Sämmtliche Werke 4: Mirgorod. Gogol Nikolai Vasilevich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gogol Nikolai Vasilevich
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Классическая проза
Год издания: 0
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harten XV. Jahrhundert, in einem von halben Nomaden bewohnten Winkel Europas geboren werden konnten, als noch das ganze alte Süd-Rußland, von seinen Fürsten verlassen, durch die unaufhaltsamen Überfälle der mongolischen Räuber von Grund auf verwüstet und verheert wurde; als die Menschen ihres Herdes und jeglicher Habe beraubt, immer tollkühner und verwegener wurden, sich im Angesicht der ständigen Gefahr und der furchtbaren Feinde in ihren abgebrannten Häusern niederließen und sich, der Furcht spottend – daran gewöhnten, dem Kampf mutig ins Auge zu schauen; als der alte, friedliche slavische Geist von der kriegerischen Flamme erfaßt wurde, als das Kosakentum, dieses machtvolle Symbol der russischen Natur, erstand und alle an den Flüssen gelegenen Gegenden, alle Fähren und alle niedrigen und bequem liegenden Plätze von Kosaken überschwemmt wurden, deren Zahl niemand anzugeben wußte und deren kühne Kameraden einem Sultan auf seine Frage nach ihrer Anzahl antworten durften:

      „Wer soll das wissen? Die ganze Steppe ist mit ihnen übersät, und wo sich nur ein Hügelchen erhebt, da ist auch schon ein Kosak.“ Es war wirklich eine ungewöhnliche Erscheinung der russischen Kraft, die der Feuerstrahl des Unglücks aus der russischen Brust geschlagen hatte. An Stelle der früheren Lehnsgüter, der mit Hundewärtern und Oberjägermeistern bevölkerten kleinen Städte, an Stelle der kleinen Fürsten, die sich gegenseitig bekriegten und ihre Städte verhandelten, entstanden trotzige Niederlassungen, Kosakendörfer und Ortschaften, die durch die gemeinsame Gefahr und den Haß gegen die heidnischen Räuber verbunden waren. Es ist jedem aus der Geschichte bekannt, wie ihr ewiger Kampf und ihr ruheloses Leben Europa vor den beständigen Angriffen der Mongolen gerettet haben, die es zugrunde zu richten drohten. Die polnischen Könige, die an Stelle der Lehnsfürsten die Herrscher dieser großen Ländereien geworden waren, begriffen – obgleich sie zu weit entfernt und zu schwach waren – sehr wohl die Bedeutung der Kosaken und den Vorteil dieses so kampffrohen und wachsamen Lebens.

      Sie spornten die Kosaken sogar an und leisteten ihren Neigungen Vorschub. Unter ihrer durch ihre Entfernung nur wenig drückenden Herrschaft schufen die Hetmane, die selbst aus der Mitte der Kosaken gewählt wurden, die Dörfer und Ansiedelungen in regelrechte Truppenlager und Reviere um. Dies waren zwar keine regulären Truppen – die hätte man hier vergebens gesucht – aber im Kriegsfall, wenn eine allgemeine Bewegung durch das Land ging, stellte sich jeder Kosak in höchstens acht Tagen hoch zu Roß in voller Rüstung ein. Ein jeder erhielt vom Könige für seine Dienste nur einen Dukaten, und doch wurde innerhalb zwei Wochen ein solches Heer aufgestellt, wie es keine Rekruten-Aushebung hätte schaffen können. Wenn der Krieg beendet war, kehrte jeder Krieger zu seinen Wiesen und Weideplätzen, oder zu den Ufern des Dniepr zurück, lebte dort als Fischer weiter, handelte, braute Bier, und wurde wieder ein freier Kosak.

      Die Ausländer waren damals mit Recht erstaunt über die außerordentlichen Fähigkeiten des Kosaken. Es gab kein Gewerbe, das er nicht verstand: Wein keltern, Wagen bauen, Pulver mahlen, Schmiede- und Schlosserarbeiten verrichten und dazu die ganzen Nächte hindurch bummeln, trinken und zechen, wie nur irgend ein Russe das vermag – das alles war so recht nach seinem Geschmack. Neben den registrierten Kosaken, die es für ihre unabweisliche Pflicht hielten, sich im Kriegsfalle zur Verfügung zu stellen, konnte man im Notfalle auch noch jederzeit ganze Scharen von Freiwilligen zusammenbringen; zu diesem Zwecke mußten die Unterhauptleute nur einmal durch alle Märkte und Plätze der Dörfer und Städtchen hindurchfahren und von ihren Wagen herab laut verkündigen: „Hallo, ihr Bierbäuche und Bierbrauer! Hört doch endlich auf, immer nur Bier zu brauen, hinter dem Ofen herumzuliegen und die Fliegen mit euren dicken Wänsten zu mästen. Macht euch auf, Ruhm und Ritterehre zu erwerben! Hallo, ihr Ackerleute, ihr Bauern, Schafhirten und Weiberknechte! Ihr seid lange genug hinter dem Pfluge einhergelaufen, habt eure gelben Stiefel mit Erde beschmutzt und mit den Weibern scharwenzelt. Wollt ihr eure Ritterehre ganz vergessen? Auf, Kerls, es ist Zeit, wieder Kosakenruhm zu erwerben!“ Solche Worte waren gleich Funken, die in trockenes Holz fielen. Der Ackermann zerbrach seinen Pflug, die Bierbrauer verließen ihre Kübel und zertrümmerten ihre Fässer, die Händler und Handwerker ließen ihr Handwerk und ihren Laden zum Teufel gehen, zerbrachen zu Hause das Geschirr, und wer es nur irgendwie durchsetzen konnte, schwang sich aufs Pferd. Kurz, der russische Charakter kam hier mächtig und herrlich zur Entfaltung und zeigte sich in einer neuen, kräftigen Gestalt.

      Taraß gehörte noch zu den alten Kosakenhäuptlingen von echtem Schrot und Korn: sein ganzer Charakter war dazu angetan, die Gefahren und die Unruhe des Krieges auf sich zu nehmen, und er zeichnete sich durch ein grobes, aber offenes und gerades Wesen aus. Damals machte sich bereits der Einfluß Polens im russischen Adel bemerkbar. Viele hatten polnische Sitten angenommen, führten ein üppiges Leben, besaßen eine glänzende Dienerschaft, Falken, Hunde und ein großes Gefolge, und hielten zudem rauschende Feste und Bankette ab. All das war Taraß verhaßt. Er liebte das einfache Leben der Kosaken, entzweite sich oft mit seinen Genossen, die der Warschauer Art zugeneigt waren, und nannte sie Sklaven der polnischen Pane. Nie gönnte er sich Ruhe und er hielt sich für den rechtmäßigen Beschützer der rechtgläubigen Kirche. Unerwartet und eigenmächtig kam er in die Dörfer, wo man über den Druck der Pächter oder über die allzu harten neuen Steuern klagte, die auf den Höfen lasteten. Dort hielt er selbst inmitten seiner Kosaken Gericht ab. Er hatte es sich zur Regel gemacht, in drei Fällen stets zum Säbel zu greifen, erstlich wenn die Kommissare den Ältesten der Gemeinde nicht die nötige Achtung erweisen wollten und mit der Mütze auf dem Kopfe vor ihnen standen; zweitens, wenn sie über die rechtgläubige Kirche spotteten und die Sitten der Vorfahren belächelten, und endlich drittens: wenn es sich um Feinde, Türken und Mohammedaner handelte, gegen die er es stets für erlaubt hielt, zum Ruhme der Christenheit das Schwert zu ziehen.

      Jetzt freute er sich schon im voraus bei dem Gedanken, mit seinen beiden Söhnen in der Sjetsch einzutreffen und dort laut verkündigen zu können: „Seht mal her, was ich euch für tüchtige Kerle mitgebracht habe!“ Er freute sich darauf, sie all seinen kampferprobten Freunden zu zeigen und dann ihre ersten großen Taten in der Kriegs- und Fechtkunst, die er ebenfalls für die Haupttugend eines Ritters hielt, miterleben zu dürfen. Zuerst wollte er sie allein fortschicken; aber angesichts ihrer frischen Jugend, ihres kräftigen Wuchses und ihrer männlichen Schönheit loderte sein kriegerischer Geist empor, und er beschloß, sich schon am nächsten Tage selbst mit ihnen auf den Weg zu machen, wenn ihn auch keine andere Notwendigkeit zu dieser Reise veranlaßte, als allein sein eigensinniger Wille. Er war bereits aufs äußerste beschäftigt und erteilte Befehle, wählte die Pferde, Geschirr und Sattelzeug für seine jungen Söhne aus, sah sich in den Ställen und Speichern um und bestimmte die Diener, die morgen mit ihnen zusammen aufbrechen sollten. Seine Ämter übergab er dem Unterhauptmann Towkatsch, und befahl ihm zugleich aufs strengste, sich unverzüglich mit der ganzen Schar einzufinden, sowie er aus der Sjetsch eine Nachricht von ihm erhalte. Obgleich er noch ein wenig angeheitert war, und der Branntwein noch in seinem Kopfe rumorte, vergaß er doch nichts: er befahl sogar, die Pferde zu tränken, ihnen den schönsten und besten Weizen in die Krippe zu schütten, und kam endlich ganz ermüdet von all seinen Besorgungen zu Hause an.

      „Jetzt heißt es, ausschlafen, Kinder, und morgen, da machen wir, was Gott uns eingiebt. Ja, und mach uns keine Betten zurecht. Wir brauchen kein Bett; wir werden auf dem Hofe schlafen.“

      Die Nacht hatte ihre Schwingen noch kaum über den Himmel gebreitet, aber Bulba pflegte sich stets früh zur Ruhe zu begeben. Er streckte sich auf dem Teppich aus und bedeckte sich mit einem kurzen Schafspelz, denn die Nachtluft war ziemlich frisch, und Bulba hüllte sich gern tüchtig ein, wenn er zu Hause war. Es dauerte nicht lange, da begann er schon zu schnarchen, und bald folgte der ganze Hof seinem Beispiel; alles, was in den verschiedenen Ecken herumlag, schnarchte, pfiff und grunzte in den verschiedensten Tönen im schönsten Konzert. Zuallererst schlief der Wächter ein: er hatte zur Feier der Ankunft der jungen Herren am meisten getrunken.

      Nur die arme Mutter schlief nicht. Sie schlich sich an das Kopfende ihrer Herren Söhne, die nebeneinander lagen, kämmte ihre jungen, wirren Locken mit einem Kamme und netzte sie mit ihren Tränen. Sie blickte sie an, blickte sie vollen Herzens an, als wäre sie ganz Auge geworden – und konnte sich nicht satt an ihnen sehen. Sie hatte sie an ihrer eigenen Brust genährt; hatte sie selbst gehegt und gepflegt und großgezogen – und jetzt sollte sie sie nur einen kurzen Augenblick bei sich sehen!

      „Meine Söhne, meine lieben Söhne! Was wird aus euch werden? Was