»Gerard heißt er«, sagte sie weinend. »Ja, er verdient diesen Namen, er ist wirklich der Kraftvolle, denn er hat sich selbst besiegt, er ist der Beschützer, denn er hat mich vor sich selbst beschützen wollen. Wie schwer muß es ihm geworden sein! Und wie schwer wird es mir werden – vielleicht unmöglich, nun erst recht unmöglich!«
3. Kapitel
Gerard hatte ihr ausbrechendes Schluchzen noch unter der Tür gehört, aber er kehrte nicht um, sondern trat in die Umzäunung, bestieg sein Pferd, befestigte das Sturmband seines Hutes straff unter dem Kinn und warf die Flinte über den Rücken, um sein Pferd darauf vorn emporzuziehen und ihm die unbespornten Fersen zu geben. Mit einem kühnen Sprung setzte es, den Ausgang vermeidend, über die hohen Planken hinweg und flog im Galopp gerade auf das Wasser zu. Dort warf es sich in die tiefen Fluten des Rio Puercos und schwamm an das andere Ufer. Gerard achtete der Nässe nicht, die seine Kleider durchdrang, und auch des Sturmes nicht, der ihm entgegenheulte. Mitten in der Prärie endlich stand das Pferd. Er sprang ab und warf sich zu Boden, um das erschöpfte Tier ruhen und grasen zu lassen, er hatte seiner Liebe entfliehen wollen, ohne gewiß zu sein, ob dies überhaupt möglich sei.
Der freundliche Leser weiß nun wohl, daß dieser Mann kein anderer war als Gerard, der Pariser Garotteur, den Alfonzo de Rodriganda einst mit nach Deutschland genommen hatte, um durch ihn die Gräfin Rosa töten zu lassen. Aus dem einstigen Sünder war ein Bußfertiger geworden, aber nicht ein Büßender in Sack und Asche, der elend seine Tage verjammert, sondern ein Büßer mit der Büchse in der Faust, der es sich zur Aufgabe gestellt hatte, das Verbrechergesindel der Savanne auszurotten. Er hatte es vorgezogen, Resedilla zu verschweigen, daß er selbst es sei, den man allgemein den Schwarzen Gerard nenne.
So hatte er, ohne zu wissen, lange, lange Zeit, dagelegen. Sein Pferd hatte sich satt gefressen und lag nun still im Gras. Da plötzlich sprang es auf, sträubte die Mähne, spitzte die Ohren und stieß glühenden Auges jenes Schnauben aus, das dem Besitzer ein sicheres Zeichen ist, daß sich ein Mensch oder irgendein feindliches Wesen naht.
Sofort schnellte auch Gerard empor und überflog mit scharfem Auge die weite Prärie. Er bemerkte einen Reiter, der im Galopp gerade auf ihn zugesprengt kam. Seine erst so gespannten Zöge nahmen den Ausdruck der Befriedigung an.
»Beruhige dich!« rief er dem Pferd zu. »Es ist Bärenauge, unser Freund.«
Das Pferd hatte den Mann so gut verstanden, daß es sich augenblicklich niederlegte und kein weiteres Zeichen von Unruhe gab.
Der Nahende war von einem Kenner bereits von weitem als ein Indianer zu rekognoszieren. Er trug zwar nicht indianisches Kostüm und wilden Rabenfederschmuck, sondern die neumexikanische Kleidung; aber seine weit vorn auf dem Hals des Pferdes liegende Gestalt bezeichnete ihn mit Sicherheit als einen Roten. Nur ein langjähriger Savannenmann reitet auf diese Weise.
Er sprang, bei dem Wartenden angekommen, mit einem einzigen Satz und im vollen Galopp vom Pferd. Er wußte, daß sein weiterstürmendes Tier in einem Bogen zu ihm zurückkehren werde. Jedenfalls handelte es sich hier um ein Stelldichein, und es war ein Beweis für den scharf ausgeprägten Ortssinn der beiden Männer, daß sie sich so präzis auf einem freien Punkt der offenen Prärie zu treffen wußten. Weniger erfahrene Jäger hätten dies nicht fertiggebracht.
Der Indianer war noch jung, und jemand, der einst mit Bärenherz bekannt gewesen war, der hätte wohl zwischen beiden eine große Ähnlichkeit konstatieren müssen.
»Mein roter Bruder hat lange auf sich warten lassen«, empfing ihn der Franzose. – »Glaubt mein weißer Bruder, daß Schosheinta nicht reiten kann?« antwortete der Indianer. »Ich bin lange geblieben, weil ich lange lauschen mußte.« – »Lauschen? Wo?« – »Ich war in Paso del Norte bei Juarez, dem Häuptling der Mexikaner, um ihm zu sagen, daß ich ihm fünfhundert tapfere Apachenkrieger bringen werde, um Chihuahua wiederzunehmen. Ich teilte ihm auch mit, daß ich meinen weißen Bruder hier treffen würde, und er bat mich, dir zu sagen, daß du Señorita Emilia besuchen solltest.« – »Ich werde es sogleich tun, denn ich selbst halte es für notwendig.« – »Wie lange wirst du bleiben?« – »Ich weiß es nicht, vielleicht eine Woche.« – »So wirst du mich in Paso del Norte finden. Ich ritt über die Sierra del Diablo – das Teufelsgebirge – und war bereits dem Fluß nahe, als ich die Spuren dreier Männer fand.« – »Indianer?« – »Weiße.« – »Zu Fuß?« – »Zu Pferd.« – »Wie erkanntest du an den Spuren der Pferde, daß die Reiter weiß seien?« – »Sie waren nicht hintereinander geritten, sondern nebeneinander. Das tun nur die dummen Bleichgesichter, wir Indianer aber niemals.« – »Du rittest den Spuren nach?« – »Ja. Ich ritt über eine Stunde und fand, daß die Weißen abgestiegen waren und sich niedergelassen hatten. Sie hatten den Pferden die Sättel abgenommen und wollten also eine lange Ruhe halten. Ich schlich mich heran, um sie zu belauschen. Der eine konnte die Sprache des Landes reden, er war ein Mexikaner und machte den Dolmetscher; die beiden anderen sprachen nur die Sprache der Franzosen.« – »Ah! Was hatten sie für Kleider?« – »Sie hatten sich gekleidet wie Jäger, waren aber keine.« – »Woran erkanntest du dies?« – »Ihre Messer waren neu und schön und ihre Hände weiß wie der Schnee des Gebirges; sie hatten noch nie eine schwere, rauhe Rifle – Büchse – ergriffen.« – »Wahrscheinlich waren es Offiziere!« – »Mein weißer Bruder hat recht. Sie sprachen zu dem dritten, wie nur der Offizier zu den Soldaten redet. Auch hatte der eine Schnur am Hals, an der zwei runde Gläser hingen. Er setzte sie auf die Nase und blickte hindurch wie einer, der vier Augen hat, anstatt zwei.« – »Ah, ein Nasenklemmer! Es ist kein Zweifel, es sind verkleidete Offiziere. Hat mein roter Bruder etwas von ihrem Gespräch verstanden?« – »Nein. Ich lag hart hinter ihnen und konnte alles hören, aber nichts verstehen, denn sie redeten in der schnellen Sprache, der sich die Franzosen bedienen. Ich wartete lange, ob einmal ein spanisches Wort fallen würde, aber vergebens; daher ritt ich schnell zu dir, um dir diese Sache mitzuteilen.« – »Wie weit ist es von hier?« – »Wir reiten den vierten Teil der Zeit, den Ihr eine Stunde nennt.« – »So laß uns aufbrechen, denn ich muß hin.«
Sie bestiegen eiligst ihre Pferde und flogen im schnellsten Galopp der Gegend zu, aus welcher Bärenauge gekommen war. Dieser ritt voran und Gerard so genau hinter ihm, daß sein Pferd stets genau in die Spuren des indianischen Rosses trat.
Nach Verlauf von zehn Minuten erhöhte sich die Prärie zusehends. Es entstanden Hügel und Berge, die ziemlich dicht bewaldet waren und von tiefen Schluchten getrennt wurden. In eine derselben ritt der Indianer hinein. Dort sprang er ab und band sein Pferd an einen Baumstamm. Gerard tat dasselbe.
»Folge mir!« sagte Bärenauge dann leise, indem er an der einen Seite der Schlacht emporklomm and zwischen den Bäumen über den Kamm hinüberschritt, worauf es drüben in eine zweite Schlucht hinabging. Dabei aber bewegten sie sich nicht auf den Füßen, sondern legten sich auf den Boden nieder und glitten, jedes Geräusch vermeidend, den Abhang hinunter.
Fast unten angekommen, erblickten sie durch das Laub der Zweige in einer runden Öffnung des Gesträuchs drei Männer, die unbesorgt ihre Zigaretten rauchten. Nicht weit davon sah man drei Pferde grasen.
Sie sprachen französisch, und zwar so laut, als ob sie sich auf einem Jahrmarkt und nicht mitten in der mexikanischen Wildnis befänden.
»Ja, mit dem Juarez ist es aus«, sagte der eine. »Er hat seine letzte Pfeife geraucht und mag nun sehen, ob die roten Halunken ihn zu ihrem Kaiser machen.« – »Pah, was liegt überhaupt an ihm!« meinte der zweite. »Der ganze Feldzug war ja nur ein Kinderspiel. Es war gerade, als ob man Fliegen mit dem Taschentuch zerstreute. Mehr Mühe hätte ich mir für diesen Erzherzog auch nicht geben mögen.« – »Für den? Was denkst du denn! Für ihn ist nicht das mindeste geschehen. Er wurde als Strohmann mitgenommen, damit die Invasion bei den Mächten nicht als eine französische Eroberung betrachtet werden möchte. Der Strohmann wird der Sache bald müde sein und herzlich gern abdanken. Ja, er wird jedenfalls noch gute Worte geben, nach Hause gehen zu dürfen. Dann wird Bazaine Präsident von Mexiko, und seine Sache ist es, derartige Konflikte herbeizuführen, daß der Kaiser