Ille mihi. Elisabeth von Heyking. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth von Heyking
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Bruders ist Herr von Zehren Besitzer des Fideikommisses Weltsöden im Kreise Sandhagen, das er mit Hilfe seiner Mutter selbst bewirtschaftet. Er hat mir klar und offen über die dortigen Verhältnisse Aufschluß gegeben; es scheint ein Besitz zu sein, aus dem sich mit Kapital noch viel machen ließe. Und du hast ja das Vermögen deiner Mutter. Auch an künftige politische Betätigung denkt Herr von Zehren. – Auf eines freilich muß ich dich aufmerksam machen: er ist ein pflichteifriger Mann, gewohnt sich selbst nie zu schonen – als solcher wird er auch große Anforderungen an seine Frau stellen. Ein Leben ohne Verantwortung wie bisher wirst du dort nicht führen können: Du wirst großen Pflichten und Aufgaben gegenüber stehen.« Was Papa beinahe widerstrebend, um der Forderung unparteiischer Sachlichkeit zu genügen, hinzugesetzt hatte, und was manch anderes Mädchen abgeschreckt hätte, das war nun gerade für Ilse das Entscheidende. Hohe Pflichten und Aufgaben? Die wünschte sie sich ja! Nach einer Enttäuschung wie der jüngst erlebten, konnte es ja gar nichts anderes mehr für sie geben, – das Leben sollte hart und schwer sein und viel von ihr fordern, sie war bereit, großen Zwecken zu dienen. – An Herrn von Zehren selbst dachte sie dabei kaum – es erschien ihr wie eine Erleichterung und Rechtfertigung, daß sie für ihn so gar nichts von dem empfand, was ihre Phantasie für den Helden ihrer einstmaligen Träumereien erfüllt hatte.

      So erklärte sie ihrem sichtlich erfreuten Vater ihre Bereitwilligkeit, die Werbung des ernsten pflichteifrigen Mannes anzunehmen.

      Papa eilte aus dem Eckzimmer, wo die Unterredung stattgefunden und kehrte alsbald mit Herrn von Zehren zurück. Ilse hatte sich sein Erscheinen nicht so unmittelbar vorgestellt, und nun ward ihr doch etwas bang zumute, besonders als Papa sagte: »Jetzt sprecht Euch aus, liebe Kinder, ich will nicht stören«, und sie mit dem Fremden allein ließ.

      Herr von Zehren kam mit langen Schritten zu ihr ans Eckfenster und ergriff ihre Hand. Er war sehr lang und sehr mager, und seine hagere Gestalt mit den abschüssigen Schultern endete in einem auffallend kleinen Kopfe. Er nahm in Wahrheit wenig Platz ein, aber Ilse war, als fülle er plötzlich das ganze Zimmer mit seiner Gegenwart. Unwillkürlich trat sie noch dichter ans Fenster zurück.

      »Die Antwort, die mir soeben übermittelt worden ist, beglückt mich unendlich«, begann er. Sie wußte nicht, was darauf zu sagen und schwieg daher. Er fuhr fort: »Ich heiße Theophil, liebe IIse, willst du mich so nennen?«

      »Ja, Herr von Zehren,« antwortete sie, »ich werde Sie Theophil nennen, wenn Sie es wünschen.«

      Er lächelte, wie mädchenhaft scheu sie doch war!

      »Aber du mußt auch du zu mir sagen«, sagte er.

      »Ja, das werde ich wohl müssen, … aber … meinen Sie wirklich … schon jetzt?«

      »Ich bitte dich darum!« Plötzlich beugte er sich von seiner ganzen langen Höhe herab, und sie hatte die Empfindung, als sei sie unter die Klinge eines scharfen Taschenmessers geraten, das auf sie niederklappte. Sie hielt den Atem an. – Es tat aber nicht weh. Er hatte sie auf die Haare geküßt, und ein bißchen von dem Kuß hatte noch gerade ihre Stirn gestreift. Es war eine gleichgültige Empfindung … eigentlich gar keine. – »Bei den meisten Dingen ist offenbar die Angst vorher das Schlimmste«, philosophierte Ilse innerlich, »was verheiratet sein eigentlich ist, weiß ich nicht, und hab ja auch niemand, den ich fragen könnte – aber damit wird es wohl ebenso gehen!«

      »Hast du mich denn etwas gern?« hörte sie indessen Herrn von Zehren fragen.

      »Nicht so sehr wie Papa und Greinchen«, antwortete sie sofort, »ich kenne Sie, … dich ja auch noch nicht so lange.« Und dann setzte sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, hinzu: »Wenn Sie aber meinen, daß das nicht genug ist, um sich zu verheiraten, so sagen Sie es mir bitte, nicht wahr? Ich habe so ein Gefühl, als ob es beim Heiraten vieles geben mag, was Sie besser wissen müssen als ich!«

      Es war doch erquickend, solcher Unberührtheit in unserer Zeit zu begegnen, dachte er und sagte: »Du empfindest genau, wie man es von einem wohlerzogenen Mädchen unserer Gesellschaft nur wünschen kann, liebe Ilse. Wir erwarten ja auch von der Frau, die wir heiraten, eine andere Art Gefühle wie … wie … nun wie von den anderen. Und Liebe? – Nun, die findet sich bei gut gearteten, pflichtbewußten Frauen ganz von selbst in der Ehe.«

      Am Abend dieses Tages schrieb Herr von Zehren seiner Mutter: »Sie ist in allem noch sehr jung, beinahe ein Kind, aber voll der besten Absichten und sicherlich leicht lenkbar, so daß alles Unerwünschte, genial Künstlerische, was etwa von der singenden Großmutter auf sie übergegangen sein könnte, ohne Mühe im Keim zu ersticken sein wird. Möchte es Dir, verehrteste Mutter, gelingen, sie zu modeln, daß sie Dir möglichst ähnlich werde! Ihre Gesundheit, nach der Du fragst, scheint mir vortrefflich: sie hat tadellose Zähne und volles Haar; sie ist noch recht mager, aber von ihrem guten Appetit konnte ich mich überzeugen und ich hörte, wie Fräulein Greiner sie ob ihres üblichen zehnstündigen Schlafes neckte; ich hielt es für richtig, da gleich zu erwähnen, daß in Weltsöden Winters um sechs und Sommers um fünf aufgestanden wird. Das Vermögen, das sie von ihrer Mutter direkt geerbt hat, das aber, wie Du weißt, vom alten Herzog Bernhard, ihrem morganatischen Großvater, stammt, ist größer noch, als wir dachten – so bildet es immerhin eine Entschädigung für die durch die Großmutter so sehr gestörte Ahnenreihe. Die Zinsen hat der Vater nicht, wie ihm freistand, verausgabt, sondern sie alljährlich zum Kapital geschlagen. Ich werde es jetzt, bei der Urbarmachung von Wüste Teufelstrift, gut verwenden können. – Der Vater scheint mir recht abgängig zu sein, und von ihm hat sie ja auch noch mal ein Erkleckliches zu erwarten. Väterlicherseits hat sie nur ganz entfernte Verwandte, wie Du wohl schon aus dem Gotha ersehen haben wirst; mütterlicherseits sind überhaupt keine vorhanden, was unter den gegebenen Verhältnissen ja eine Erleichterung ist.«

      Gleich nach der Verlobung reiste Herr von Zehren auf sein Gut zurück, und Ilse hatte die Empfindung, als sei eigentlich gar nichts Besonderes geschehen, nur daß sie an einem ihrer schlanken Finger einen glatt goldenen Reif, ihren künftigen Trauring, trug, der die Tendenz hatte, leicht herabzurutschen, und daß Greinchen sie häufig lang und innig ansah, sich die Augen wischte und flüsterte: »So eine glückliche Braut, das ist doch was zu Schönes«.

      Und dann fuhr Papa mit ihr auf einige Tage nach Berlin. Dort sollte sie verschiedene Verwandte ihres Verlobten kennen lernen und mit ihrer künftigen Schwiegermutter zusammentreffen, die es bereitwillig übernommen hatte, für Ilse die Ausstattung auszusuchen »wie sie sich für Weltsöden schicke«. – Dieser Begegnung ging Ilse mit sehnsüchtig pochendem Herzen entgegen, denn wie nun auch das Verheiratetsein sich erweisen mochte, eine Mutter zu besitzen, mußte unter allen Umständen schön sein!

      Die verwitwete Frau von Zehren, geb. von Saßmacken, war beinahe ebenso lang wie ihr langer Sohn, aber wo er vertrocknet und verwittert war, hatte sie sich ausgedehnt, nicht zu Rundungen, sondern zu weiten Flächen. Es war alles groß an ihr, mit Ausnahme der Augen, die klein, schlau und wie versteckt hinter den weiten Backenflächen lagen. Die laute, häufig in polterndes Lachen übergehende Stimme erweckte zuerst nur den Eindruck ländlich ungenierter Derbheit; sie schien zu sagen: »Ich habe stets so laut sein dürfen, wie ich wollte, denn ich erscholl ja immer nur über eigenen Feldern«. Sie konnte aber auch bisweilen eine zweite Klangart annehmen, die weniger bieder, sondern mehr hart und herrisch war.

      Mit kräftig zupackenden Händen, die an breiten Gelenken saßen, faßte Frau von Zehren ihre künftige Schwiegertochter bei den Schultern, zog sie ans Licht und sagte: »Also dich hat sich mein Theophilchen ausgesucht? na, laß dich mal anschauen«.

      Ilse hatte dabei die Empfindung, als würde sie von einem Elefanten inspiziert; es beruhigte sie, sich dabei zu erinnern, daß diese Dickhäuter in der Naturgeschichtsstunde als gutmütige Tiere geschildert wurden – besonders rührende Geschichten gab es ja über ihre Freundlichkeit gegen die kleinen Kinder in Indien – doch als sie zu Frau von Zehren aufschaute und in ihre kleinen Augen blickte, erinnerte sie sich plötzlich, gelesen zu haben, daß die Elefanten bisweilen auch sehr böse werden können und dann in der Wut alles niedertreten.

      Die Schwiegermutter war doch ganz anders, als sich Ilse eine Mutter vorgestellt hatte!

      Frau von Zehren ihrerseits äußerte, nach diesem ersten Zusammentreffen mit der künftigen Schwiegertochter, zu ihren beiden Schwägerinnen,