Anton ging langsam nach Hause. Es war so ruhig und still in seiner Seele, als wäre er nie in dem Hause hinter ihm gewesen, er sah auf die großen Schneeflocken, welche vor ihm herunterfielen, und freute sich über die Spur, welche die Fußgänger in den weichen Schnee gedrückt hatten. Wenn er Schmerzen fühlte, so waren sie doch ohne Bitterkeit. Er trug sein Haupt stolz und dachte an alles mögliche, woran ein unbefangener Spaziergänger denkt, an seinen Prinzipal und auch an den närrischen Tinkeles, den Fink heut wieder zum Kontor hinausgewiesen. Aber in seinem Ohr klang fortwährend eine Melodie, die neben allen Gedanken forttönte, es waren die Worte Lenorens: ›Leben Sie wohl!‹

      In den Salon der gnädigen Frau kehrte das Leben zurück, als er das Zimmer verlassen hatte. Das erste Wort, welches gehört wurde, war der strafende Ruf der Mutter, die ihre Tochter zu sich forderte, welche in der vergangenen Szene eine so auffallende Rolle improvisiert hatte. »Lenore, du hast dich vergessen!« sagte die Mutter leise und bekümmert.

      »Laß sie«, sagte der Freiherr mit Geistesgegenwart laut, »die Tochter hat getan, was der Vater hätte tun sollen; der junge Mann hat sich brav gehalten, und wir werden ihm unsere Achtung nicht versagen.«

      Unter den übrigen Gruppen aber erhob sich ein Gemurmel, die Einleitung zu lebhafter Unterhaltung. »Das war ja eine wahre Theaterszene«, sagte die Dame vom Hause mit ganz natürlichem Lächeln. »Aber, wer hat uns denn gesagt –«

      »Ja, wer hat denn gesagt?« fiel Herr von Tönnchen ein.

      Aller Augen richteten sich auf Fink.

      »Sie sagten doch, Herr von Fink –«, fing Frau von Baldereck wieder an, sich majestätisch erhebend.

      »Jawohl«, fiel Herr von Zernitz ein, »und es ist doch etwas an dem Gerücht, mein Wort darauf! Ich selbst habe bei einem notariellen Akt als Zeuge gedient«, fuhr er unvorsichtig heraus.

      »Erklären Sie doch, Fink.«

      »Auch ich muß um Erklärung bitten, Herr von Fink«, fuhr die Hausfrau gereizt fort.

      »Mich, gnädige Frau?« sagte Fink mit der Ruhe eines Gerechten, dem ein Unrecht geschieht. »Was soll ich von diesem Gerücht wissen? Ich selbst habe ihm widersprochen, soviel ich nur konnte.«

      »Ja, das haben Sie«, ließen einzelne Stimmen sich hören, »aber Sie ließen merken –«

      »Sie sagten doch –«, fiel Frau von Baldereck ein.

      »Was, gnädige Frau?« fragte kalt der unerschütterliche Fink.

      »– daß dieser Herr Wohlfart auf geheimnisvolle Weise mit dem – dem Kaiser – in Verbindung stehe.«

      »Das ist unmöglich«, antwortete Fink mit größtem Ernst. »Das ist ein arges Mißverständnis! Ich habe Ihnen die Person des Herrn beschrieben, der Ihnen damals noch unbekannt war; es ist möglich, daß ich dabei eine zufällige Ähnlichkeit erwähnt habe.«

      »Aber was ist das mit den Gütern«, fiel Herr von Tönnchen ein, »Sie selbst haben ja die Herrschaft an ihn zediert, und dieser Verkauf war von auffallenden Umständen begleitet. Sie forderten von uns, die Sache als tiefes Geheimnis zu bewahren.«

      »Da Sie mein Geheimnis so gut bewahrt haben, daß Sie es überall und jetzt hier vor der ganzen Gesellschaft erzählen«, entgegnete Fink lachend, »so tragen Sie und Zernitz offenbar die Schuld, wenn sich dies törichte Gerücht verbreitet hat. Merken Sie auf, meine teuren Herren. Mein Freund Wohlfart hatte einmal in fröhlicher Stimmung geäußert, er wünsche wohl, Grundbesitz in Amerika zu haben. Ich machte mir einen Scherz und schenkte ihm zu Weihnachten eine Besitzung, die ich auf Long-Island bei New York hatte. Diese Besitzung, meine Herren, besteht in einer Sandgrube, welche mit Gesträuch bewachsen ist und in welcher eine bretterne Vogelhütte zum Schießen von Strandvögeln steht. Wenn ich Sie gebeten habe, nicht davon zu sprechen, so war das ganz in Ordnung; daß Sie aber aus dieser Kleinigkeit ein Tau gesponnen haben, welches einen liebenswürdigen Mann von unserer Gesellschaft scheiden soll, tut mir sehr leid.« Ein kalter Hohn legte sich auf sein Gesicht, als er fortfuhr: »Mit Freuden sehe ich, wie sehr Sie alle dies Bedauern teilen und wie stark Sie den gemeinen Bedientensinn verachten, welcher einen Mann deswegen für salonfähig hält, weil irgendein fremder Potentat sich um ihn gekümmert haben soll. Da wir aber den heutigen Ball mit Erklärungen angefangen haben, so will auch ich die Erklärung abgeben, daß Herr Anton Wohlfart legitimer Sohn des verstorbenen Herrn Kalkulator Wohlfart aus Ostrau ist und daß ich jede fernere Erwähnung dieser Mißverständnisse für eine Beleidigung meines nächsten Freundes halten werde. – Und jetzt, gnädige Frau, schenken Sie mir aufs neue Ihre Huld, ich bin mit Fräulein Eugenie zur ersten Quadrille engagiert und fühle mich außerstande, länger zu warten.«

      In Frau von Baldereck kämpften eine Weile verletztes Selbstgefühl und mütterliche Sorgfalt, endlich siegte, wie bei einer guten Natur zu erwarten war, die letztere; sie sagte, Fink vorwurfsvoll anblickend, leise: »Ich fürchte, Sie haben Ihr Spiel mit uns getrieben!« – Fink aber schüttelte den Kopf und erwiderte mit großer Aufrichtigkeit: »Man spielt nicht, wo man fühlt.« Darauf führte er Fräulein Eugenie zum Tanze.

      Beim Antreten sagte ihm Leutnant von Zernitz: »Sie haben Ihr Spiel mit uns getrieben, Fink, ich bedaure, darüber noch eine Erklärung von Ihnen fordern zu müssen.«

      »Seien Sie verständig und fordern Sie nichts«, entgegnete Fink, »wir haben so oft miteinander um die Wette geschossen, daß es sehr töricht wäre, wenn wir einer auf den andern zielen wollten.«

      Da Fink bei weitem der beste Schütze in der Gesellschaft war, so sah Herr von Zernitz doch zuletzt ein, daß Fink recht hatte. Und eine kleine Spannung von einigen Wochen abgerechnet, welche an einem stillen Abend bei der zweiten Flasche Burgunder durch Händeschütteln ausgeglichen wurde, hatte die Sache keine weitern Folgen. – Doch erkaltete seit dem Abgange Antons das Interesse, welches