Am 29. Dezember bekamen wir das einsame Eiland Fernando Noronha in Sicht. Fernando Noronha ist eine brasilianische Verbrecherkolonie. Wir fuhren Nachts zehn Uhr so nahe daran vorüber, dass wir deutlich die dunklen Umrisse des Piks und der nächsten Hügel und lebhaft am Strande sich hin und her bewegende Lichter erkannten. Vielleicht hielt man uns dort für das von der Regierung gesandte Schiff, welches den auf die Insel Verbannten von Zeit zu Zeit Lebensmittel und Nachrichten bringt.
Der ewige Gegenwind aus Süd hielt an, und am 31. Dezember sahen wir von der Mastspitze aus den Pik von Fernando Noronha abermals, jetzt ungefähr 30 Seemeilen entfernt und von der anderen südlichen Seite.
Endlich am 6. Januar kam der langersehnte Südostpassat. Aber wir hatten die Ostecke Südamerikas noch nicht passirt und waren der Küste so nahe, dass wir noch mehrere Tage kreuzen mussten. Immer wieder führte unser Kurs, wenn wir ihn mit dem Lineal auf der Karte absetzten, gegen Land, und wir mussten wieder wenden und halb rückwärts fahren.
Die dunstige Hitze der Aequatorstillen schwand vor der frischen Brise aus dem Schiff, und eine angenehme Kühle erquickte die erschlafften Nerven. Keine hundert Seemeilen zur Rechten lag Parahyba. Wie mochte es dort drüben im üppigen Dickicht tropischer Vegetation wimmeln von stechenden Moskitos und schillernden Käfern, von schreienden Papageien und giftigen Schlangen, von kletternden Affen und schleichenden Raubthieren, wie mochte die Sonne dort drüben herabglühen auf all das bunte Leben. Und hier auf dem Wasser hatten wir ungefähr die Temperatur eines deutschen Sommers.
Erst jetzt wurde uns der volle Genuss des Segelns im Passat zu Theil, der auf der nördlichen Hemisphäre durch abnorme Witterungsverhältnisse uns so sehr geschmälert worden war. Die See schien ihre ganze Natur verändert zu haben. Ein ewig blauer Himmel wölbte sich über der blauen Fläche und die freundlich strahlende Sonne und der gleichmässige köstliche Wind vereinigten sich zu einer angenehmen, milden Wärme. Nur rings um den Horizont lag die Kette der geballten Passatwolken.
Grosse rosenrothe Schwimmblasen von Physalien, die »Portuguese Men of War« der Seeleute, schaukelten sich auf den munter hüpfenden Wellen. Bläulich schillerten und schossen durch die Fluth vor dem Schaum aufwühlenden Steven flinke Bonitos und Delphine und spotteten unserer Angel. Putzköpfe, jene kleinste Art der Walfische, umspielten zuweilen das Schiff, bliesen ihren Wasserstaub aus den Nasenlöchern, peitschten mit ihren mächtigen Schwanzflossen das Meer und schnellten ihre ganzen ungeschlachten Körper gleichsam jauchzend hoch in die Luft.
Nachts aber glimmte es geheimnissvoll in den dunklen Tiefen der Salzfluth. Unzählige Funken erhellten den schaumigen Streif des Kielwassers, den wir zurückliessen, und wie Wetterleuchten fuhr es zuweilen glitzernd über den ganzen Spiegel der See hin. Ein paar mal fuhren wir Stunden lang durch Schwärme von Pyrosomen. Sie waren nur bei Nacht als feurige Zylinder zu sehen, namentlich deutlich und zahlreich im sprudelnden Kielwasser, da sie, erregt, stärker zu phosphoresziren pflegen. Erst kurz vor Neuseeland gelang es mir, mehrere zu erbeuten.
Alle waren jetzt guter Laune, bis auch das schöne Passatwetter langweilig wurde. Selbst der Kapitän thaute auf, aber erst, als wir die Höhe von Pernambuco hinter uns und wieder freies Wasser vor uns hatten, welches erlaubte, den Kurs beizubehalten. Er mochte sich wohl Gewissensbisse darüber machen, dass er soweit nach Westen herüber gegangen war. Es galt nun mit dem Passat so weit als möglich nach Süden hinab zu gelangen, um erst im Bereich der aus Westen kommenden Strömungen und Winde gegen Ost abzuschwenken.
Bis Mitte Januar war unser Gesundheitszustand ein sehr günstiger gewesen, und ich wiegte mich bereits in der Hoffnung, dass wir ohne Todesfall nach Neuseeland kommen würden. Meine frohe Zuversicht erlitt plötzlich rasch nacheinander heftige Stösse.
Die beiden Hospitäler füllten sich in wenigen Tagen mit fiebernden Kranken, und jeden Tag kamen neue. Die Fieber stiegen stetig höher, und Erscheinungen gesellten sich hinzu, die mir keine andere Diagnose als Abdominaltyphus, die gefürchtete Schiffspest, gestatteten. Anfänglich sträubte ich mich gegen die traurige Wahrheit. Ich suchte mich selbst zu täuschen und anzunehmen, es sei vielleicht doch nur eines jener räthselhaften, noch wenig bekannten Tropenfieber, die uns von der afrikanischen oder brasilianischen Küste zugeweht worden. Die grosse Unregelmässigkeit der meisten Anfangsstadien unterstützte mich in dieser Annahme. Aber bald mussten auch die letzten Zweifel schwinden, und als am 1. Februar fast gleichzeitig zwei Todesfälle eintraten, verschafften mir die Sektionsresultate volle handgreifliche Gewissheit.
Die eigenthümliche Thatsache, dass unsere Epidemie so plötzlich ausbrach, nachdem wir bereits zwei Monate auf See und ohne Berührung von Land gewesen, liess sich vielleicht dadurch erklären, dass das Krankheitsgift, welches zweifellos schon bei der Abreise von Hamburg im Schiff gesteckt haben musste, anfangs zu schwach war, um deutliche Erscheinungen hervorzurufen, und erst unter dem Einfluss der langen tropischen Feuchtigkeit und Hitze zu grösserer Wirksamkeit sich entwickelte.
Es waren zwei junge, kräftige, vor Kurzem noch blühende Weiber, eine Polin und eine Dänin, die als die ersten der tückischen Seuche zum Opfer fielen. So hatten wir denn am folgenden Morgen das trübselige Schauspiel einer doppelten Leichenbestattung. Die Flagge wurde zum Zeichen der Trauer halbstocks gehisst. Eine fremdartige Stille herrschte auf dem Schiff, Passagiere und Mannschaft waren erschüttert und in gedrückter Stimmung. Alles fürchtete sich vor dem unheimlichen Gast, der unsichtbar und unheilschwanger unter uns hauste. Vier Matrosen trugen die in Segeltuch eingenähten und mit Flaggen bedeckten Leichen aus dem Hospital um den Grossmast herum nach Steuerbord, welcher eben Leeseite war, voran die Missionäre, hinterdrein die Angehörigen, der Kapitän und ich und die ganze Bevölkerung. Die Missionäre sprachen ein Gebet, dann glitten von dem Bollwerk unter der Flagge hinweg, an kurzen Tauen gehalten, die Leichen ins Meer und verschwanden, durch Steinkohlen beschwert, gurgelnd in die Tiefe. Einige Luftblasen stiegen an die Oberfläche zurück, und von den theuren Körpern war nichts mehr zu sehen. Zerknirscht stund die Menge herum, und ausser dem Schluchzen und Weinen und ausser dem Rauschen der Fahrt regte sich kein Laut.
Nach der Reihenfolge des Sterbens wurde zuerst die Polin, dann die Dänin zur Ruhe gesenkt. Niemals schnitt eine Melodie mir schriller und schärfer ins Ohr, als der polnische und dann der dänische Grabgesang, welche die Feier beschlossen. Ruhte ja doch auf mir die Hauptlast unseres Unglücks, und wusste doch Niemand an Bord besser als ich, wie unzureichend und ohnmächtig die ganze Medizin einer solchen Epidemie gegenüber ist. Wir hatten noch ungefähr die Hälfte der Reise vor uns, und es war mir gewiss, dass die eben ad Akta gelegten zwei Fälle nur den Anfang einer Reihe anderer bildeten, wenn ich auch gegen Niemand den Namen Typhus aussprach und stets die tröstlichste Zuversicht heuchelte, dass die Krankheit in den nun bevorstehenden kälteren Breiten rasch aufhören würde.
Die Erkrankungen nahmen immer mehr zu. Es wurde unmöglich, sämmtliche Kranke zu isoliren, blos die schwersten konnten im Hospital Unterkunft finden. Häufig brachen ganz plötzlich furibunde Delirien aus bei solchen, die bisher nur leicht ergriffen waren. Heute wurde mir vielleicht ein Frauenzimmer vorgeführt, das auf einmal im Bette herumzuschlagen begonnen hatte, morgen vielleicht ein junger Bursche, der den Versuch gemacht, ins Wasser zu springen. Wenn ich sie mit dem Thermometer mass, hatten sie die höchsten Temperaturen.
Tag und Nacht in Anspruch genommen, ohne geschulte und gewissenhafte Wärter, hatte ich fast Alles selbst zu thun. War es mir gelungen, gegen ansehnliche Geldversprechungen ein wenigstens der Zahl nach genügendes Personal für die Krankenpflege zu engagiren, so liefen sie nach wenigen Tagen eigenmächtig wieder hinweg oder holten mich Nachts aus dem Bett, um mir zu erklären, dass sie sich vor den Delirien fürchteten und es nicht mehr aushalten könnten.
Unter solchen Umständen wurde die Seereise ungemüthlich. Eine mächtige Sehnsucht nach Land, namentlich nach Ruhe und Alleinsein, nach Waldesdunkel und Wiesengrün, ergriff mich. Sie sollte erst in sechs Wochen einigermassen gestillt werden.
IV
IM INDISCHEN OZEAN
Um das Kap herum. Segeln vor dem Sturm. Die Krozet Islands. Unsere Typhusepidemie steigt. Gedrückte Stimmung. Zur Naturgeschichte der Seeleute. Albatrosse und sonstige Vögel. Ventilationseigenthümlichkeiten.
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