Ich war noch nicht mit mir einig geworden, als ich zum Hause kam, was ich meinem Weibchen zu sagen hatte; da guggete ich zum Fenster hinein und sah die Kinder um den Tisch gereiht ein Schullied singen, das Mutterli aber im Ofenecken sitzen; den Kopf hatte es aufgelegt, so daß ich nicht sehen konnte, weinte oder schlief es. Dieser Anblick gab mir den Mut nicht, mit der Wahrheit herauszurücken; ich beschloß, sie zu verbergen, mich lustig zu stellen, zweideutigen Bescheid zu geben, faßte das Herz in beide Hände und trat mit einem herzhaften: »Guete-n-Abe geb ech Gott!« in die Stube. Die Kinder fuhren fröhlich auf und riefen freundlich: »Guete-n-Abe, Ätti!« Das Mutterli kam auch, wischte sich aber geschwind die Augen ab und sagte: »Bisch späte, sitz zueche, i ha dr dänne deckt, wirsch sroh sy über öppis Warms?« Sie trug auf, frug mich nichts; aber scharf sah sie mich an, wie ich mich abmühte mit den Kindern zu spaßen. Und übers Herz konnte ich es nicht bringen, so oft ich auch ansetzte, zu sagen: »Muetterli, ,es ist guet gange.« Als endlich die Kinder zu Bette waren, setzte sie sich zu mir und sagte weinerlich: »Gell, es het dr gfehlt und ‚s Fleisch hei mr vergebe g‘esse!« — Ich wollte nicht bekennen; aber sie ließ sich nicht täuschen, behauptete, sie kenne mich zu gut, als daß ich mich vor ihr verstellen könne; sie sehe es mir auf den ersten Blick an, ob mir wohl oder übel zu Mute sei. Ich mußte mit der Sprache heraus und dem guten Weibchen meinen Jammer mitteilen. Es weinte und ich weinte; eins wollte das andere trösten; aber unsere Trostgründe waren so wenig heblich, und jedes traute den seinigen selbst so wenig, daß sie unsere Thränen nicht stillten. Wir wollten Vorsätze fassen, früher aufstehen, später uns niederlegen; aber als wir rechneten, fanden wir, daß das uns nicht weit bringe, besonders da ich jetzt so viel mehr Schule halten mußte als früher und fast um den alten Lohn. Wir gedachten daran, unsere Kinder bei guten Leuten unterzubringen; aber der Gedanke that uns so weh, daß keins ihn mehr berühren mochte. Wir sahen keinen Ausweg, fanden keinen Trost. Da sagte endlich meine Frau: »Es ist Nacht, wir sind beide müde und matt; da kann der mutlose Mensch sich nicht aufrichten. Wenn der Morgen frisch am Himmel steht und der erwachte Mensch gesund die Sonne wieder steht, faßt er sich eher wieder und findet irgend einen Ausweg. Wir wollen schlafen gehen; der gütige Gott hat den Schlaf gegeben den Betrübten, damit sie ihre Last vergessen und mit jedem neuen Tage stärker werden, sie zu tragen.«
So sprach meine fromme Frau. Wir empfahlen uns dem Herrn und thaten, wie sie angegeben hatte. Aber schlafen konnte ich nicht; meine Gedanken verfolgten und hetzten mich wie Gespenster; eine heftige Bitterkeit stieg in mir auf gegen die, die mich so tief gewürdigt hatten, und ich sann darüber, ob sie nicht zu verklagen waren und gezwungen werden könnten, ihre Befehle zu ändern. So wollte der Schlaf lange nicht kommen, bis er mich endlich doch ergriff.
Da trat folgendes Traumgesicht vor meine Seele: Es öffnete sich die Thüre und herein trat ein mir wohlbekannter Schulmeister, ein klein aber anfechtig Bürschchen, den weißen Hut hinten im Nacken, eine große Porzellanpfeife mit kurzem Rohr fast gerade ausgestreckt. Keck und trotzig stellte er sich mitten in die Stube, mit einer langen Schrift in der Hand, die Nase aufwärts gerichtet, und sprach! »Käser, es wird dir wie mir gegangen sein? Ich galt für einen Gelehrten; ich habe mich von jeher dafür ausgegeben und die Leute glaubten mir. Nun kommen die da und setzen mich in eine untere Klasse. Es ist vor Gott und Menschen nicht recht, so das Vaterland zu verraten. Ich hoffte, die ganze Einwohnerschaft werde rebellieren und den Gehorsam aufkünden wegen mir, daß man mich so behandelt; aber das sind lauter Strohköpfe und Eiszapfen, und fürchten sich vor den Bürgern, die es mir wohl gönnen mögen; denn ich bin ihnen halt zu gescheut und sie müssen mich fürchten ärger wie ein Schwert. Keiner hat meinetwegen den Fuß versetzt; ich glaube gar noch, sie gönnen es mir. Nun habe ich da eine Schrift aufgesetzt an den Großen Rat; da sind doch noch Männer, die Vaterlandsfreunde sind. Ich will sie dir vorlesen, du mußt mir sie unterschreiben; es wird‘s noch mancher gerne thun und mir danken, daß ich immer für alle sinne und mich allenhalben z‘vordrist stelle.« Er las mir nun vor, wie das Erziehungsdepartement das Volk versumpfe, entsittliche, seine Lehrer verhungern lasse, alles zwängen wolle und nichts verstehe, die ausgesetzten Gelder verschleudere; wie der Regierungsrat verräterisch stillschweige und nichts weniger verstehe als das Regieren — dann noch allerlei von den Pfarrern, wie die allein begünstigt seien, und wie man besser thäte, die Lehrer, da sie doch wichtiger seien als die Pfarrer, zu besolden wie die Pfarrer, und dann seinethalben die Pfarrer wie bisher die Lehrer; auch vom Obergericht und den Reaktionsprozeduren und dem 2. Juli, und noch allerlei, das ich nicht verstand, bis an den Schluß, wo gefordert wurde, daß der Große Rat eine Kommission niedersetze, die beklagten Behörden zu untersuchen; einstweilen aber, bis diese Kommission Bericht erstattet habe, das Obergericht, den Regierungsrat, das Erziehungsdepartement in allen ihren Funktionen einstelle, damit der Schaden nicht alle Tage noch größer werde. Als er fertig war, suchte er Federn und Tinte, um mich unterschreiben zu lassen. Da schlich aus einer Ecke der Stube her eine andere Figur. Wie sie hereingekommen, wußte ich nicht; ihre Schritte hörte ich so wenig als eine Maus den Schritt eines Fuchses. Es war eine magere Gestalt, aber mit rotem Gesicht und einer merkwürdigen Nase; in der einen Hand hielt sie ein Küchli, in der andern eine Hammeschnitte; aus der Busentasche sah der Zapfen einer Flasche. Sie schlich sich hinter dem Rücken des suchenden Schulmeisters in die Mitte der Stube, schüttelte mit dem Kopfe gar eifrig und machte mit der Küchelschnitte verächtliche Bewegungen gegen jenen; die Hammeschnitte zeigte sie mir (sie war groß und so schön weiß und rot), steckte sie dann in den Mund und schmatzete nach Herzenslust. Als sie eine Weile gegessen hatte, sprach sie, aber so wunderbar, daß der andere es nicht hörte, zu mir folgendes:
»Käser, der Geist hat mich zu dir getrieben; er hat dein Elend erkannt und erbarmet sich deiner; er will dich aufnehmen unter seine Auserwählten und dich bestellen, das Evangelium zu predigen den verblendeten Gliedern der Kirche, die zum großen Säustall geworden ist. Er sucht vor allem aus Schulmeister; denn die können reden und am besten unvermerkt bei Jung und Alt das große Werk beginnen, und sie dem Heiland fangen, ohne daß sie es merken, wie Fische in einem Garne. Es steht ja geschrieben: Ich will dich zu einem Menschenfischer machen. Entsage, o Käser, der Welt und ihren Lüsten und folge dem Heiland nach. Siehe, du wirst es gut haben, brauchst nicht mehr in feuchtem Webkeller dich abzuzehren, du kannst herumlaufen, und je mehr, je lieber. Siehe diese Hamme und die Küchli! Solcher Dinge wirst du genug haben alle Tage. Und hier diese Flasche wird dich laben und nie leer werden. Es ist altes Batziwasser von 1834. Deren hat eine alte Frau noch mehr als einen Saum und das alles ist unser. Geschenke wird es dir ins Haus regnen, wie Manna den Kindern Israel in der Wüste; und wenn du heim kommst, so wird dein Wartsäckli beständig voll sein, daß du die Kinder speisen kannst wie die jungen Raben am Bache. Und dann wirst du noch gar manche Freude haben, von denen ich dir jetzt noch nichts sage. Die Schwestern werden sie dir schon begreiflich machen, wenn es Zeit ist. Aber rühmen wird man dich über Berg und Thal und zulaufen wird man dir aus allen Dörfern und Höfen, und überall wird es heißen: Der Käser ist doch der best; es dünkt einem, er komme gerade vom Himmel. Und Leitern wird man dann anstellen ins Kami und aufs neue Hamme und Würste abehaue, ganze Scheube voll. So wird all dein Elend in Zeit und Ewigkeit ein Ende nehmen. Drum sei mein Jesusbruder, beiß ab von dieser Hamme und ziehe eins aus dieser Flasche auf heilige Brüderschaft in dieser bösen Welt!«
Unterdessen hatte der Schulmeister Federn und Tinte gefunden, Feuer geschlagen in seine ausgegangene Pfeife, und streckte mir die Schrift zum Unterschreiben dar, und auf der andern Seite streckte mir der Bruder die Hammeschnitte zum Abbeißen dar. Und da war ich und wußte nicht, sollte ich abbeißen oder unterschreiben. Gar schwach stellte ich mich im Traume dar; wie ein Rohr schwankte ich zwischen beiden Drängern. Dem kleinen Schulmeister durfte ich das Unterschreiben nicht wohl abschlagen; so klein er war, fürchtete ich ihn doch wie ein Schwert; er konnte gleich thun wie eine wilde Katze am Hälsig. Denn doch fürchtete ich mich vor dem Unterschreiben; die Herren konnten uns am Ende noch hängen lassen, wenn sie Meister blieben. Dann wieder roch die Hamme so lieblich, die Küchleni dufteten so zärtlich, daß Fleisch und Blut die Lust empfingen und dem Mund gar ernstlich zusprachen, zuzubeißen. Dabei bangte mir doch gar sehr vor dem Pfarrer, vor meiner Frau und noch vor andern Leuten; sagen durfte ich denen ja nie, daß ich das Handgeld empfangen, um geistlich zu sein. Während es in mir also kämpfte, waren