Waldröschen I. Die Tochter des Granden. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
heilbar?« fragte der Graf fast atemlos. – »Bis vor kurzem wurde er allerdings für unheilbar gehalten; mir ist aber die Herstellung mehrerer Patienten bereits geglückt. Ich entfernte das Leukom mittels fortgesetzter Punktation mit der Starnadel und operierte dann den darunter befindlichen grauen Star. Wollen Sie sich mir anvertrauen, Erlaucht, so geben ich Ihnen mit dem besten Gewissen die Hoffnung, das Licht Ihrer Augen zwar nicht in seiner ganzen früheren Schärfe und Stärke, aber doch so weit wiederzugewinnen, daß Sie mittels der Brille sehen können!«

      Der Graf streckte seine Arme zum Himmel empor und rief:

      »O mein Gott, wenn dies möglich wäre!«

      Und Rosa sank vor Entzücken weinend an seine Brust und bat mit Schluchzen:

      »Vater, vertraue ihm! Es kann dir keiner helfen, nur er allein!« – »Ja, ich will deiner Stimme gehorchen; ich will mich ihm mit allem Vertrauen übergeben, meine Tochter!« entschied der Graf. »Hier, Señor, haben Sie meine Hand! Sie haben Ihr Werk heute so fromm mit Gott angefangen und werden es auch mit Gottes Hilfe vollenden. Alfonzo, mein Sohn, willst du dich nicht mit uns freuen?«

      Der junge Graf versuchte, sein Gesicht zu beherrschen, und antwortete:

      »Ich wäre ganz glücklich, dich wieder gesund und sehend zu wissen, aber ich bedenke auch, wie äußerst leichtsinnig und gefährlich es ist, Hoffnungen zu erwecken, die nicht in Erfüllung gehen. Der Kranke muß sich dann zehnfach unglücklich fühlen.« – »Gott wird gnädig sein! Wie lange Zeit wird die Behandlung in Anspruch nehmen, Señor?« – »Der Stein ist, da Sie erst an den Bohrer gewöhnt werden müssen, unter zwei Wochen nicht zu entfernen«, antwortete Sternau. »Erst dann, wenn Sie von dieser Operation vollständig gekräftigt sind und Ihr Allgemeinbefinden nichts befürchten läßt, können wir an die Behandlung des Auges gehen, die allerdings eine bedeutend längere Zeit in Anspruch nehmen wird.« – »Aber können Sie so lange hier verweilen, Señor?« – »Ich müßte mich von Professor Letourbier für längere Zeit beurlauben oder gar verabschieden lassen.« – »Verabschieden Sie sich! Ja, verabschieden Sie sich«, bat der Graf, »Sie sollen bei mir eine Heimat finden und reichlichen Ersatz für alles, was Sie in Paris verlassen!« – »Mein bester Lohn soll das Bewußtsein sein, Ihnen die Gesundheit Ihres Körpers und das Licht Ihrer Augen wiedergebracht zu haben, Erlaucht. Ich werde also noch heute dem Professor schreiben.« – »Tun Sie das! Sie wohnen natürlich bei mir, Señor. Rosa mag Ihnen Ihre Zimmer sogleich anweisen.« – »Dazu haben wir ja den Kastellan«, bemerkte Alfonzo hämisch. – »Ja, richtig«, meinte der Graf. »Ich dachte in meiner Freude nicht daran.« – »Auch ich bin Señor Alfonzo für seine Erinnerung dankbar«, sagte Sternau stolz, »da es nicht im mindesten meine Absicht ist, in den hiesigen Verhältnissen um meinetwillen eine Revolution hervorzubringen.« – »Und doch hat sie bereits begonnen«, entgegnete der junge Graf wegwerfend. »Unsere Ärzte können diese Wohnung nicht verlassen, weil es Ihnen beliebte, den Schlüssel zu sich zu nehmen.« – »Ah, wahrhaftig, das habe ich vergessen, ich werde sofort öffnen.«

      Sternau verabschiedete sich von dem Grafen und eilte hinaus, wo er allerdings die drei Spanier fand, die ihn mit finsteren, haßerfüllten Blicken maßen.

      »Señor«, raunte ihm Francas zu, »Sie haben den Kampf mit uns begonnen! Wir werden ihn fortsetzen, und zwar so kräftig und so lange, bis Sie unterliegen und uns um Gnade bitten. Sie werden kein Erbarmen finden!« – »Bah!«

      Nur dieses eine Wort gab Sternau zurück, dann schob er den Sprecher beiseite und öffnete die Tür. Er selbst schritt voran, um sich direkt nach seiner bisherigen Wohnung zu begeben. Bei seiner späteren Rückkehr nach dem Schloß fand er jedenfalls sein Zimmer bereit.

      Nur kurze Zeit später saßen in dem Gemach der frommen Schwester Clarissa wieder drei Männer hinter verschlossenen Türen: Graf Alfonzo, Doktor Francas und der Notar Gasparino. Die beiden ersteren bemühten sich, das außerordentliche Ereignis zu berichten.

      »Oh, heilige Madonna von Segovia, ist das möglich!« rief Schwester Clarissa, als die Erzählung beendet war. »Wir waren so sicher; wir erwarteten das Gelingen unseres Plans so gewiß, und da kommt dieser fremde Antichrist dazwischen, um uns das gottgefällige Werk vollständig zu verderben!« – »Verderben?« fragte Alfonzo höhnisch. »Wer spricht davon! Hier kann es sich doch höchstens um einen kurzen Aufschub handeln.« – »Wird es mit dem Bohrer gelingen, Señor?« raunte der Notar dem Arzt zu. – »Ganz sicher«, antwortete dieser. »Aber wir werden diesen Doktor Sternau selbst so scharf anbohren, daß er zermalmt wird, ehe er es denkt.« – »Und diese Augenoperation?« – »Kann auch gelingen, wenn keine verderbliche Entzündung dazukommt. Ich traue diesem deutschen Riesen alles zu.« – »So sorgt man eben dafür, daß eine solche Entzündung eintritt«, bemerkte die fromme Schwester. »Gott hat dem Grafen das Licht der Augen genommen, um ihn zu prüfen, und es ist eine himmelschreiende Sünde, in diese Prüfung Gottes einzugreifen.« – »Ja, wir können dieses und jenes tun und auch noch vieles andere«, sagte der Notar, »aber wir müssen dabei vorsichtig sein. Wir dürfen nichts überstürzen; wir müssen jeden Verdacht vermeiden und außerordentlich vorsichtig sein. Man darf uns so wenig wie möglich beisammen sehen, und darum müssen wir auch die jetzige Unterhaltung bald beendigen. So viel steht fest: Der Graf darf nicht wieder gesund, am allerwenigsten aber wieder sehend werden, denn er darf das Gesicht Alfonzos niemals erblicken. Und dieser Deutsche muß unschädlich gemacht werden, er muß sterben oder doch für immer verschwinden.« – »Aber wie?« fragte die fromme Dame. – »Das laß nur meine Sorge sein! Ich habe da oben in den Bergen einige sehr gute Bekannte; von dummen Leuten werden sie Räuber genannt, gegen mich aber sind es die treuesten und ehrlichsten Verbündeten, die ich mir nur wünschen kann. Ich werde sie recht bald einmal besuchen und dabei anfragen, ob sie geneigt sind, uns von der Gesellschaft dieses Deutschen zu befreien.«

      Derjenige, von dem hier die Rede war, ruhte unterdessen in seiner kleinen Wohnung von der durchwachten Nacht aus, und als er am Nachmittag zum Schloß kam, war Gräfin Rosa die erste, die ihm begegnete.

      »Willkommen, Señor!« begrüßte sie ihn. »Mag uns Ihr Eintritt Heil und Segen bringen!« – »Zunächst wird er nur Kampf bringen, Señorita«, antwortete er. »Das hat mir dieser Doktor Francas heilig und teuer versprochen.« – »Er mag recht haben, Señor«, entgegnete sie mit leuchtenden Augen, »aber der Kampf, zu welchem wir uns verbinden, wird nicht nur ein Kampf gegen die Falschheit, die Lüge und das Verbrechen, sondern es wird auch ein Kampf um die Liebe sein, die uns verboten ist. Sie sollen in mir eine treue und tapfere Kameradin finden!«

      4. Kapitel

      »So liegt, die Qualen stolz verachtend,

      Mit denen man ihn zwingen will,

      Der Löwe, nach der Wüste schmachtend,

      In seinem Käfig stumm und still.

      Erstaunend ob der mächt‘gen Glieder,

      Umstehet scheu die Menge ihn,

      Und, tief gesenkt die Augenlider,

      Träumt er von der Oase Grün.«

      Hoch oben in den Bergen der Pyrenäen, da, wo westlich von Andorra der gewaltige Maladeta, »Der Verfluchte«, seine Spitzen in die Wolken reckt und seine finsteren Schluchten tief in die Erde gräbt, schlich ein Wanderer den wilden Pfad hinab.

      Keine Quelle ließ ihre erfrischenden Wellen abwärts murmeln; kein Busch oder Strauch bot einigen Schatten. Heiß, glühend heiß brannte die südliche Sonne auf den nackten Felsen, auf die öden Gänge und die kahlen Bergstürze, und doch hätte der einsame Wandersmann gar sehr eines kühlen Trunks oder eines kühlen Ortes bedurft, wo er seine müden Glieder vor den verzehrenden Strahlen verbergen konnte.

      Er schien alt, sehr alt zu sein. Sein Haar war ergraut und sein Gesicht eingefallen. Die Haut des letzteren und auch die seiner Hände war von Wind und Wetter lederhart gegerbt, die Kleidung hing ihm beinahe nur noch in Fetzen um den Leib, und die alten Sandalen, die er trug, waren so zerrissen, daß seine nackten Füße den glutgesättigten Boden berührten. Dabei schien er sehr krank zu sein, denn ein immerwährendes Hüsteln ließ seine eingefallene Brust erbeben.

      So schlich er sich weiter und weiter, immer tiefer in die Schluchten