Setma, das türkische Mädchen. Christian Barth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Barth
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
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und sich zum Besitzer davon macht, besonders aber, wenn ich darauf Acht hatte, welch’ trauriges Ende der Undank nimmt. O du armer Mann! dachte ich da, du hast auch nichts vom Unglück des Frosches gehört!

      So lebte ich nun unter glücklichen Umständen in leichtem Kindersinne dahin bis in’s eilfte Jahr; da hatte ich die erste schmerzhafte Erfahrung zu machen. Mein Vater wurde gefährlich krank, und man sagte mir bald, daß an seine Genesung nicht mehr zu denken sei. Ich war untröstlich, denn ob er gleich ein strenger Mann gewesen, so hatte ich ihn doch herzlich lieb, und konnte mich nicht in die Trennung von ihm schicken. Ich kniete oft an seinem Krankenlager und weinte. Er war ganz ruhig und in sein Schicksal ergeben. „Jedem Menschen,“ sagte er, „ist seine Stunde bestimmt, und er kann ihr nicht entrinnen. Die meinige ist nun gekommen, und ich fürchte sie nicht. Ich hoffe, in das Paradies einzugehen. Allah akbar! (d. h. Gott ist groß!)“ Mein Vater verließ sich darauf, daß er in Mekka gewesen, und glaubte deßwegen, die Seligkeit könne ihm nicht fehlen. Als ich nachher zur Erkenntniß der christlichen Wahrheit kam, war ich oft wegen seines Schicksals in der Ewigkeit sehr bekümmert, bis mich Gott nach Seiner großen Barmherzigkeit auch darüber innerlich beruhigte. Am siebenten Tage nach dem Anfang seiner Krankheit starb mein Vater. Nach der Beerdigung übernahm mein Bruder das Handlungsgeschäft und die Haushaltung. Sonst blieb Alles beim Alten. Guly besuchte mich alle Tage, und wir brachten die meiste Zeit bei einander zu. Zwar gab’s ein Jahr darauf einen schweren Krieg. Eine türkische Armee zog bis nach Wien, und belagerte diese Stadt neun Wochen lang, wurde aber geschlagen, und mußte in Eilmärschen sich bis nach Belgrad zurückziehen. Da kamen auch viele Tausende gefangener Christensklaven durch die Stadt, welche durch ihr jammervolles Aussehen manches türkische Herz zum Mitleiden bewegten. Aber Alles das gieng vorüber, und war für Kinder meines Alters mehr ein unterhaltendes Schauspiel als ein Gegenstand ernsthafter Ueberlegung. Sonst gieng ein Tag dahin wie der andere, mit wenig Abwechslung in unserem kleinen häuslichen Kreise. Was ich wünschte, bekam ich im Ueberfluß; Plage hatte ich keine als manchmal Langeweile; zu fürchten hatte ich auch nichts als die Trennung von meiner Guly, welche ich wie eine Schwester liebte. Dieß ist Alles, was ich von meiner Jugendzeit bis in’s siebenzehnte Jahr meines Alters zu erzählen weiß. Als ich dasselbe angetreten hatte, gefiel es meinem Bruder, dem ich wie einem Vater gehorchen mußte, mich mit einem seiner Freunde, einem türkischen Kriegs-Commmissär und Zahlmeister bei den Janitscharen, zu verloben. Ich kannte ihn nicht, war auch nicht darum befragt worden, und das Widerstreben hätte nichts geholfen: ich mußte mich also darein ergeben. Was mir diese Veränderung am meisten erschwerte, war die Besorgniß, in Zukunft die Gesellschaft meiner lieben Guly entbehren zu müssen, an die ich mich so sehr gewöhnt hatte. Aber wie ganz anders gieng’s! Mein Bruder hatte beschlossen, ehe die Heirath wirklich vollzogen würde, noch eine große Geschäftsreise nach Tiflis und Ispahan zu machen, und trat diese Reise im Juni des Jahres 1688 wirklich an. Ich nahm Abschied von ihm, ohne daran zu denken, daß wir uns zum letzten Mal gesehen hätten. Aber bald hieß es, Belgrad solle belagert werden, und schon im Anfang des August rückten die Deutschen, unter der Anführung des tapfern Kurfürsten von Bayern, Maximilian Emanuel, gegen die Stadt an. Im Anfang hatten die Türken gar wenig Furcht, und hielten es fast für unmöglich, daß die Stadt eingenommen werden könnte; deßwegen wurde auch Niemanden gestattet, aus der Stadt zu flüchten. Aber am 10. August merkte man aus den Anstalten, welche die Deutschen trafen, daß es ihnen mit der Belagerung Ernst sei, und nun bekamen die Einwohner der Stadt Erlaubniß, auf ihre Rettung bedacht zu sein. Viele Personen brachten nun ihr bestes Eigenthum auf die Schiffe, und fuhren damit die Donau hinunter. Aus allen Straßen drängten sich Leute herzu, welche ihr Leben vor dem Christenschwert, und ihre Habe vor den räuberischen Christenhänden in Sicherheit bringen wollten. Aber noch war nicht die Hälfte der Fliehenden eingeschifft, als sich ein ungemein heftiger Sturmwind erhob, der die übrigen vom Strome hinweg in ihre Häuser trieb, um auf den morgenden Tag zu warten, denn während des Sturmes war es nicht möglich, die Schiffe zu laden und fortzubringen. Unter diesen Flüchtlingen, die wieder in die Stadt zurückkehren mußten, war auch ich. Mit zwei Sklavinnen und einem Bedienten hatte ich mein väterliches Haus verlassen, und nichts mit mir genommen, als eine kleine Kasse voll Goldstücke und mein Juwelenkästchen. Aber ich war zu spät an den Haven gekommen, um noch mit den ersten Schiffen abfahren zu können, und als ich schon mit einem andern Schiffer für mich und meine Leute akkordirt hatte, was mein Bedienter besorgte, da kam jener Sturm, und trieb uns in die Stadt zurück. Es war eine angstvolle Nacht, und kein Schlaf kam in meine Augen. Der Sturm wehte heftig fort, und wenn er morgen nicht aufhörte, so war zu befürchten, daß uns der einzig noch offene Weg zu entkommen, auch vollends verschlossen werde. Endlich nach Mitternacht wurde es ruhig, der Sturm hatte aufgehört, und ich faßte wieder neuen Muth und neue Hoffnung. Die Augenblicke wurden mir zu Stunden, bis der Tag anbrach, und ich das Haus verlassen konnte, um zum Haven in das rettende Schiff zu eilen. Zuerst gieng ich nach dem Hause meiner Freundin Guly, deren Familie sich, wie ich erst spät in der Nacht hörte, endlich auch noch entschlossen hatte, zu fliehen. Aber schon dort hörte ich, was den muthigsten Flüchtling in Angst und Schrecken setzen mußte, daß nämlich die Stadt umher von den Deutschen völlig berennt und eingeschlossen sei; kein Ausweg zur Flucht sei mehr offen, und ein Jedes müsse sich nun auf das Schicksal gefaßt machen, das auf die Einwohner einer belagerten und eroberten Stadt warte. Unglückselige Botschaft! Da stand ich, von allen meinen Hoffnungen herabgeworfen zu der traurigen Nothwendigkeit, in die Hände christlicher Sieger zu fallen, die an den Türken so viel erlittene Mißhandlung und Grausamkeit zu rächen hatten. Ich fiel meiner Freundin um den Hals und weinte, und sie weinte mit. O die armen kurzsichtigen Menschen, die sich so viele vergebliche Sorgen machen! O die noch ärmeren, die keinen lebendigen Gott kennen, auf den sie ihr Vertrauen setzen dürften, und daher in Verzweiflung gerathen, sobald es dunkel wird um sie her! So war ich damals. Die erbarmende Liebe Gottes, welche etwas Besseres für mich ausersehen hatte, machte mir das Entrinnen unmöglich, und ich war darüber höchst unzufrieden und schmerzlich betrübt. Er wollte mir zur wahren Freiheit helfen, und mir graute nur vor Ketten und Banden des Leibes. O Er hielt mich damals schon fest mit Seilen der Liebe. Lobe den Herrn, meine Seele!

      Zweites Kapitel

      Der Besuch in Wien

      So nahm denn am 11. August die eigentliche Belagerung der Stadt ihren Anfang, und weil ich in der Vorstadt an der Oberstadt wohnte, so mußte ich meine Wohnung gleich den Feinden überlassen, und mich auf die andere Seite in die Wasserstadt flüchten, wo ich in dem Hause meiner Freundin Guly freundliche Aufnahme fand. Das war eine Zeit großer Angst und Furcht, in welcher eine Schreckensbotschaft die andere ablöste, die Tage ohne Ruhe und die Nächte ohne Schlaf dahingiengen, und jeder Lebende nur Einen Nachbar hatte, nämlich den Tod. O hätte ich damals recht beten können, wie viel leichter wäre mir das Alles zu tragen gewesen! In den sechs und zwanzig Tagen der Belagerung wuchs die Noth und Beängstigung von Tag zu Tage mehr. Alle Nachrichten von den täglichen Fortschritten der Feinde überzeugten uns, daß nichts Anderes als die Einnahme der Stadt zu erwarten sei. Endlich am 6. September wurde, ungeachtet der verzweifelten Gegenwehr von türkischer Seite, durch die unglaubliche Tapferkeit der Christen die Stadt und Festung mit stürmender Hand erobert, und in der ersten Hitze Alles niedergemacht. Da die Wasserstadt, wo wir wohnten, am weitesten von dem Anlauf entfernt war, so mußten wir auch länger in der Todesangst schweben. Immer näher wälzte sich das brüllende Geschrei der Sieger und das jammernde Wehklagen der Mißhandelten und Sterbenden; ich hatte mich darauf gefaßt gemacht zu sterben, und es war noch mein einziger Wunsch, nur nicht den Barbaren als Sklavin in die Hände zu fallen. Aber was ich auf’s Aeußerste fürchtete, gerade das widerfuhr mir. Ein vornehmer Offizier nahm mich gefangen, ergriff mich bei der Hand, und riß mich in größter Eile mit sich fort. So gieng’s denn durch das Gedränge von Menschen und Pferden, über Todte und Verwundete hinüber, durch Bäche von Blut, unter herzzerreißendem Geschrei von allen Seiten, der Sklaverei zu, vor der mir’s tausendmal mehr schauderte, als vor dem Tode. Welche Bestürzung, welches Entsetzen mich damals ergriffen hatte, kann man sich denken. Etlichemal suchte ich, wenn wir in’s Gedränge kamen, mich loszureißen, und wollte lieber von den Pferden zertreten werden, als eine Gefangene der Christen sein. Aber ich wurde fest bei der Hand gehalten, und mußte folgen, wohin ich nicht wollte, bis ich, von fremdem Blut fast ganz überzogen, endlich mit großer Mühe in’s feindliche Lager gebracht war.

      So mußte ich denn Sklavin sein unter einem Volke, das