Datum der Kundmachung: 18.11.1988
JUGENDGERICHTSGESETZ
Langtitel
Bundesgesetz vom 20. Oktober 1988 über die Rechtspflege bei Jugendstraftaten (Jugendgerichtsgesetz 1988 — JGG)
StF: BGBl. Nr. 599/1988 (NR: GP XVII RV 486 AB 738 S. 76. BR: AB 3573 S. 507.)
Änderung
BGBl. Nr. 526/1993 (NR: GP XVIII RV 924 AB 1157 S. 129. BR: 4621 AB 4594 S. 573.)
BGBl. Nr. 799/1993 (NR: GP XVIII RV 946 AB 1253 S. 134. BR: 4646 AB 4655 S. 575.)
BGBl. Nr. 522/1994 (NR: GP XVIII RV 1294 AB 1584 S. 168. BR: 4808 AB 4821 S. 588.)
BGBl. I Nr. 55/1999 (NR: GP XX RV 1581 AB 1615 S. 161. BR: 5875 AB 5890 S. 651.)
BGBl. I Nr. 19/2001 (NR: GP XXI RV 345 AB 404 S. 56. BR: 6292 AB 6310 S. 672.)
BGBl. I Nr. 30/2003 (NR: GP XXII RV 26 AB 48 S. 12. BR: AB 6781 S. 696.)
BGBl. I Nr. 116/2003 (NR: GP XXII RV 235 AB 275 S. 38. BR: AB 6900 S. 703.)
BGBl. I Nr. 60/2004 (NR: GP XXII RV 472 AB 491 S. 62. BR: AB 7050 S. 710.)
BGBl. I Nr. 164/2004 (NR: GP XXII RV 679 AB 742 S. 90. BR: AB 7168 S 717.)
BGBl. I Nr. 102/2006 (NR: GP XXII RV 1426 AB 1520 S. 153. BR: 7541 AB 7569 S. 735.)
BGBl. I Nr. 93/2007 (NR: GP XXIII RV 231 AB 273 S. 37. BR: 7786 AB 7793 S. 750.)
BGBl. I Nr. 109/2007 (NR: GP XXIII RV 285, 302 AB 331 S. 41. BR: 7801 AB 7849 S. 751.)
BGBl. I Nr. 52/2009 (NR: GP XXIV RV 113 und Zu 113 AB 198 S. 21. BR: AB 8112 S. 771.)
BGBl. I Nr. 142/2009 (NR: GP XXIV RV 487 AB 568 S. 49. BR: AB 8233 S. 780.)
BGBl. I Nr. 111/2010 (NR: GP XXIV RV 981 AB 1026 S. 90. BR: 8437 AB 8439 S. 792.)
[CELEX-Nr.: 32010L0012]
Artikel I
ERSTER ABSCHNITT
Begriffsbestimmungen
§ 1
Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. Unmündiger: wer das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat;
2. Jugendlicher: wer das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat;
3. Jugendstraftat: eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die von einem Jugendlichen begangen wird;
4. Jugendstrafsache: ein Strafverfahren wegen einer Jugendstraftat.
DRITTER ABSCHNITT
Jugendstrafrecht
Straflosigkeit von Unmündigen und Jugendlichen
§ 4
(1) Unmündige, die eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen, sind nicht strafbar.
(2) Ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, ist nicht strafbar, wenn
1. er aus bestimmten Gründen noch nicht reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, oder
2. er vor Vollendung des sechzehnten Lebensjahres ein Vergehen begeht, ihn kein schweres Verschulden trifft und nicht aus besonderen Gründen die Anwendung des Jugendstrafrechts geboten ist, um den Jugendlichen von strafbaren Handlungen abzuhalten.
Besonderheiten der Ahndung von Jugendstraftaten
§ 5
Für die Ahndung von Jugendstraftaten gelten die allgemeinen Strafgesetze, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist:
1. Die Anwendung des Jugendstrafrechts hat vor allem den Zweck, den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten.
2. An die Stelle der Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe und der Androhung einer Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe tritt,
a) wenn ein Jugendlicher die Tat nach Vollendung des sechzehnten Lebensjahres begangen hat, die Androhung einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünfzehn Jahren,
b) sonst die Androhung einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren.
3. An die Stelle der Androhung einer Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren tritt die Androhung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
4. Das Höchstmaß aller sonst angedrohten zeitlichen Freiheitsstrafen wird auf die Hälfte herabgesetzt; ein Mindestmaß entfällt.
5. Das nach Tagessätzen bestimmte Höchstmaß von Geldstrafen wird auf die Hälfte herabgesetzt.
6. Geldstrafen, deren Bemessung sich nach der Höhe eines Wertes, Nutzens oder Schadens richtet, einschließlich Verfallsersatz- und Wertersatzstrafen, sind nur zu verhängen, soweit sie das Fortkommen des Beschuldigten nicht gefährden.
7. Für die Einteilung der strafbaren Handlungen nach § 17 StGB und die Anwendung des § 191 StPO ist nicht von den durch die Z 4 geänderten Strafdrohungen auszugehen.
8. Die §§ 37 Abs. 2 und 41 Abs. 2 StGB gelten nicht für Jugendstraftaten.
9. Die §§ 43 und 43a StGB können auch angewendet werden, wenn auf eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei bzw. drei Jahren erkannt wird oder zu erkennen wäre.
10. In gesetzlichen Bestimmungen vorgesehene Rechtsfolgen treten nicht ein.
Absehen von der Verfolgung
§ 6
(1) Von der Verfolgung einer Jugendstraftat, die nur mit Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe bedroht ist, deren Höchstmaß fünf Jahre nicht übersteigt, hat die Staatsanwaltschaft abzusehen und das Ermittlungsverfahren einzustellen, wenn ein Vorgehen gemäß den §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt und weitere Maßnahmen, insbesondere solche nach dem 11. Hauptstück der StPO in Verbindung mit § 7, nicht geboten erscheinen, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Ein solches Vorgehen ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn die Tat den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat.
(2) Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Pflegschaftsgericht den Beschuldigten über das Unrecht von Taten wie der verfolgten und deren mögliche Folgen förmlich zu belehren und danach zu verständigen, dass von der Verfolgung abgesehen worden ist. Unterbleibt ein solcher Antrag, so hat die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten unter sinngemäßer Anwendung des § 194 StPO zu verständigen, dass von der Verfolgung abgesehen worden ist.
(3) Unter denselben Voraussetzungen hat das Gericht nach Erhebung der Anklage bis zum Schluss der Hauptverhandlung ein Verfahren wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung mit Beschluss einzustellen. Die Bestimmungen über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens auf Antrag des Beschuldigten (§ 108 StPO) bleiben davon unberührt.
Rücktritt von der Verfolgung (Diversion)
§ 7
(1) Die Staatsanwaltschaft hat nach dem 11. Hauptstück der StPO vorzugehen und von der Verfolgung einer Jugendstraftat zurückzutreten, wenn auf Grund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach den §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf
1. die Zahlung eines Geldbetrages (§ 200 StPO) oder
2. die Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 201 StPO) oder
3. die Bestimmung einer Probezeit, in Verbindung mit Bewährungshilfe und der Erfüllung von Pflichten (§ 203 StPO),