Durch das Land der Skipetaren. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
sollst sie mir borgen, weil ich dir meine langen Stiefel zurücklasse.«

      »Soll ich etwa dieselben anziehen?«

      »Nein, Kleiner; du könntest mir darin verschwinden. Ich werde dir jetzt alles geben, was du mir aufbewahren sollst, besonders die Gewehre. Dann verabschiede ich mich.«

      Dieses Letztere wurde mir freilich schwerer gemacht, als ich gedacht hatte. Der Herbergsvater Ibarek, welcher nun auch nach Hause zurückkehren wollte, versprach mir, die beiden Brüder, welche sich bei ihm eingenistet hatten, gehörig durchpeitschen zu lassen, doch glaube ich nicht, daß der wackere Held den Mut dazu besessen hat.

      Endlich, endlich konnte ich in den Sattel steigen. Die beiden Wirte wunderten sich, daß ich nicht den Hengst reiten wollte, erfuhren aber meine Gründe nicht.

      Draußen vor der Stadt stand Halef und neben ihm – die Nebatja.

      »Herr,« sagte sie, »ich hörte, daß du uns verlassen willst, und ich bin gekommen, dir noch einmal zu danken, hier, wo niemand es sehen kann. Ich werde an dich denken und deiner nie vergessen.«

      Ich drückte ihr die Hand und ritt dann schnell von dannen. Es tat mir wehe, ihr in die nassen Augen zu sehen.

      Halef folgte mir noch eine Strecke, bis wir an einem Buschwerke vorüber kamen. Dort stieg ich ab und trat hinter die Sträucher.

      Der kleine Hadschi hatte das Gefäß mitnehmen müssen, in welchem sich der Sadar-Absud befand. Mit Hilfe eines Läppchens, welches er zu diesem Zwecke mitgebracht hatte, mußte er mir von der Flüssigkeit vorsichtig in das Haar des Kopfes und des Bartes streichen.

      »Sihdi, weshalb lässest du denn dein Haupt mit dieser Brühe salben?« fragte er dabei.

      »Das wirst du sehr bald sehen.«

      »Sollte sich das Haar wirklich dadurch verändern?«

      »Ich denke, daß du darob staunen wirst.«

      »So bin ich neugierig darauf. Aber da ziehst du diese ewig langen Strümpfe aus der Tasche; willst du sie etwa anlegen?«

      »Ja, und deine Gebetspantoffeln ziehe ich darüber.«

      Der Kleine trug auf der Reise diese Pantoffeln bei sich, um sie beim Besuch einer Moschee stets bei der Hand zu haben, da man sich der Fußbekleidung entledigen muß.

      Als er die »Salbung« meines Hauptes beendet hatte, zog er mir die Reitstiefel aus, und ich zog an Stelle derselben die Strümpfe an. Die Pantoffeln waren mir ein wenig zu klein, aber es ging doch. Als er dann wieder nach meinem Kopf blickte, schlug er verwundert die Hände zusammen und rief:

      »O Allah! Welch ein Wunder! Dein Haar beginnt ja, ganz hellblond zu werden!«

      »Wirklich? Wirkt die Brühe schon?«

      »Stellenweise.«

      »So müssen wir an den dunklen Stellen nachhelfen. Hier hast du den Kamm, um die Feuchtigkeit zu verteilen.«

      Er setzte das begonnene Werk fort, und als ich mich dann in dem kleinen Taschenspiegel besah, war ich hochblond geworden. Nun setzte ich den Fez auf, und Halef mußte mir das grüne Turbantuch um denselben winden, so daß rechter Hand das ausgefranste Ende desselben herabhing.

      »Sihdi, ich begehe da eine große Sünde,« sagte er kleinlaut. »Nur die direkten Nachkommen des Propheten dürfen diese Auszeichnung tragen. Du aber bist nicht einmal ein Anhänger des Kuran, sondern des Kitab el mukaddas[7]. Werde ich diese Entweihung verantworten können, wenn ich einmal über die messerschneideschmale »Brücke des Todes« gehen muß?«

      »Ganz gewiß.«

      »Ich aber zweifle daran.«

      »Sei unbesorgt. Ein Mohammedaner würde sich freilich an den Nachkommen des Propheten versündigen, wenn er deren Abzeichen trüge; ein Christ aber hat diese Regel denn doch nicht zu beobachten. Die Anhänger der Bibel dürfen sich kleiden, wie es ihnen beliebt.«

      »So habt ihr es weit besser und bequemer, als wir. Aber einen Fehler begehe ich dennoch. Wenn du selbst dir das Tuch umlegtest, so würde es dein Gewissen nicht beschweren. Da ich es aber tue, ich, ein gläubiger Sohn des Propheten, so werde ich wohl strafbar sein.«

      »Habe keine Sorge! Ich will diese Sünde gern auf mein Gewissen nehmen.«

      »Und an meiner Stelle in der Hölle braten?«

      »Ja.«

      »O Sihdi, das gebe ich nicht zu; da habe ich dich doch zu lieb. Lieber brate ich selbst, denn ich glaube, ich halte es besser aus, als du.«

      »Traust du dir mehr Kraft zu, als mir?«

      »Nein, aber ich bin doch viel kleiner, als du. Vielleicht finde ich eine Stelle, wo ich mich unter und zwischen den Flammen niederstrecken kann, so daß sie mir nicht wehe tun.«

      Der Schalk meinte es mit seinem Bedenken gar nicht so ernst. Ich wußte doch, daß er schon längst im Herzen ein Christ geworden war.

      Um die Verwandlung zu vollenden, setzte ich nun die Brille auf und schlang die Reitdecke um meine Schultern, ungefähr so, wie ein Mexikaner seine Serape trägt.

      »Müdschüzat allahi – Wunder Gottes!« rief Halef aus. »Sihdi, du bist ganz und gar ein Anderer geworden!«

      »Wirklich?«

      »Ja. Ich weiß nicht, ob ich dich erkennen würde, wenn du so an mir vorüberrittest. Nur an deiner Haltung würde ich es sehen, daß du es bist.«

      »O, die wird auch eine andere. Aber das habe ich gar nicht nötig. Die Aladschy haben mich ja noch niemals gesehen. Sie kennen mich nur aus der Beschreibung, und es ist also sehr leicht, sie irre zu machen.«

      »Aber der Bote kennt dich!«

      »Den treffe ich vielleicht nicht.«

      »Ich denke, der wird bei ihnen sein.«

      »Schwerlich. Sie wollen uns zwischen hier und Radowitsch auflauern; er aber hatte seine Esel bepackt und will die Waren dort abliefern. Er beabsichtigt also, nach Radowitsch zu reiten. Es ist also anzunehmen, daß er sie unterwegs benachrichtigt und dann weiter reitet.«

      »Und glaubst du wirklich, ganz allein mit ihnen zurechtkommen zu können?«

      »Ja, gewiß.«

      »Die Scheckigen sind aber berüchtigt; vielleicht wäre es besser, wenn ich dich begleiten würde. Ich bin ja dein Freund und Beschützer.«

      »Jetzt hast du Osko und Omar zu beschützen. Diese Beiden vertraue ich dir an.«

      Das tröstete ihn und erhob sein Selbstgefühl. Darum antwortete er schnell:

      »Da hast du vollkommen recht, Sihdi. Was wären die Beiden ohne mich, deinen tapferen Hadschi Halef Omar? Nichts, gar nichts! Uebrigens habe ich den Rih, dem ich meine ganze Seele widmen muß. Mir ist sehr viel anvertraut.«

      »So mache dich dieses Vertrauens auch würdig. Weißt du noch alles, was wir besprochen haben?«

      »Alles. Mein Gedächtnis ist wie der Rachen eines Löwen, dessen Zähne alles festhalten, was sie einmal gepackt haben.«

      »So wollen wir jetzt scheiden. Lebe wohl! Mache keinen Fehler!«

      »Sihdi, kränke meine Seele nicht mit dieser Ermahnung. Ich bin ein Mann, ein Held; ich weiß, was ich zu tun habe.«

      Er warf den nun nicht mehr zu brauchenden Topf zwischen die Sträucher, schwang sich meine langen Stiefel auf die Achsel und schritt nach der Stadt zurück. Ich aber ritt nach Nordwest, einer gefährlichen und vielleicht verhängnisvollen Zukunft entgegen.

      Zunächst hatte ich freilich keine Veranlassung, eine Gefahr zu befürchten. Hätten die Aladschy mich gekannt und erblickt, so wäre an einen heimtückischen Ueberfall, an eine Kugel aus dem Hinterhalt zu denken gewesen. So aber hatte ich im schlimmsten Fall einen offenen räuberischen Angriff zu erwarten, wie jeder andere Reisende auch. Und dazu bot meine jetzige Erscheinung eben nicht viel Verlockendes.

      Ich sah aus wie ein armer direkter Nachkomme Mohammeds, bei dem gar nicht viel


<p>7</p>

»Das heilige Buch« = Bibel.