Kindheit. Tolstoy Leo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tolstoy Leo
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Классическая проза
Год издания: 0
isbn: http://www.gutenberg.org/ebooks/49824
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Trauring auf dem Goldfinger.

      »Zu Befehl,« sagte Jakob. »Was soll aber mit dem Gelde von Chabarowka geschehen?«

      Chabarowka war Mamas Gut.

      »Das soll im Kontor bleiben und ohne meine Verfügung nicht angerührt werden,« sagte Papa.

      Jakob schwieg einen Augenblick, dann drehten sich plötzlich wieder die Finger mit verstärkter Geschwindigkeit, er änderte den Ausdruck unterwürfigen Stumpfsinns, mit dem er die Befehle des Herrn anzuhören für nötig hielt, nahm den ihm eigenen Ausdruck spitzbübischer Findigkeit und Schlauheit an, zog das Rechenbrett heran und begann: »Gestatten Sie, zu bemerken, Peter Alexandrowitsch – ganz wie Sie wünschen, aber auf dem Amt werden wir das Geld kaum rechtzeitig bezahlen. Sie beliebten zu sagen: das Geld müßte von der Mühle, für Lombard und Heu einkommen …« Er rechnete den Betrag aus und schob die Kugeln auf der Rechenmaschine beiseite. »Ich fürchte aber, daß wir uns in den Voranschlägen irren,« fügte er nach kurzem Schweigen hinzu, Papa dabei tiefsinnig anstarrend.

      »Warum?«

      »Ja, sehen Sie, was die Mühle betrifft, so hat mich der Müller schon zweimal aufgesucht und um Stundung gebeten, hat bei Gott und allen Heiligen geschworen, daß er kein Geld hätte. Er ist auch jetzt wieder da. Wollen Sie nicht selbst mit ihm sprechen?«

      Papa machte mit dem Kopf ein Zeichen, daß er das nicht wünsche.

      »Was sagt er denn?« fragte Papa.

      »Das weiß man schon,« erwiderte Jakob. »Hätte nichts zu mahlen gehabt und alles Geld in das Wehr gesteckt. Wenn wir ihm kündigen, Herr, fragt sich noch, ob wir dabei profitieren. Was Sie über die Hypothek zu bemerken beliebten – so habe ich vielleicht schon ausgeführt, daß unser Geld dort festliegt und wir es so leicht nicht wiederbekommen. Ich habe eigens in der Angelegenheit eine Fuhre Mehl und ein Schreiben an Iwan Afanasjewitsch in die Stadt geschickt; der antwortet, er wolle sich gern Ihretwegen bemühen, die Sache hinge aber nicht von ihm ab und allem Anschein nach würden wir kaum in einem Monat Ihre Quittung bekommen. Bezüglich des Heus beliebten Sie zu bemerken – selbst angenommen wir verkaufen für dreitausend« – er warf dreitausend auf dem Rechenbrett zur Seite, schwieg einen Augenblick und blickte bald auf das Rechenbrett, bald in Papas Augen, als wollte er sagen: Sie sehen selbst, wie wenig das ist. »Und mit dem Heu fallen wir auch wieder herein, wenn wir es jetzt verkaufen, das wissen der Herr selbst.«

      Offenbar hatte er noch einen großen Vorrat von Argumenten; deswegen unterbrach Papa ihn: »Es bleibt bei meinen Anordnungen. Sollte wirklich im Eingang des Geldes eine Verzögerung eintreten, dann ist nichts zu machen; dann nimmst du von Chabarowka Geld soviel wie nötig ist.«

      »Zu Befehl.«

      Jakob war Papas Leibeigener. Er war zunächst sein Wärter gewesen, dann Kammerdiener und jetzt Verwalter. Er hatte alle Feldzüge mit Papa mitgemacht, und dieser hatte ihn wegen seiner Anhänglichkeit, seines Eifers und seiner Treue gern. Wie alle guten Verwalter war er im Interesse seines Herrn äußerst knauserig und hatte von dessen Vorteil die sonderbarsten Vorstellungen. Er war stets bemüht, das Eigentum Papas auf Kosten Mamas zu vermehren und suchte zu beweisen, daß alle Einkünfte von Mamas Gütern auf Petrowskoie (das Dorf, in dem wir lebten) verwandt werden müßten. Gegenwärtig war ihm das gelungen, und als er »zu Befehl« sagte, konnte man an seinem Gesicht erkennen, daß er sehr mit sich zufrieden war, wie jemand, der seine liebste Tätigkeit ausübt.

      Nachdem Papa uns begrüßt hatte, sagte er, wir wären jetzt keine kleinen Kinder mehr, es sei Zeit, daß wir ernstlich etwas lernten. Deswegen führe er heute nacht nach Moskau zur Großmutter und nähme uns ganz dahin mit. Er fügte noch hinzu, Mama bliebe mit den Mädchen hier, und das eine würde sie trösten, die Überzeugung, daß wir gut lernen und daß man mit uns zufrieden sein würde.

      Obgleich wir an den Vorbereitungen seit einigen Tagen bemerkt hatten, daß etwas Ungewöhnliches im Gange war, überraschte uns diese Neuigkeit vollständig. Wolodja sagte, um seine Verwirrung zu verbergen: »Mama läßt dir bestellen, du möchtest zu ihr kommen, Papa,« und ging zum Fenster. Mir aber tat Mütterchen sehr, sehr leid, und gleichzeitig freute mich der Gedanke, daß wir nun groß seien.

      Wenn wir heute reisen, gibt es keine Schule mehr, das ist famos, dachte ich. Aber der arme Karl Iwanowitsch tat mir leid; der wurde sicher entlassen, weil man das Kuvert für ihn zurechtgemacht … Dann schon lieber immer lernen, nicht fortreisen, sich nicht von Mama trennen und dem armen Karl Iwanowitsch nicht weh tun, der schon so sehr unglücklich ist.

      Diese Gedanken zogen mir durch den Sinn. Ich rührte mich nicht von der Stelle und starrte unverwandt auf die schwarzen Schleifen an meinen Schuhen.

      Nachdem Papa mit Karl Iwanowitsch noch einige Worte über das Fallen des Barometers gewechselt und Jakob befohlen hatte, die Hunde nicht zu füttern, weil er zum Abschied nach Tisch die jungen Treibhunde probieren wollte, schickte er uns wider Erwarten zum Unterricht. Allerdings bekamen wir den Trost mit auf den Weg, daß wir nach Tisch mit auf die Jagd genommen würden.

      Traurig und zerstreut gingen wir nach oben zum Lernen in Begleitung unseres noch mehr zerstreuten und traurigen Mentors Karl Iwanowitsch, der seine Entlassung erwartete.

      Unterwegs lief ich auf die Veranda. Dicht an der Tür lag mit zugekniffenen Augen in der Sonne, wie ein Hase im Lager, Papas Lieblingswindhund Milka.

      »Milkachen,« sagte ich, den Hund streichelnd und auf die Schnauze küssend, »wir reisen heute, leb wohl, wir sehen uns nie wieder.«

      Wahrscheinlich gefiel der Hündin mein tränenfeuchtes Gesicht nicht, oder sie war nicht bei Laune; jedenfalls brüllte sie mich an, stand auf, ging beiseite und legte sich faul an einer anderen Stelle nieder.

      »Was bin ich für ein unglücklicher Junge,« sagte ich und rannte Hals über Kopf nach oben.

      4. Was mein Vater für ein Mann war

      Er war groß und stattlich von Wuchs, machte auffallend kleine Schritte, hatte die Gewohnheit mit der Achsel zu zucken, besaß kleine, stets leuchtende Augen, eine große Adlernase, ungleichmäßige Lippen, die er ungeschickt, aber zu einem angenehmen Ausdruck zusammenlegte. Eine große, fast über den ganzen Kopf reichende Glatze, mangelhafte Aussprache und Lispeln vervollständigten das Äußere meines Vaters, seitdem ich ihn kenne, ein Äußeres, mit dem er aller Welt zu gefallen und als homme à bonne fortune bekannt zu werden wußte. Daß er dem weiblichen Geschlecht gefiel, verstehe ich, weil ich weiß, wie unternehmend und sinnlich er veranlagt war; aber welches Zaubermittel besaß er, um Leuten jeden Alters, Standes und Charakters, Greisen, Jünglingen, Berühmten, Einfachen, Männern der Welt, Gelehrten und besonders denen zu gefallen, auf die er es abgesehen hatte?

      Er verstand im Verkehr mit jedermann die Oberhand zu gewinnen. Obgleich er nie zu den höchsten Kreisen gehört hatte, verkehrte er stets mit Angehörigen dieser Kreise und zwar so, daß man ihn achtete. Er kannte das Maß von Selbstvertrauen und Stolz, das ihn in den Augen der Welt erhöhte, ohne andere zu kränken. Bisweilen originell, verfiel er doch nie ins Extrem, sondern benutzte die Originalität als Mittel, das ihm bisweilen Stand und Reichtum ersetzte. Nichts in der Welt brachte ihn zum Erstaunen, und so glänzend auch seine Lage sein mochte, es schien stets, als sei er für sie geboren. Er wußte stets die Lichtseite seines Lebens nach außen zu kehren und verstand die andere, kleinliche, mit Ärger und Verdruß erfüllte, jedem Sterblichen beschiedene so gut zu verbergen, daß man ihn unbedingt beneiden mußte. Er war Kenner in allem, was Bequemlichkeit und Genuß verschafft und wußte sich dessen zu bedienen.

      Obgleich er niemals etwas gegen die Religion sagte und äußerlich stets fromm war, zweifle ich bis auf die Gegenwart, ob er überhaupt an etwas glaubte. Seine Grundsätze und Lebensanschauungen waren so dehnbar, daß diese Frage sehr schwer zu entscheiden ist. Mir scheint, daß er fromm nur für andere war.

      Moralische Überzeugungen, unabhängig von religiösen Geboten hatte er schon gar nicht; sein Leben war so voll von allen möglichen Passionen, daß er weder Zeit hatte, noch es überhaupt für nötig hielt, darüber nachzudenken. In reiferem Alter aber bildete er sich feste Grundsätze und Anschauungen nicht auf Grund moralischer oder religiöser, sondern praktischer Überzeugung; das waren die Handlungsweise und diejenige Lebensform, die ihm Glück oder