Stille Helden. Boy-Ed Ida. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Boy-Ed Ida
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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seine Gunst besaß, war allen Menschen der Gegend gleich interessanter.

      Für Klaras Feingefühl hatte diese Erklärung aber irgend etwas Kleinliches, ihr nicht Zusagendes, und auch eigentlich zu Likowski nicht Passendes. Ganz abwehrend klang ihr Ton, als sie sofort eilig hinzufügte: »Ich schulde Herrn Geheimrat viel Dank, er ist sehr gütig. Pflegetochter – das ist zu viel gesagt.«

      Und sie sprach gleich weiter und sah den Freiherrn gerade an. »Der Geheimrat kennt Sie. Er hat mir von Ihnen erzählt. Sie waren einigemal bei Verwandten von Ihnen zusammen zur Jagd eingeladen …«

      »Wie ist das viel, daß ein solcher Mann sich an den bescheidenen Leutnant erinnert. Ich kann Ihnen beipflichten: er ist sehr gütig – er war es zu mir und würdigte mich manchen Gespräches, das mir so lehrreich war. Nun ist das Jagen wohl für immer vorbei?«

      »Oh,« sagte Klara gläubig, und ihre Augen bekamen feuchten Glanz, »ich hoffe, daß er noch einmal ganz der frühere wird – die linke Hand kann er schon wieder bewegen. Und das Bewußtsein war ja damals sofort wieder klar – das ist das große Glück …«

      »Pu–r–r–r,« machte Likowski mit den Lippen, um Nässe- und Kälteschauer auszudrücken. »Angelangt – na, nu hopp!«

      Und mit einem Schritt stand er auf der Brücke unterhalb der Sandsteintreppe. Er nahm die Stufen hinauf mit einer strammen Gleichmäßigkeit des Schrittes. Hinter ihm folgten Klara und der Oberleutnant.

      »Darf ich Sie bitten – Fräulein Hildebrandt? – nicht wahr? – Herrn Geheimrat Lohmann meine verehrungsvollsten Grüße und Wünsche auszurichten.«

      »Gern. Er hat einmal ausdrücklich gesagt, wie es ihm leid sei, Sie noch nicht gesehen zu haben. Aber Gäste kann er noch nicht empfangen – darf noch nicht.«

      Dann geleiteten die Herren, da sie vorerst den gleichen Weg hatten, Klara noch auf der Landstraße an den Anlagen vorbei. Sie sah zum Erker hinauf, der in der Mitte des ersten Stockwerks aus der Front des Herrenhauses hervorsprang. Und sie sah: da beugte sich das grauhaarige Haupt aus den Lehnen des mächtigen Stuhles heraus – so, als sei es vorwärts über ein Buch oder eine Schrift geneigt. Daß er nicht aufpaßte, um sie zu begrüßen, war ein selten vorkommendes, auffallendes Ereignis.

      Da mußte er schon mit etwas sehr Wichtigem beschäftigt sein.

      Likowski erzählte: seine Kerle unter der väterlichen Führung von »Baby« Hornmarck seien schon über die Hochbrücke marschiert, um sich im Grabenausheben und Schanzenaufwerfen zu üben. Er habe den Bauern Vietig bewogen, seine Brachkoppel dazu herzugeben.

      Nun schritten sie an dem mit Eisenspitzen bewehrten Palisadenzaun des Werkes hin – nun kamen sie an den stattlichen Verwaltungsgebäuden vorbei, die mit ihren Fassaden den Zaun unterbrachen. Und da war das mächtige Tor, über dem auf breitem grauen Blechschild in schwarzen Lettern zu lesen stand: Eisenhütte Severin Lohmann.

      Gerade stand der Portier vor seinem Häuschen, das sich drinnen an den Torpfosten drängte, und sah einen ausfahrenden Wagen untersuchend durch. Die schweren vlämischen Pferde standen halb schon zum Torbogen hinaus, und ihre Nüstern dampften.

      Diesem Tore gegenüber mündete ein Landweg, von Knicken eingefaßt, in die Straße, die an Severinshof vorbei und weiter hinaus ging.

      Und hier mußten die Herren sich verabschieden. Likowski konnte es nicht, ohne noch eine von seinen bitter-humoristischen Betrachtungen anzustellen.

      »Wissen Sie, Fräulein Hildebrandt – im Grunde – nee wirklich – tun wir ja ziemlich was Ähnliches. Nämlich: vorbereiten! Sie schuften, um aus den rotznasigen Bengels unterrichtete, manierliche Jünglinge zu machen. Wir schuften, damit diese Jünglinge fixe Kerls werden, die nich mit der Wimper zucken, wenn’s endlich ans Dreinschlagen geht. Na, und danken tut uns das keiner – Ihnen nich – uns nich – is auch egal! In der stillen Schufterei is doch was drinn – das erhebt. – Na, also: empfehl’ mich gehorsamst …«

      Er verbeugte sich und legte die Finger an den Mützenrand. Und so tat auch Marning.

      »Ja,« sagte Klara, »wenn man es so nehmen will –«

      Sie neigte, ein wenig lächelnd, ihr Gesicht – das war ein abschiednehmender Gruß voll Anmut und doch voll Zurückhaltung.

      Die beiden Herren stapften in den lehmigen Knickweg hinein. Das dicht verschrankte Gezweig und Gerank der Knicke, das Laub der Hainbuchen und der Schlehdorne, die kletternden Jelängerjelieberstengel, die grünen Zweige der wilden Rosen bildeten nasse Mauern. Und in den Spuren der Räder floß gelbes Wasser.

      »Was für eine Stellung nimmt dies Fräulein Hildebrandt ein?« fragte Marning.

      »Klara Hildebrandt? Stellung? Gar keine. Oder ’ne schiefe – man weiß nie recht. Wohin gehörtse nu eigentlich? Und haben tutse nischt. – Kann einen dauern. ’n Mächen I a! Viele sagen: natürliche Tochter vom alten Lohmann. Aber meine olle Lamprecht sagt: Quatsch! Das Wurm sei an die zwei Jahr alt gewesen, als die Eltern es mit herbrachten und der Geheimrat ihre Mutter überhaupt erst kennen lernte.«

      »Wenn sie die Tochter vom Geheimrat wäre, würde er sie legitimieren und sie nicht so hart für ihr Brot arbeiten lassen,« meinte der Freiherr.

      »Das erstere allemal – der ist nicht der Mann, was zu verstecken. Das zweite sagen Sie nich – vielleicht erst recht. Na – aber Fräulein Hildebrandt würd’ mich schön ’runterputzen, wenn sie wüßte, ich bedauerte sie. Wissen Sie, Marning – wenn ich mir das Heiraten nich abgeschworen hätte: die könnt’ einen wankend machen. Mein Vermögen langt ja. Und n’ Dispens kriegte man woll durch den Geheimrat – der hat Beziehungen – Verbindungen bis ganz oben ruff … Nee –«

      »So ehefeindlich?« fragte der Kamerad lächelnd.

      »Nich aus Weiberfeindschaft! Ih wo! Aber sehen Sie: mal muß es ja doch endlich losgehen – wir lassen uns ja rein auf der Nase ’rum spielen, das kann ja nich dauern. Na, und denn will ich kein weinendes Weib und keine schreienden Kinder zurücklassen, und mein Herz soll keinen Zwiespalt haben.«

      »Es gibt auch tapfere Frauen. Wir haben eben eine gesehen.«

      »Ach Gott – das is ja nu ganz was anderes, untern bißchen mühseligen Umständen dem Broterwerb nachgehen als ’n geliebten Mann in ’n Krieg ziehen lassen. In der Liebe verändern sich die Weiber völlig.«

      Marning dachte an das schöne, etwas strenge Gesicht unter den braunen Haaren, auf denen die pastellblaue Wollmütze saß. Er war sich nicht klar, woher der Ausdruck von Strenge kam. Plötzlich begriff er: diese seltsam geraden Brauen – die gaben diesen Zug.

      Likowski sagte jetzt: »Hören Sie mal – Sie müssen aber Besuche machen. Wenn Sie sehr gesellig veranlagt sind, können Sie ’rauf nach Lübeck fahren. Da is viel los – gastfreie Menschen die ollen Hanseaten. – Ich komm’ nich oft hin – unterhalt’ bloß kameradschaftliche Fühlung mit dem Regiment da – fahr’ kaum mal ins Theater. Das nimmt Zeit. Tags kann man nich zum Studieren kommen. Sie wissen ja: ich beschäftige mich immerlos mit Strategie, auch der älteren, hab’ mir grade Willisen und Jomini angeschafft – man lernt ja immer noch zu. Das kommt einem doch zustatten, wenn’s los geht. Und das tut es doch mal – muß es mal! …«

      »Nein,« sagte Marning. »Ich bin nicht übermäßig gesellig. Nur grade, was sein muß –«

      »Na – freilich. Ganz abschließen kann man sich nich. Verkehr ist Pflicht. Man lernt auch hie und da. Bloß nich Kommiß werden! Mit Scheuklappen. Nee. Also denn hier ’rum. Allzuviel is es nich. Um Überblick zu geben: da is der Großindustrielle Stuhr – der mit der Sensenfabrik – entzückende Krabbe von Tochter – nächstes Jahr geht sie aus. Denn die paar Honoratioren – drüben der Generaldirektor Thürauf – wohnt dicht bei der Kolonie Severinshof – kluger Mann, feine, hübsche Frau – drei prosaische Töchter – semmelblond – gute Diners und gemütlich. Ein paar Güter. Vor allem Schloß Lammen! Gott, über die verwitwete Baronin Hegemeister reden sich die Leute ja auch die Zunge wund und fuselig: soll ’n dolles Mädchen gewesen sein – die Eltern, reiche Parvenüs, hatten alle Ursache, sich’s zwei Millionen kosten zu lassen, damit sie unter Dach und Fach kam. Der alte,