Alarm. Alfred Schirokauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Schirokauer
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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der Lieferung dreier Schlachtkreuzer an die japanische Marine. Die Aufträge gingen durch viele Instanzen, langsam, schwerfällig, mit unendlichem Zeitverlust und aufreibender Saumseligkeit, wie jeder behördliche Weg in Nippon. Auf dieser langen Route war mancher, der nicht englisch sprach. Egan hatte bislang seinen japanischen Dolmetschern wenig vertraut. In Unterhandlungen mit der Regierung waren sie weder unparteiisch noch zuverlässig. Mit Freuden griff er die Dienste dieses jungen verschlossenen weißen Mannes auf.

      »Sie sind Amerikaner?« fragte er.

      »Nein, Engländer«, sagte Rutland.

      Egan stutzte. Der Mann sprach doch das Englisch eines Weststaatlers von Nordamerika. Irgend etwas schien ihm verdächtig. Er beobachtete ihn scharf diese erste Zeit. Seine Menschenkenntnis erkannte sehr bald die Treue und Ehrlichkeit Rutlands und eine erstaunliche Tüchtigkeit im Verhandeln mit diesen verschlagenen hartnäckigen kleinen gelben Leuten sowie eine verblüffende Kenntnis und Erfahrung in Dingen der Kriegsschiffe, Geschütze, Ausrüstung.

      »Woher wissen Sie das alles?« fragte Egan und starrte dem schweigsamen Manne in die traurigen grauen Augen.

      »Ich war im Kriege auf einem Hilfskreuzer!«

      »Auf welchem?«

      »Der Macedonia.« Es klang Egan irgendwie unwahr, Rutland hatte einen Herzschlag lang gezögert, ehe er den Namen seines Schiffes nannte.

      »Sind Sie denn Seemann?«

      »Ja, Mr. Egan.« Er griff in die Tasche und zeigte seine Papiere. Sie waren zerrissen und vom Seewasser verwaschen. Denn, erläuterte er bündig, den Handelsdampfer, auf dem er gefahren war, hatte der Taifun gegen die Klippen Japans geworfen. Die Papiere waren in Ordnung. Erster Offizier John D. Rutland auf dem Handelsdampfer »Nancy«, Heimathafen Liverpool.

      Und dennoch ward Egan in diesen ersten Wochen das Gefühl nicht los, daß irgendein tragisches Geheimnis hinter seinem Dolmetscher stehe. Unter der Hand erkundigte er sich bei der britischen Botschaft in Tokio nach dem Untergang des Handelsdampfers »Nancy«. Es stimmte. Von dem überlebenden Ersten Offizier J. D. Rutland wußte man dort freilich nichts. Aber das wollte wenig besagen. Engländer waren keine Anhänger amtlichen Meldewesens.

      Mit der Zeit wurden die Männer intimer, und Egans Argwohn schwand. Sie wurden Freunde. Doch immer blieb Rutland einsilbig und zurückhaltend. Nie sprach er von sich und seiner Vergangenheit. Da Egan ein Mann war, den die Vergangenheit weit weniger interessierte als die Gegenwart und Zukunft, tat Rutlands Schweigsamkeit über sich ihrem guten Verhältnisse keinen Abbruch. Er war in Japan, Geschäfte zu machen und Geld zu verdienen, große Geschäfte und großes Geld. Hierbei hatte er einen genialen Helfer und Könner gefunden. Längst war Rutland nicht nur sprachgewandter Dolmetscher, sondern Berater und Kampfgenosse. Egan beteiligte ihn, er ließ ihn an seinen reichen Gewinnen teilnehmen. Er führte ihn, den die Kleidung, die er sich jetzt leisten konnte, in einen vollendeten Weltmann verwandelt hatte, in die diplomatischen Kreise ein, in denen er, eins der angesehensten Mitglieder der europäischen Kolonie, verkehrte. Der stille Mann mit dem schönen energischen Gesicht fand begeisterte Aufnahme unter den Damen des Gesandtenviertels.

      Auf dem Tennisplatze der englischen Botschaft begegnete er der Gattin des Ersten Sekretärs der spanischen Botschaft, der Herzogin Angelita Breton de Los Herreros.

      Sie spielten gegeneinander in dem Tourniere des diplomatischen Korps, beide Meister des Raketts. Aus dem Spiele wurde fanatischer Ernst, erstand eine Liebe, eine Leidenschaft, eine Raserei der Herzen und der Sinne.

      Angelita forderte von dem Herzog ihre Freiheit. Seit dreiviertel Jahren war sie sein Weib. Sie haßte ihn. Seine Kälte hatte in der Tochter des deutschen Fürsten Oybin nie etwas anderes als eine Repräsentantin seines Namens, ein Mittel seiner Stellung und seines politischen Ehrgeizes gesucht.

      Als Antwort auf ihre kühne Forderung befragte er den Botschaftsarzt, fürchtete, der tropische Sommer Japans habe ihr Hirn angegriffen. Da floh sie zu dem Geliebten. Klopfte eines glutheißen Tages an die Tür des kleinen japanischen Hauses, das er in der Torisaka bewohnte.

      Er stieß sie von sich, entsetzt, in panischem Schrecken.

      »Ich kann nicht in eine fremde Ehe einbrechen«, wiederholte er immer wieder, starrsinnig wie unter einer Suggestion, unbeugsam.

      Da sprühte in ihr Hohn und Haß empor.

      »Feigling«, schrie sie ihm entgegen. »Du weißt wohl, daß der Herzog der beste Florettfechter Spaniens ist?«

      Da zuckte er zusammen. Der Hieb saß. Er sprach nichts mehr, bis sie ging, nachdem sie ihm ihre tödliche Verachtung noch einmal ins Gesicht gespien hatte. Ging gebrochen zurück zu ihrem Manne und ihrer verlorenen Ehe.

      4

      In der Bibliothek im Hause der Egerton Terrace zu London schwelte wieder ein Schweigen, das geladen war von ahnender Ergriffenheit und erinnerungsschwülem Gedenken.

      Dann sagte Angelita, ohne sich zu bewegen, ganz leblos: »Ich muß dich etwas fragen, John.«

      Er neigte kaum merklich den Oberkörper.

      »Bitte.« Doch er sprach das Wort nicht, es blieb eine pantomimische Geste.

      Plötzlich erwachte sie aus der Erstarrung, beugte das Gesicht heftig zu ihm hinüber und sprach lebhaft und eindringlich:

      »Es hat mich alle diese Jahre gequält. Ich habe gegrübelt und gegrübelt und nie eine Antwort gefunden. — Warum hast du mich damals in Tokio zurückgestoßen?«

      Sie fragte es ganz matt, die Stimme wie Sammet, ohne Groll, bebend vor Zärtlichkeit und Verlangen nach Verstehen.

      Er bewegte sich nicht, saß steif und scheinbar unberührt von ihrer leidenschaftlichen Innigkeit. Nur die grauen klaren Seemannsaugen wurden tiefer und dunkler.

      Als keine Antwort kam, fuhr sie fort, Liebkosung in der Stimme: »Damals nannte ich dich Feigling. Gegen mein Wissen und meine Überzeugung. Meine grenzenlose Enttäuschung schrie es hinaus, meine verletzte Eitelkeit wollte dir weh tun, mein verwundetes Frauentum wollte dich erniedrigen. Geglaubt habe ich niemals, daß du mich aus Furcht vor dem Herzog abwiesest. Aber warum? Warum? Sag es mir heute!«

      Seine Augen glitten über sie hin. Und als er sie dicht vor sich sah, zu ihm geneigt, ganz menschlich, ganz weiblich, ganz traut und zu ihm gehörig, löste sich etwas Totes in ihm und schmolz dahin. Die Vereisung dieser langen erfrorenen Jahre taute auf. Da war endlich ein Mensch, der Mensch seines Lebens, der ihn rief, liebend und hingebend, der einzige Mensch auf dieser Erde, der ihm nicht fremd war und bedrohend, dem alles zuströmte, was in ihm nicht Pflicht und Arbeit war, der Inbegriff war alles Guten und Zarten, alles Gefühls und alles Glücks dieser Welt. Ein Verlangen umkrallte ihn, seine Brust zu erschließen, dieses Geheimnis von sich zu schleudern, das ihn umschiente, den Stahlpanzer, der ihn umgürtete, zu zerschlagen und zu zerfetzen und endlich wieder frei zu atmen, nach dem Bekenntnis. Er öffnete die Lippen zur Beichte.

      Doch die jahrelange Schulung in der Behütung seiner Worte, sein Verstand und seine automatisch arbeitende Vernunft wich von dem geraden Wege des Geständnisses ab, trotzte dem weichen Impulse in seiner Brust.

      »Ich tat es«, sagte er rauh, »weil ich damals nichts war und nicht wagte, die Herzogin Breton de Los Herreros an mich zu binden.«

      Ihr bewegliches Gesicht stutzte in Staunen, dann verengten sich die Augen im Zweifel. Mit einem sanften Lächeln bedeutete sie: »So wäre heute diese Hemmung gefallen?«

      Er schnellte empor. Ging rasch durch das Zimmer.

      Dann blieb er vor ihr stehen und stieß fast barsch hervor: »Heute verkörpere ich zu viele und zu wichtige wirtschaftliche Interessen Englands, um mir einen gesellschaftlichen Skandal gestatten zu dürfen.«

      Da federte ihr geschmeidiger Körper auf unter dem Seidenkleide. Ihr Schoß bäumte sich gegen den Rock. Dann lag ihr Leib steif in dem Sessel. Die großen dunklen Augen, dieses Erbteil der maurischen Beherrscher Spaniens, mit denen die Mutter sie verband, glühten rötlich auf in einem heißblütigen Zorn und lebten allein in ihrem erbleichten Gesicht. Doch ebenso rasch