Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jeremias Gotthelf
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
sie seien und was sie seien, ob dütsch oder weltsch. Ich hatte Zeit, einzulenken, meine neue Gelehrsamkeit in Sack zu stoßen und ihm vom Rechnen, Schreiben und Katechisieren zu brichten. Daß ich die Brüche könnte und die Heustöcke auf zwei Wege rechnen — auch die Neuner-Probe — das flößte ihm doch eine Art Respekt ein und er meinte: wenn ich das Larifari fahren lasse, so könnte ich noch von den besten einen geben.

      Man kann denken, mit welcher Begierde ich auf ausgeschriebene Schulen wartete, und mit welchem Ärger ich wieder in meinen Webkeller zurückging, wo ich noch an der Kost abzuverdienen hatte, wenn ich keine fand, außer vielleicht eine aus dem Oberlande, für welche ohne Wohnung Summa Summarum 20 L. versprochen war.

      Endlich kamen ledige Schulen; ich machte Examen, allein ich war nicht glücklich, und doch war ich überzeugt, daß ich der Geschickteste gewesen, daß mir die Schule gehört hatte. Freilich gestund ich, daß die Glücklichen in einigen Fächern es besser gemacht; allein im ganzen, meinte ich, hätte doch keiner so durchgeschlagen wie ich. Endlich brachte ich es zum zweiten im Vorschlag. Das war etwas; aber ich war doch ärgerlich, besonders da ich ein Patent hatte und jener keins. Im Wirtshause trank ich auf der Gemeinde Kosten ein Glas geschwefelten Wein zu viel und traf im Heimgehen auf den Schulkommissär, der den gleichen Weg pfoselte. In meinem geschwefelten Mute beschwerte ich mich über meine Zurücksetzung und fragte recht preußisch, was denn Meiner Gnädigen Herren Gschrift nütze, wenn man nicht darauf achte. Der Schulkommissär, ein runder guter Mann (es ist, beiläufig gesagt, merkwürdig, daß die Runden gewöhnlich freiner sind als die Langen), sagte mir, er wolle es mir erklären, wenn ich es nicht übel nehmen wolle. Allerdings sei ich der beste gewesen im Examen; aber die Bauren, auf die man auch hören müsse, hätten mich nicht gewollt. Sie hätten gesagt, ich sei ein gar hochmütiger. Gestern, als ich durch ihr Dorf gegangen, hätte ich niemand bei den Häusern gegrüßt und wenn mir jemand die Zeit gewünscht, nur ganz puckt gedankt, und wenn sie gesagt: »Guten Abend geb ech Gott!« nur gesagt: »Große Dank« statt: »Große Dank geb ech Gott«, und bei niemand mich gestellt. Dann sei ich ihnen viel zu herrschelig und hätte eine schwarze Kutte an. Die stände dem Pfarrer wohl an; aber sie begehrten keinen Schulmeister, der hoffährtiger und vornehmer daher komme als sie selbst. »Mein Gott!« sagte ich, »das sind doch dumme Bauren, daß sie nicht gesehen haben, daß ich mich scheute, durch das Dorf zu gehen und fast nicht neben aus zu sehen wagte aus Schüchternheit. Ich hätte gerne mit einem geredet, aber es wollte mich keiner anreden. Die Kutte kaufte ich in Bern bei einem Stand; sie gefiel mir gar wohl, war halb so wohlfeil als eine halbleinerne und ich dachte, es Sei für einen Schulmeister doch anständig, wenn er auch etwas geistlich daher komme und nicht nur so weltlich.« Der Schulkommissär antwortete mir: Schüchternheit und Hochmut könnten noch gescheutere Leute, als jene Bauren seien, nicht unterscheiden. Der Bauer komme niemand entgegen, am wenigsten einem Fremden. Für Freundlichkeit oder Holdseligkeit sei er aber um so empfänglicher, je mehr sie ihm abgehen. Freundlichkeit sei ein gar holdes Wort und eine viel wichtigere Tugend, als man es gewöhnlich glaube, und auch in dieser voranzugehen, sei des Schulmeisters Pflicht. Die Kutte mache eben die Geistlichkeit nicht aus und in einer geistlichen Kutte könne ein gar weltlicher Sinn stecken. Daß ein Pfarrer eine solche tragen müsse, fordere ein altes Vorurteil; es wäre auch besser anders. Den Schulmeister aber wollten die Bauren in ähnlicher Kutte haben, wie sie tragen, damit sie die Überzeugung gewinnen könnten, daß auch in solchen Kutten ein echt geistlicher Sinn wohnen könne. Ich wollte wieder das Maul aufthun, um zu räsonieren; da stund der Herr stille, gab mir die Hand und sagte: »Bhüet ech Gott, Käser, i mueß da ab; dr bigryffet mi no nit, aber beulet über myni Wort nah, su werdet ‚r finde, baß i recht ha; oder fahret so surt, so werdet ‚r us Schade klueg werde. Machet jetzt was dr weit. Bhüet ech Gott!«

      Er pfoselte links, ich rechts. Aber in meinem Herzen pülverte ich gewaltig über den ratenden Schulkommissär. Ich behauptete, das hätten die Bauren nicht gesagt, nicht gedacht, sondern der Herr habe das selbst ersonnen. Der möge viel von Hochmut sprechen, während er nicht leiden möge, daß ein Schulmeister eine Kutte von gleicher Farbe trage; denn nur das habe ihn und nur ihn geärgert, daß ich eine schwarze Kutte angehabt; auf so was hätte kein Bauer acht gegeben. Da sei mir aber auch wieder ein lustiger Herr und der Rat ein lustig Pfaffenstücklein; mich nehme nur wunder, wie der über den Text predigen wolle: daß man nicht uach dem Splitter suchen solle in des Nächsten Auge, wahrend man den Balken noch im eigenen habe. Ihn gehe es aber gar nichts an, welche Kutte ich trage; ich hätte sie aus meinem Gelde bezahlt, und ihm zum Trotz werde ich sie an alle Examen anziehen. So dachte ich damals. Den guten Rat verachtete ich nicht nnr, sondern schrieb ihn sogar leider Absicht zu und doch war ich kein Mitglied des Großen Rates, saß noch viel weniger in einem Departements sondern war eben nichts als ein angehendes Schulmeisterlein. Aber man sieht hoffentlich doch daraus, welche bedeutende Anlagen zu hohen Posten ich eigentlich gehabt hätte.

      Würde ich jetzt den guten runden Herrn, der, wenn er nach dem Ansatz fortgefahren hat, ein artiges Fäßlein geworden ist, irgendwo antreffen, so würde ich ihm recht herzlich für seinen Rat danken. Denn jetzt sehe ich, durch lange Erfahrung belehrt, ein, daß er recht hatte und das Land weit besser kannte als ich, der doch darauf auferzogen wurde. Aber wenn man mitten in einem Walde steht, so weiß man selten, wo man darin daheim ist. Man muß ihn übersehen können, wenn man sich zurecht finden will.

      Wie es kam, weiß ich nicht; allein als ich an das nächste Examen gehen wollte, zog ich meinen schwarzen Rock nicht an, sondern den alten elben. Als ich das Haus verließ, begegnete mir kaum fünfzig Schritte davon ein alt struppig Weib mit einem Tabaklätsch unter der Nase, und grüßte mich gar freundlich und wollte mir die Hand längen. Ich aber wurde feuerrot im Gesicht, daß ein altes Weib auf meinem Weg nach gutem Geschick mir zuerst begegne und noch dazu ein so wüstes und noch dazu mir die Hand geben wolle; sie kannte mich und kam aus meiner Gemeinde. Ich brummte ärgerlich ein paar Worte und schnurrte an ihr vorüber wie ein Pfeil, und hatte bereits alle Hoffnung, im Examen glücklich zu sein, aufgegeben. Denn wenn so ein altes Weib einen bei einem Ausgang zuerst anläuft, dann gute Nacht, Glück! Die stund über mein Benehmen ganz verdutzt still und rief mir erbittert nach: »E Peterli, ume nit so hochmüetig! So a-mene selige sött‘s notti nit dr wert sy hochmüetig z‘sy! Burehof hesch notti kene z‘vercheigle, und we d‘ dNase schnüze wotsch, su wirsch dr Lumpe wohl z‘ersch müesse ga etlehne!«

      Ich lief, was ich konnte, dachte aber bei mir selbst, das sei doch verdammt ungerecht, daß jedes alte Weib und ein jeder Pfaffe mich als hochmütig verschreien wollten. Aber denen wolle ich es zeigen, das, ich es nicht sei. Ich nahm mir fest vor, mit jedem anwesenden Vorgesetzten recht manierlich und repetierlich zu reden. Diesen Entschluß führte ich auch aus, so schwer es mir ward, und siehe, ich erhielt die Schule, d. h. ich war der erste auf dem Vorschlag, und beim Abendessen rühmten mich die Vorgesetzten gar und sagten, das hätte ihnen gefallen, daß ich gar so ein Gemeiner sei und niederträchtig mit jedermann. So einen Herrscheligen und Hochmütigen begehrten sie nicht. Da ging mir der erste Stich durchs Herz wegen angethanem Unrecht, und seither noch mancher.

      Gegen hundert Kinder gehörten zu dieser Schule. Etwas Land nebst dem nötigen Holz und Wohnung und 75 L. Geld machten sie zu einer der angenehmsten im Kanton zu damaliger Zeit. Lage und Haus hatte ich noch nicht gesehen, mußte aber versprechen, bald zu kommen und mich umzuschauen.

      O, wie ging ich selben Abends heim, so träumerisch glücklich, daß ich nicht wußte, wo ich war und wie die Füße liefen; bald schnell, bald langsam wahrscheinlich, je nachdem es in mir quoll und schwoll. Was alles an meiner Seele vorüberrann, weiß ich nicht; war es doch eben ein Traum in wachendem Zustande. Aus diesem Traum erwachte ich erst, als mich etwas heftig in die Finger stach. Es war ein Dornzweig, der in die Straße hing und den ich in meine Hand gedrückt hatte, träumend, es sei die Hand des Ammanns, der mich bewillkomme vor seinem Hause.

      O, so ein Zustand ist rührend und schön und begreiflich auch bei einem armen Kerli, der in bitterer Not mit schweren Hindernissen Jahre lang gekämpft und nun auf einmal sorgenlos am schönen Ziele zu stehen meint. Aber leider ist ein solcher Zustand nur ein Traum, der uns bei Erreichung eines Zieles, auf das wir unverwandt das Auge geheftet, beglückt, und dieser Traum währt nur so lange, bis wir wieder die Augen aufschlagen und am Ziele rund um uns schauen. Dann ziehen neue Sorgen, neue Kümmernisse ein.

      Es keucht der Wanderer in schwerer Sonnenhitze