Das Nationaltheater des Neuen Deutschlands. Eine Reformschrift. Devrient Eduard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Devrient Eduard
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
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der Hofintendanten über den ganzen Umfang der theatralischen Leistungen aus. So kam es denn, daß fast überall die künstlerischen Directionen – selbst die eines Goethe – der neuen Ordnung der Dinge weichen mußten und die Hofintendanten in die falsche Stellung geriethen: die specielle künstlerische Leitung der Bühne zu übernehmen. Das Bureau wurde nun der Mittelpunkt der Kunstthätigkeit.

      Diese Veränderung der Theaterorganisation erwies sich viel tiefer greifend, als man wohl vorausgesehen hatte. Die dramatische Kunst war dadurch nicht nur dem Staatsinteresse entfremdet, auch die unausweichbare Nothwendigkeit ihres inneren Verfalles war damit ausgesprochen.

      Eine Kunst, die sich nur in Totalwirkungen vollendet, kann den Sammelpunkt einer künstlerischen Direction schlechterdings nicht entbehren. Der einige Geist, welcher in der Uebereinstimmung aller Theile lebendig werden soll, kann nur aus innerstem, praktischen Verständniß der Kunstthätigkeit selbst hervorgehen. Der Schauspielkunst die künstlerische Direction nehmen, hieß: ihr das Herz ausschneiden.

      Umsonst haben die Intendanten, theils mit Talent, meistens mit gutem Willen und redlichem Eifer das Naturwidrige ihrer Stellung zu überwinden gesucht; es konnte nicht gelingen. Erwägt man, wie mannichfache specielle Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Leitung eines Theaters erforderlich sind, so ist es leicht zu begreifen, daß diese nicht bei Männern gefunden werden können, welche, bis dahin Kammerherren, Hofmarschälle, Oberstall- oder Oberjägermeister, Officiere u. s. w. gar keine Veranlassung gehabt hatten irgend einem dieser Erfordernisse genug zu thun. Zwar hat man geglaubt, dem Wesen der Kunst hinlänglich Rechnung zu tragen, indem dem nichtsachverständigen Director die sachverständigen Regisseure zur Seite gestellt blieben, denen das augenfällig Technische der Leitung und die Abhaltung der Proben u. s. w. überlassen ist; in diesem Irrthume aber liegt eben der eigentliche Knotenpunkt der Verwirrung unseres heutigen Theaterwesens.

      Die Leistungen der Bühnenkunst sollen einheitliches Leben haben, darum verträgt ihre Leitung keine Theilung der Gewalt. Indem die wesentlichsten Bestimmungen: Wahl, Besetzung und Ausstattung der aufzuführenden Werke, Zusammensetzung des Kunstpersonals durch Anstellungen und Entlassungen, Urlaube, Gastrollen u. dergl. vom Intendanten, wohl auch von höheren Verfügungen, abhängig sind, bleibt der Regie nur ein beschränkter und durchaus bedingter Kreis des Wirkens, in welchem sie keine absolute Verantwortung für das Gelingen der Kunstwerke übernehmen kann, weil alle Vorbedingungen dazu nicht in ihren Händen liegen. Rühmend muß es anerkannt werden, daß einige Intendanten durch Anstellung von Oberregisseuren oder Dramaturgen der künstlerischen Autorität eine größere Ausdehnung gegeben und eine Annäherung an die alten Zustände bewirkt haben, in welchen die Intendantur nur Oberaufsicht und administrative Gewalt ausübte; aber es ist auch nur eine Annäherung. So lange die Intendanten noch für alle Einzelheiten der theatralischen Thätigkeit verantwortlich gelten, können sie sich auch der Bestimmung über dieselben nicht entschlagen, und so muß, bei diesen bestgemeinten Einrichtungen, der Nachtheil kreuzender Anordnungen ebenfalls lähmend für die Ausführung bleiben.

      Das Theater soll lebendige Kunstwerke schaffen, seine Thätigkeit muß also eine organische, von einem Lebenspunkte ausgehende sein. Die ganze complicirte Kette der Maßregeln, welche bis zum Aufsteigen des Vorhanges nothwendig sind, darf eine Hand nur halten, wenn das Werk in Einheit zur Erscheinung kommen soll; und das muß die Hand eines Sachverständigen sein. Nur der versteht aber eine Sache, der sie ausübt. Halbheit in der Machtvollkommenheit der künstlerischen Leitung, Einmischung kunstfremder Gewalten muß nothwendig Halbheit und Zerfahrenheit in ihre Resultate bringen.

      Nicht glücklicher ist die Hofintendanz in anderer Beziehung gestellt; die innere Selbständigkeit, welche sie der Kunst entzog, gewann sie nicht für sich, ja sie gerieth in Abhängigkeit, da, wo sie absolut zu herrschen unternommen hatte. Außerdem immer im Gedränge der widersprechendsten Forderungen: hier den Wünschen des Hofes zu genügen, dort den Forderungen der höhern Bildung der Nation, entgegen denen der bloßen rohen Vergnügungslust der Menge, unvermögend sich auf eine dieser Parteien mit Sicherheit zu stützen, unausgesetzt im Schaukelsystem: es bald hier, bald dort recht zu machen – mußte sie es zuletzt mit Allen verderben. Zum Ueberfluß noch verantwortlich gegen eine Oberbehörde, (das Hausministerium) die, ihrer Natur nach blos verwaltend, für das Kunstinstitut nur den Geldmaßstab haben kann, überwuchs die Verlegenheit um vortheilhafte Kassenabschlüsse zuletzt fast alle übrigen, und so sehen wir alle, so reich dotirten Hoftheater in unausgesetzter ängstlicher Bemühung um die Einnahme. Der Zuschuß aus Staatsmitteln scheint seinen eigentlichen Zweck: die Kunst unabhängig zu machen, gar nicht zu erfüllen; er hat die Kassenverlegenheit nur auf größere Zahlenverhältnisse gebracht, hat den vornehmen Hofbühnen dieselbe plebejische industrielle Richtung der Privatunternehmungen gegeben. In stetem Kreislaufe von hazardirten Ausgaben und kleinlicher Noth sie wieder zu decken, erinnert man sich kaum zu welchem höhern Zweck sie eigentlich in Bewegung gesetzt werden? Das Mittel ist zum Zweck geworden und der Zweck (die Kunst) zum Mittel; das Theater scheint lediglich eine Anstalt für den Geldumsatz zu sein.

      Consequent war es da freilich, daß man auf den Gedanken gerieth: administrativen Capacitäten müsse die Leitung des Theaters übergeben werden; der Mann der Ersparnisse galt nun für den wünschenswerthesten Intendanten. Man hatte vergessen, daß ein Theater für jeden festzustellenden Etat zu führen ist, daß es nicht darauf ankommt: wie viel oder wie wenig ausgegeben, sondern was für das Ausgegebene geleistet wird, und daß nur der Sachverständige für den möglichst geringen Preis das möglichst Beste herzustellen vermag. Die Controllansicht der Hausministerien siegte, die Höfe bemühten sich um die Wette den knappsten Haushalter zum Intendanten zu machen. Mit diesem Experimente büßte die Hofintendanz ihren unbestreitbaren Vorzug ein: den einer würdigen, achtunggebietenden Haltung, einer edlen, kunstbelebenden Liberalität. Mehr als ein Hoftheater ist, bei solcher Umwandlung, an Würde, Anstand und künstlerischem Geiste tief herabgekommen, obenein ohne die goldenen Hoffnungen auf Kassenüberschüsse erfüllt zu sehen.

      Daß dieser Zustand unhaltbar geworden, daß die Mission der Hofintendanz an ihr Ziel gelangt sei, ist eine allgemeine Ueberzeugung; es fragt sich nur: was an deren Stelle gesetzt werden soll?

      Es fehlt nicht an Stimmen, welche jede Unterstützung des Theaters verwerfen und verlangen: es solle ganz frei gegeben, d. h. sich selbst und der Concurrenz der Privatunternehmung überlassen werden; es solle aus eigener Kraft bewähren: was es werden und was es der Nation nützen könne.

      Aus dieser Forderung spricht eine untergeordnete Anschauung der Kunst überhaupt: Alles, was die Menschheit bilden und veredeln soll, muß vom Staate gestützt, vom bloßen Erwerbe unabhängig gemacht werden; das gilt von der Kunst, wie von der Schule und der Kirche. Die Concurrenz ist in unsern Tagen, selbst in ihrer Anwendung auf die Gewerbe, verdächtig geworden, und sicherlich birgt sie ein so starkes Moment der Verführung zu schlechten Hülfsmitteln, daß sie von den Maßregeln zur Hebung der Künste ein für allemal ausgeschlossen sein sollte. Privatindustrie, in Pachtverhältnissen wie in selbständigen Unternehmungen, kann, bei den Bedingungen unserer Zeit, dem Theater kein höheres Gedeihen bringen; ohne den Rückhalt kräftiger Geldunterstützung, welche den Bühnen Unabhängigkeit von der geldbringenden Menge sichert, ist ihre Führung nach reinen Grundsätzen unmöglich. Die Erfahrungen der Geschichte und unsere täglichen Erlebnisse beweisen es, daß alle Bühnen, welche auf Selbsterhaltung angewiesen sind, kleine und große, den Kampf der reinen Kunstrichtung gegen die Forderungen der materiellen Existenz nicht bestehen können. Männer wie Schröder selbst sind ihm unterlegen, auch seine Direction zielte zuletzt nur auf Gewinn.

      Befreit aber soll die Kunst allerdings werden, befreit von allen Bedingungen, die ihrer Natur zuwider sind, unter denen die erste die der unbedingten Abhängigkeit vom Erwerbe ist. Frei auf sich selbst und ihre hohe Bestimmung: den Menschen die Menschheit darzustellen, dem Volke das Leben der Völker abzuspiegeln, soll die dramatische Kunst gestellt werden. Unabhängig von der Herrschaft des Geschmacks einzelner Standesschichten, seien es die höchsten, seien es die niedrigsten, nur auf die Vernunft und den besseren Willen der Nation gestützt, soll sie die Opposition gegen das wandelbare Urtheil der Massen halten können, eine unbestechliche Priesterschaft der Wahrheit und des Adels der menschlichen Natur.

      Diese Freiheit aber der Schaubühne kann nur auf dem Boden einer höheren Gesetzlichkeit stehen, einer ernsten Verpflichtung zur Treue gegen ihre Bestimmung. Streng gehalten muß