Die Hauptglieder dieser Gruppe sind das Bindegewebe, das Schleimgewebe, der Knorpel, das Knochengewebe, das Zahnbein, die Neuroglia und das Fettgewebe. Betrachten wir zuerst das Bindegewebe als das für die Auffassung der übrigen mehr oder weniger bestimmende. Bis in die neueste Zeit hiess es fast allgemein Zellgewebe (tela cellulosa), weil man annahm, dass es regelmässig kleinere Räume (cellulae, areolae) enthalte. Erst Johannes Müller führte den Ausdruck Bindegewebe (tela conjunctoria s. connectiva), freilich nur für eine gewisse Art, ein; er meinte damit, was wir gegenwärtig interstitielles Gewebe zu nennen pflegen, nehmlich dasjenige „Zellgewebe“, welches Organe oder Organtheile mit einander verbindet. Sehr langsam, zum Theil aus blossem Widerwillen gegen den schlechten Namen Zellgewebe, ist die Bezeichnung Bindegewebe auf alles Zellgewebe und auf alle daraus zusammengesetzten Theile (Lederhaut, Sehnen, Fascien) ausgedehnt worden. Gegenwärtig muss man sich fast in Acht nehmen, nicht noch weiterzugehen und auch die übrigen Glieder dieser Gruppe dem Bindegewebe zuzurechnen. „Bindesubstanz“ soll diesem weiteren Klassenbegriff entsprechen.
Fig. 20. A. Bündel von gewöhnlichem lockigem Bindegewebe (Intercellularsubstanz), am Ende in feine Fibrillen zersplitternd.
B. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach Schwann. a. Spindelzelle (geschwänztes Körperchen, fibroplastisches Körperchen Lebert) mit Kern und Kernkörperchen. b. Zerklüftung des Zellkörpers in Fibrillen.
C. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach Henle. a. Hyaline Grundsubstanz (Blastem) mit regelmässig eingestreuten, nucleolirten Kernen. b. Zerfaserung des Blastems (directe Fibrillenbildung) und Umwandlung der Kerne in Kernfasern.
Seit Haller betrachtete man das Zellgewebe oder, wie man auch wohl sagte, das Fasergewebe (tela fibrosa) als wesentlich aus Fasern (fibrae, fibrillae) zusammengesetzt und sah in diesen Fasern, wie im ersten Capitel (S. 22) hervorgehoben ist, die eigentlich elementare Form des Organischen. In der That, wenn man Bindegewebe an verschiedenen Regionen, z. B. an den Sehnen und Bändern, der Pia mater, dem subserösen und submucösen Zellgewebe untersucht, so findet man überall wellige Faserbündel (Fascikel), sogenanntes lockiges Bindegewebe (Fig. 20, A). Die Zusammensetzung dieser Bündel glaubte man um so bestimmter auf einzelne Fasern zurückführen zu können, als wirklich nicht selten an dem Ende der Bündel isolirte Fädchen herausstehen. Trotzdem ist gerade auf diesen Punkt vor etwa 25 Jahren ein ernsthafter Angriff gemacht worden, der, wenngleich in einer anderen, als der beabsichtigten Richtung, eine sehr grosse Bedeutung gewonnen hat. Reichert suchte nehmlich zu zeigen, dass die Fasern nur der optische Ausdruck von Falten seien, und dass das Bindegewebe vielmehr an allen Orten eine homogene, jedoch mit grosser Neigung zur Faltenbildung versehene Masse darstelle.
Schwann hatte die Bildung des Bindegewebes so dargestellt, dass ursprünglich zellige Elemente von spindelförmiger Gestalt vorhanden wären, die nachher so berühmt gewordenen geschwänzten Körperchen, Spindel- oder Faserzellen (fibroplastischen Körper Lebert's, Fig. 4, b), und dass aus solchen Zellen unmittelbar Fascikel von Bindegewebe in der Weise hervorgingen, dass der Körper der Zelle in einzelne Fibrillen sich zerspalte, während der Kern als solcher liegen bliebe (Fig. 20, B). Jede Spindelzelle würde also für sich oder in Verbindung mit anderen, an sie anstossenden und mit ihr verschmelzenden Spindelzellen ein Bündel von Fasern liefern. Henle dagegen glaubte aus der Entwickelungsgeschichte schliessen zu müssen, dass ursprünglich gar keine Zellen vorhanden seien, sondern nur einfaches Blastem, in welchem Kerne in gewissen Abständen sich bildeten; die späteren Fasern sollten durch eine directe Zerklüftung des Blastems entstehen. Während so die Zwischenmasse sich differenzire zu Fasern, sollten die Kerne sich allmählich verlängern und endlich zusammenwachsen, so dass daraus eigenthümliche feine Längsfasern entständen, die sogenannten Kernfasern (Fig. 20, C, b). Reichert hat gegenüber diesen Ansichten einen ausserordentlich wichtigen Schritt gethan. Er bewies nehmlich, dass ursprünglich nur Zellen in grosser Masse vorhanden sind, zwischen welche erst später homogene Intercellularmasse abgelagert wird. Zu einer gewissen Zeit verschmölzen dann, wie er glaubte, die Membranen der Zellen mit der Intercellularsubstanz, und es komme nun ein Stadium, dem von Henle beschriebenen analog, wo keine Grenze zwischen den alten Zellen und der Zwischenmasse mehr existire. Endlich sollten auch die Kerne in einigen Formen gänzlich verschwinden, während sie in anderen sich erhielten. Dagegen leugnete Reichert entschieden, dass die spindelförmigen Elemente von Schwann überhaupt vorkämen. Alle spindelförmigen, geschwänzten oder gezackten Elemente wären Kunstproducte, gleich wie die Fasern, welche man in der Zwischenmasse sähe und welche nur scheinbar etwas für sich Existirendes darstellten, da sie in Wahrheit eine falsche Deutung des optischen Bildes, der Ausdruck blosser Falten und Streifungen einer an sich durchaus gleichmässigen Substanz seien.
Fig. 21. Bindegewebe vom Schweinsembryo nach längerem Kochen. Grosse zum Theil isolierte, zum Theil noch in der Grundsubstanz eingeschlossene und anastomisirende Spindelzellen (Bindegewebskörperchen). Grosse Kerne mit abgelöster Membran; zum Theil geschrumpfter Zelleninhalt. Vergr. 350.
Meine Untersuchungen haben gelehrt, dass die Auffassung sowohl von Schwann, als von Reichert bis zu einem gewissen Grade auf richtigen Anschauungen beruht. Erstlich mit Schwann und gegen Reichert, dass in der That spindelförmige (Fig. 21) und sternförmige Elemente mit vollkommener Sicherheit existiren, dann aber gegen Schwann und mit Henle und Reichert, dass eine directe Zerklüftung der Zellen zu Fasern nicht geschieht, dass vielmehr dasjenige, was wir nachher als Bindegewebe vor uns sehen, an die Stelle der früher gleichmässigen Intercellular-Substanz tritt. Ich fand ferner, dass Reichert sowohl, als Schwann und Henle darin Unrecht hatten, wenn sie zuletzt im besten Falle Kerne oder Kernfasern bestehen liessen; dass vielmehr in den meisten Fällen auch die Zellen selbst sich erhalten. Das Bindegewebe der späteren Zeit unterscheidet sich der allgemeinen Structur und Anlage nach in gar nichts von dem Bindegewebe der früheren Zeit. Es gibt nicht ein embryonales oder unreifes Bindegewebe mit Spindeln und ein ausgebildetes oder reifes ohne diese, sondern die Elemente bleiben dieselben, wenngleich sie oft nicht sofort zu sehen sind7.
Fig. 22. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach meinen Untersuchungen. A. Jüngstes Stadium. Hyaline Grundsubstanz (Intercellularsubstanz) mit grösseren Zellen (Bindegewebskörperchen); letztere in regelmässigen Abständen, reihenweise gestellt, Anfangs getrennt, spindelförmig und einfach, späterhin anastomosirend und verästelt. B. Aelteres Stadium: bei a. streifig gewordene (fibrilläre) Grundsubstanz, durch die reihenweise Einlagerung von Zellen fasciculär erscheinend; die Zellen schmäler und feiner werdend; bei b. nach Einwirkung von Essigsäure ist das streifige Aussehen der Grundsubstanz wieder verschwunden, und man sieht die noch kernhaltigen, feinen und langen anastomosirenden Faserzellen (Bindegewebskörperchen).
Mit dem Nachweise von der Persistenz der Zellen im Bindegewebe gelangte ich zu einer gänzlich verschiedenen Betrachtungsweise der physiologischen und pathologischen Bedeutung der einzelnen Bestandtheile. Während bis dahin die Fasern als die eigentlich constituirenden Elemente des Bindegewebes angesehen waren, wie es Robin und die französische Schule noch heute thun, so rückten sie in meiner Vorstellung als Bestandtheile der Intercellularsubstanz in eine durchaus untergeordnete Stellung. Sie verhalten sich zu den Bindegewebszellen, oder, wie ich sie gewöhnlich nenne, den Bindegewebskörperchen, wie die Fasern des Fibrins in einem Blutgerinnsel zu den Blutkörperchen. Sie geben dem Gewebe Consistenz, Dehnbarkeit, Widerstandsfähigkeit, Ausdehnungsfähigkeit, Farbe und Aussehen,