Winnetou 3. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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mir sehr gleich sein, ob ich einen kleinen Seitenweg über Mexiko einschlage. Darf ich mit?«

      »Ob Ihr dürft? Na und ob! Ihr seid bereits da unten im Süden gewesen und also just der richtige Mann, den ich brauche. Aber sagt mir nun einmal im Ernste: Macht Ihr wirklich Bücher?«

      »Ja.«

      »Hm! Wenn das Old Shatterhand tut, so muß es doch anders sein, als ich es mir gedacht habe; ich aber sage Euch, ich will lieber unversehenerweise und rücklings in eine Bärenhöhle stürzen, als eine Feder in die Tinte stopfen; ich brächte all mein lebenlang das erste Wort nicht fertig. Nun aber sagt mir einmal, wie die Indsmen hier in diese Gegend kommen! Es sind Ogellallahs, vor denen man sich schon in acht nehmen darf.

      Ich erzählte ihm, was ich wußte.

      »Hm!« machte er dann. »So wird es geraten sein, nicht hier anzuwachsen. Ich traf gestern auf eine Fährte, vor welcher man Respekt haben muß. Ich zählte wenigstens sechzig Pferde. Die vier Bursche hier müssen zu der Truppe gehören und sind wohl als Streifpatrouille ausgeschickt worden. Waret Ihr schon einmal hier?«

      »Nein.«

      »Ungefähr zwanzig Meilen westlich von hier wird die Prairie vollständig eben, und noch zehn Meilen weiter gibt es ein Wasser, nach welchem sich die Indsmen gezogen haben werden, um ihre Pferde zu tränken. Wir gehen ihnen natürlich aus dem Wege und halten lieber grad nach Süden zu, obgleich wir da erst morgen nachmittag auf Wasser stoßen. Wenn wir bald aufbrechen, kommen wir heut noch vor Nacht an die Bahn, welche sie aus den Staaten hinüber nach den Westlanden gebaut haben, und wenn wir grad die richtige Zeit treffen, so können wir uns den Spaß machen, einen Zug zu sehen, der zum Beispiel an uns vorübergeht.«

      »Ich bin zum Aufbruche bereit. Aber was tun wir mit den Leichen?«

      »Was wir mit ihnen tun? Nicht viel. Wir lassen sie hier liegen; vorher aber will ich ihnen die Ohren nehmen.«

      »Wir müssen sie vergraben, denn wenn man sie findet, ist unsere Anwesenheit verraten.«

      »Man soll sie finden, Charley; das will ich eben.«

      Er trug die toten Indianer auf die Spitze eines Wellenhügels, legte sie nebeneinander, schnitt ihnen die Ohren ab und gab sie ihnen in die Hände.

      »So, Charley! Man wird sie finden und sogleich wissen, daß Sans-ear hier gewesen ist. Ich sage Euch, es ist ein ganz miserables Gefühl, wenn es einen im Winter an die Ohren frieren will, und man hat doch keine mehr. Ich war einst so ungeschickt, mich von den Roten fangen zu lassen. Ich hatte mehrere von ihnen getötet, einem aber nur das Ohr herabgehauen, statt ihn mit dem Tomahawk richtig zu treffen. Zum Spotte dafür schnitten sie mir die Ohren ab, ehe es mir an das Leben gehen sollte. Die Ohren haben sie, da Leben aber nicht, denn Sam Hawerfield machte sich ganz unerwartet auf und davon. Für meine zwei Ohren aber – na – da zählt einmal hier!« Er nahm seine Büchse vor und zeigte mir gelassen die zahlreichen Kerben, welche er in dieselbe eingeschnitten hatte. »Jede Kerbe hat einem feindlichen Indsman das Leben gekostet. Jetzt kommen vier Kerben dazu.«

      Er machte die vier neuen Einschnitte und fuhr dann fort:

      »Das sind lauter Rote. Hier oben sind acht Kerben auf Weiße, die meine Kugel gekostet haben. Warum, das werde ich Euch schon einmal erzählen. Ich habe nur noch zwei zu suchen. Das sind Vater und Sohn, die größten Schurken, die es auf Gottes weiter Erde geben kann; habe ich diese gefunden, so ist mein Tagewerk vollbracht.«

      Seine Augen glänzten auf einmal feucht, und über sein verwettertes Gesicht ging ein Zug von Wehmut, Rührung und Liebe; ich ahnte, daß das Herz des alten Jägers einst wohl auch seine Rechte geltend gemacht hatte. Vielleicht hatte auch ihn, wie so manchen Anderen, der Schmerz oder die Rache dem rauhen Leben der Wildnis in die Arme geworfen, denn der echte Prairiejäger weiß nichts mehr von dem erhabenen Gebot: »Liebet eure Feinde!«

      Er hatte seine Büchse wieder geladen. Sie war eines jener furchtbaren Schießeisen, wie man sie in der Prairie nicht selten findet. Der Schaft hat seine ursprüngliche Form verloren; Kerbe sitzt an Kerbe, Schnitt an Schnitt; jedes einzelne dieser Zeichen erinnert an den Tod eines Feindes. Der Lauf ist mit dickem Roste bedeckt, scheint sich gezogen zu haben, und kein Fremder vermag auch nur einen leidlichen Schuß daraus abzugeben. In der Hand des Besitzers aber ist eine solche Büchse unfehlbar; er ist seit Lebenszeit auf sie eingeübt, kennt alle ihre Vorzüge, alle ihre Tücken und Gebrechen, und wenn er eine Kugel hinabstößt auf das Pulver, so wettet er Leben und Seligkeit, daß sie ihr Ziel erreicht.

      »Tony!« rief der Kleine.

      Die Stute hatte bisher in der Nähe gegrast. Auf diesen Ruf kam sie herbeigesprungen und stellte sich so bequem neben ihn, daß er nur den Arm zu erheben brauchte, um sich aufzuschwingen.

      »Sam, Ihr habt da ein ganz vorzügliches Pferd! Wer es zum erstenmal sieht, mag keinen Dollar bieten; wer es aber beobachtet, der bemerkt bald, daß es Euch für tausend Sovereigns nicht feil ist.«

      »Tausend! Pshaw! Sagt eine Million! Ich kenne da droben in den Felsenbergen Adern, aus denen ich das Gold scheffelweise herausnehmen könnte, und wenn ich einmal einen treffe, der es verdient, daß ihn Sam Hawerfield von Herzen lieb hat, dem werde ich diese Placers zeigen. Für Geld also brauche ich meine Tony nicht wegzugeben. Ich will Euch nur so viel sagen, Charley: Der, welchen sie jetzt Sans-ear nennen, der war eines schönen Tages ein ganz anderer Kerl als heut, voll Glück und Wonne, wie der Tag voll Licht und das Meer voller Tropfen. Er war ein junger Farmer und hatte ein Weib, für welches er tausend Leben geopfert hätte, und ein Kind, welches ihm zehntausend Leben wert war. Das Weib hatte er einst auf seiner besten Stute heimgeholt, die Tony hieß. Und als nachher die Stute ein Füllen brachte, gesund, munter und klug wie selten ein Geschöpf, warum sollte es nicht auch Tony heißen, wie seine Mutter? Habe ich nicht recht, Charley?«

      »Ja,« antwortete ich, tief gerührt über die Kindlichkeit des Gemütes, welches jetzt aus der so unerwartet sich öffnenden rauhen Hülle zu mir sprach.

      »Well! Dann kamen die Zehn, von denen ich Euch vorhin sagte. Es war eine Bande Bushheaders, welche die Gegend damals unsicher machten. Sie verbrannten meine Farm, töteten mein Weib und Kind, erschossen meine Stute, die sie nicht gebrauchen konnten, weil sie keinen Fremden trug, und nur das Füllen entkam, weil es sich zufälligerweise verlaufen hatte. Ich kam von der Jagd zurück und fand das Tier als einzigen Zeugen meines Glückes. Was soll ich Euch weiter erzählen! Acht von den Schuften sind gefallen, gefallen durch meine Hand, durch Kugeln aus dieser Büchse; die beiden letzten werden auch noch mein, denn wessen Fährte der alte Sans-ear betritt, der mag laufen bis zu den Mongolen hinüber, er entkommt ihm nicht; grad deshalb will ich ja nach Texas und Mexiko hinunter. Aus dem jungen, munteren Farmer ist ein grauer Wald- und Prairieläufer geworden, der nur auf Blut und Rache sinnt, und das Füllen hat sich in ein Wesen verwandelt, welches einem Ziegenbocke ähnlicher sieht als einem guten Pferde; aber wacker sind beide noch heut, und sie werden auch tapfer miteinander aushalten, bis ein Pfeil schwirrt, eine Kugel pfeift oder ein Tomahawk hernieder saust, um dem Einen von ihnen ein Ende zu bereiten; der Andere – sei es nun das Pferd oder ich selber – stirbt dann vor Gram und Sehnsucht nach.«

      Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann schwang er sich auf und meinte:

      »So viel von den alten Geschichten, Charley. Ihr seid der Erste, zu dem ich von ihnen spreche, obgleich ich Euch zum erstenmal sehe, und werdet wohl auch der Letzte sein. Ihr werdet wohl oft von mir gehört haben, und auch von Euch wurde erzählt, wenn es mir einmal in den Sinn kam, mich zu diesen oder jenen Leuten auf eine Viertelstunde an das Feuer zu setzen. Daher wollte ich Euch zeigen, daß ich Euch für keinen Fremden halte. Nun tut mir noch den Gefallen und vergeßt, daß ich mich heut von Euch überrumpeln ließ! Ich werde Euch zu beweisen suchen, daß der alte Sam Hawerfield trotzdem zu jeder Zeit auf seinem Platze ist.«

      Ich enthobbelte meinen Mustang und stieg auf. Er hatte gesagt, daß wir nach Süden halten wollten, dennoch aber ritt er grad dem Westen entgegen. Ich fragte ihn nicht; jedenfalls leitete ihn eine wohlüberlegte Absicht dabei. Auch darüber verlor ich kein Wort, daß er die Lanzen der vier Indianer mitnahm. Er erinnerte mich auf das lebhafteste an meinen alten Sam Hawkens, mit welchem er den gleichen Vornamen hatte.

      Wir mochten eine ziemliche Strecke zurückgelegt haben, ohne daß