Der Aether gegen den Schmerz. Dieffenbach Johann Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieffenbach Johann Friedrich
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Schon bei den ersten Operationen bestätigte sich das vollkommen was Jackson erwartet hatte, denn das Ausziehen der Zähne gelang ohne alle Schmerzempfindung.

      Jackson und Morton, beglückt, sich zu Herren des Schmerzes gemacht zu haben, wollten auch ihrerseits durch Geheimhalten dieser grossen Entdeckung vorläufig in dem alleinigen Besitz derselben bleiben, und ein Patent darauf nehmen. Bei uns mag das auffallen, in Amerika aber weniger. Doch war dies die Veranlassung, daß sämmtliche Chirurgen in Boston sich weigerten, größere chirurgische Operationen ohne vorherige Mittheilung des Betäubungsgeheimnißes vorzunehmen. Darüber waren Jahre seit der ersten Jackson'schen Entdeckung verstrichen, bis endlich der leicht erkennbare Aetherdunst zum Verräther des großen Geheimnißes wurde, und die bei Mortons Zahnoperationen zugegen gewesenen Aerzte bald der verborgenen Spur folgten. Nachdem sie dieselbe entdeckt, berauschten sie Kranke nicht bloß beim Zahnausziehen, sondern auch bei größeren Operationen mit demselben Erfolge wie Morton.

      Da nun der Schleier des Geheimnisses gelüftet war, traten Jackson und Morton frei mit ihrer Entdeckung hervor, suchten ihr jetzt die möglichste Ausbreitung zu verschaffen und sich die wohlerworbene Priorität gegen die allenthalben nun aufstehenden Freibeuter zu sichern. Morton, welcher mittlerweile eine große Menge von Zahnoperationen in Boston und Massachusets vorgenommen hatte, meldete nun mit möglichster Eile die Jackson'sche Entdeckung an Dr. Boot in London. Warren in Boston, welcher mittlerweile einige größere, glückliche Operationen bei ätherisirten Kranken vorgenommen hatte, theilte in einem ausführlichen Schreiben an Dr. Forbes in London, dem Herausgeber der Englischen und fremden mediz. Zeitung (Review), seine erlangten Resultate und das ganze Verfahren dieser neuen Operationsart mit, und sagt nur in einer Nachschrift: »die Entdecker des Mittels sind die Doctoren Jackson und Morton.« Jackson aber hatte schon im November v. J. bei der Pariser Akademie zwei versiegelte Briefe niedergelegt, von denen der erste bekundete daß er schon vor 5-6 Jahren an sich selbst die betäubende Wirkung der eingeathmeten Aetherdämpfe beobachtet habe, zuerst bei einem zufälligen Versuch, dann bei einem starken Catarrh, welchen er sich durch Einathmen von Chlorgas zugezogen hatte. Der zweite Brief enthielt Mittheilungen über das schmerzlose Ausziehen der Zähne bei ätherisirten Kranken.

      So war also die neue Entdeckung nach Europa und zwar zuerst nach England gelangt.

      Die ersten Versuche in London wurden von Boot und Robinson beim Zahnausziehen gemacht, sie fielen eben so günstig aus wie die von Amerika aus berichteten, wo seitdem auch von anderen Chirurgen größere Operationen mit Erfolg vorgenommen worden waren. Nach diesen ersten Versuchen Londoner Zahnärzte begannen auch einige der berühmtesten Londoner Chirurgen, in ihren Krankenhäusern dies vielversprechende neue Mittel zu prüfen; der treffliche, behutsame Key, und der kühne Liston begannen nach neuer Weise zu operiren, und betraten als Neulinge die so oft betretene blutige Bahn.

      Hatte die amerikanische Entdeckung den anglikanischen Boden erreicht, so verbreitete sie sich mit der Theilbarkeit des Aetherdunstes oder wie eine große politische Neuigkeit über Frankreich und Deutschland. Ein reger Wetteifer ergriff die Aerzte aller Länder, in denen die Wissenschaft sich regt, und heute, wo ich dies schreibe, wenige Monate nach der Entdeckung des Aetherdunstes als Schmerzstillungsmittel, sehen wir die Erfahrungen über diesen Gegenstand so massenhaft aufgehäuft, daß nur ein großer Foliant dieselben in ihrem ganzen Umfange darstellen könnte.

      Prioritäts-Ansprüche

      auf die Entdeckung der Wirkung der Aetherdünste

      Es war wohl zu erwarten, daß bei einem so wichtigen, so großes Aufsehen erregenden Mittel von mehreren Seiten her Ansprüche auf die Priorität gemacht werden würden, eine Erscheinung, welche wir niemals bei unbedeutenden, sondern immer bei wichtigen Entdeckungen sich ereignen sehen. Die Macht der Wahrheit aber ist so groß, daß dem wirklichen Entdecker wohl nur selten sein Eigenthum entrissen wird. So wird auch Jackson Niemand die Ehre rauben.

      Granier de Cassagnac behauptet, schon vor siebzehn Jahren der Entdecker des großen neuen Mittels gewesen zu sein, und über 200 Versuche damit an sich selbst angestellt zu haben. Der Zufall führte ihn beim Einathmen der Dünste aus einer großen Aetherflasche darauf, und nach dem Eintritt der ersten, gewöhnlichen Erscheinungen an sich, wiederholte er seine immer längeren Experimente, bis er in den uns bekannten seeligen Zustand gerieth. Dann experimentirte er an seinem Bruder, bei dem die nämliche Erscheinung eintrat, und endlich kam er auf den Gedanken, eine Migraine, durch welche er seit Jahren geplagt war, öfter dadurch zu beschwichtigen.

      Man weiß nicht recht, ob man Cassagnac, welcher wirklich schon vor 17 Jahren dies Alles in dem politischen und litterarischen Journal von Toulouse bekannt machte, bedauern soll, daß ihm dies schöne Anrecht, der Entdecker des Aethergeheimnißes zu sein, durch Jackson entrissen worden ist, oder ob man ihm Vorwürfe machen soll, daß er dieselbe nicht allgemeiner, als bei seiner eigenen Migraine benutzt, nicht mit seinem Mittel vorgeschritten, und das Anrecht auf seine Entdeckung früher geltend gemacht habe. Cassagnac scheint auf halbem Wege stehen geblieben zu sein. Er kam wohl nur etwas weiter als wir Alle, wenn wir bei heftigen Zahnschmerzen an eine Flasche mit Köllnischem Wasser oder an ein Fläschchen mit Vitriolnaphta oder Campher oder an irgend eine andere geistige Substanz riechen, um uns zu betäuben. Das Punctum saliens, die Aufhebung der Empfindung überhaupt, besonders des Wundschmerzes, blieb ihm, wie auch Anderen, aber gänzlich verborgen. Hätte er diese auch gekannt und für sich behalten, so wäre er für die vielen Schmerzen, welche das arme Menschengeschlecht seit 17 Jahren durch chirurgische Operationen hat erdulden müssen, verantwortlich.

      Eben so ist Ducros zu bedauern, daß ihm das Recht der Entdeckung nicht zuerkannt werden kann, welches er für sich begehrt und dieserhalb das Institut von Frankreich in Anspruch nimmt. Er beruft sich dabei auf eine i. J. 1842 von ihm herausgegebene Abhandlung: »Effets physiologiques de l'éther sulphurique etc.«, in welcher er uns mittheilt, daß die äußerliche Anwendung des Aethers bei den zum Hühnergeschlecht gehörigen Vögeln, einen schlafähnlichen Betäubungs-Zustand herbeiführe. Aus dieser Beobachtung folgert er, daß dies Mittel auch bei Menschen in gewißen Krankheiten nützlich sei. Dies scheint aber nicht viel mehr zu sein, als was man schon vor ihm über die Wirkung des Aethers wußte.

      Endlich will Wells sogar im Jahre 1844 Jackson die Anwendung der Aetherdämpfe gelehrt haben. Warum, fragen wir, hat er denn diese wichtige Sache nicht bekannt gemacht und ins Leben eingeführt?

      Was indessen die örtliche Anwendung der Aetherdämpfe bei nervöser Taubheit betrifft, so sind dieselben von Itard und Wolf wirklich früher angewendet worden.

      Apparate zum Einathmen der Aetherdämpfe

      Der erste zusammengesetzte Apparat, welcher zum Einathmen der Aetherdämpfe angegeben wurde, da die ursprünglichen Mittel, ein mit Aether angefeuchtetes Tuch oder ein Schwamm, nicht immer genügten, ist der von Morton. Er besteht aus einer gläsernen Kugel mit zwei Hälsen; in ihr befinden sich mit Aether angefüllte Schwämme. Mit dem einen Halse der Kugel ist ein mit einem Mundstück versehener Schlauch in Verbindung gebracht, durch welchen der Kranke die Aetherdämpfe einathmet. Durch die andere Oeffnung tritt die Luft von außen in die Flasche ein, wodurch das Verdunsten des Aethers befördert wird. Der Rücktritt der wieder ausgeathmeten Luft in die Flasche wird durch ein hinter dem Mundstück angebrachtes Ventil verwehrt. Das Einathmen der äußeren Luft durch die Nase kann durch das Zusammendrücken derselben entweder mit einer Klemme oder mit dem Finger verhindert werden.

      Dieser Apparat erfuhr seit der Zeit seines Bekanntwerdens schon mancherlei Abänderungen, da er seiner Einfachheit wegen Vielen nicht genügte, und weil sie glaubten, daß durch größere Complication größere Vortheile zu erreichen wären. So gaben Boot und Robinson in London eine Vorrichtung an, deren Haupttheil aus zwei übereinander befindlichen Glasbehältern, von denen der obere nach unten sich verschmälernd, mit diesem Theil in den weiten Hals der unteren Flasche hineingesteckt wird. Der obere Hals der oberen Flasche kann durch einen Glasstöpsel beliebig geschlossen werden. In beiden Behältern befinden sich mit Aether getränkte Schwammstücke. Nahe dem Boden der unteren Flasche ist der Schlauch angebracht, welcher als Hals und Mundstück endigt, und mit einem Wulst zur genauen Umlagerung der Lippen versehen ist. Zwei Ventile, ein horizontales mit perpendiculärer Bewegung, und ein perpendiculäres, haben verschiedene Bestimmungen. Jenes öffnet sich beim Ausathmen, und läßt die ausgeathmete