Wachtmeister Studer. Friedrich Glauser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Glauser
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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auf den lauten Mund…

      »Wenn du still bist«, sagte der Wachtmeister, »dann bleib ich noch eine Weile bei dir, und du kannst eine Zigarette rauchen, wenn der Doktor fort ist. Hä? Ich bin doch noch zur rechten Zeit gekommen…« und versuchte ein Lächeln.

      Aber das Lächeln wirkte auf den Schlumpf durchaus nicht ansteckend. Zwar sein Blick wurde sanfter, aber als Studer seine Hand vom Munde fortnahm, sagte Schlumpf leise:

      »Warum habt Ihr mich nicht hängen lassen, Wachtmeister?«

      Schwer auf diese Frage eine richtige Antwort zu finden! Man war doch kein Pfarrer…

      Es war still in der Zelle. Draußen tschilpten Spatzen. Im Hof unten sang ein kleines Mädchen mit dünner Stimme:

      »O du liebs Engeli,

      Rosmarinstengeli,

      Alliweil, alliweil, blib i dir treu…«

      Da sagte Studer und seine Stimme klang heiser:

      »Eh, du hast mir doch erzählt, daß du heiraten willst? Das Meitschi… es wird doch zu dir halten, oder? Und wenn du sagst, du bist unschuldig, so ist‘s doch gar nicht sicher, daß du verurteilt wirst. Und du kannst dir doch denken, daß ein Selbstmordversuch die größte Dummheit gewesen ist, die du hast machen können. Das wird dir als Geständnis ausgelegt…«

      »Es war doch kein Versuch. Ich hab wirklich…«

      Aber Studer brauchte nicht zu antworten. Es kamen Schritte den Gang entlang, der Wärter Liechti sagte »Da drin ist er, Herr Doktor.«

      »Scho wieder z‘wäg?« fragte der Doktor und griff nach Schlumpfs Handgelenk. »Künstliche Atmung? Fein!«

      Studer stand vom Bett auf und lehnte sich gegen die Wand.

      »Ja, also«, sagte der Doktor. »Was machen wir mit ihm? Selbstgefährlich! Suicidal! Na ja, das kennt man. Wir werden eine psychiatrische Expertise verlangen… Nicht wahr?«

      »Herr Doktor, ich will nicht ins Irrenhaus«, sagte Schlumpf laut und deutlich, dann hustete er.

      »So? Und warum nicht? Naja, dann könnte man… Ihr habt doch sicher eine Zweierzelle, Liechti, in die man den Mann legen könnte, damit er nicht so allein ist… Geht das? Fein…«

      Dann, leise, so, wie man auf dem Theater flüstert, jedes Wort verständlich: »Was hat er angestellt?«

      »Gerzensteiner Mord!« flüsterte der Wärter ebenso deutlich zurück.

      »Ah, ah«, nickte der Doktor bekümmert — so schien es wenigstens. Schlumpf drehte den Kopf, sah hinüber zum Wachtmeister. Studer lächelte, Schlumpf lächelte zurück. Sie verstanden sich.

      »Und wer ist dieser Herr da?« fragte der Arzt. Das Lächeln der beiden brachte ihn in Verlegenheit.

      Studer trat so heftig vor, daß der Doktor einen Schritt zurückwich. Der Wachtmeister stand steif da. Sein bleiches Gesicht mit der merkwürdig schmalen Nase paßte nicht so recht zu dem ein wenig verfetteten Körper.

      »Wachtmeister Studer von der Kantonspolizei!« Es klang aufrührerisch und bockig.

      »So, so! Freut mich, freut mich! Und Sie sind mit der Untersuchung des Falles betraut?« Der blonde Arzt versuchte seine Sicherheit wiederzugewinnen.

      »Ich hab ihn verhaftet«, sagte Studer kurz. »Übrigens, ich will gern noch eine Weile bei ihm bleiben bis er sich beruhigt hat. Ich hab Zeit. Der nächste Zug nach Bern fährt erst um halb fünf…«

      »Fein!« sagte der Arzt. »Wunderbar! Tut das nur, Wachtmeister. Und heut abend legt Ihr mir den Mann in eine Zweierzelle. Verstanden, Liechti?«

      »Jawohl, Herr Doktor.«

      »Lebet wohl miteinander«, sagte der Arzt und setzte den Hut auf. Liechti fragte ob er schließen solle. Studer winkte ab. Gegen Haftpsychosen waren wohl offene Türen das wirksamste Gegenmittel.

      Und die Schritte verhallten im Gang.

      Umständlich setzte Studer den Strohhalm in Brand, den er aus der Brissago gezogen hatte, hielt die Flamme unter das Ende derselben, wartete bis der Rauch oben herausquoll und steckte sie dann in den Mund.

      Dann zog er ein gelbes Päckli aus der Tasche, sagte: »So, nimm eine!« Schlumpf sog den ersten Zug der Zigarette tief in die Lungen. Seine Augen leuchteten. Studer setzte sich aufs Bett.

      — Der Wachtmeister sei ein Guter, sagte der Schlumpf.

      Und Studer mußte sich zusammennehmen, um ein merkwürdiges Gefühl im Halse zu unterdrücken. Um es zu vertreiben, gähnte er ausgiebig.

      »So, Schlumpfli«, sagte er dann. »Und jetzt. Warum hast du Schluß machen wollen?«

      — Das könne man nicht so ohne weiteres sagen, meinte der Schlumpf. Es sei ihm alles verleidet gewesen. Und er kenne ja den Betrieb. Wenn man einmal verhaftet sei, dann käme man nicht mehr los. Vorbestraft! — Und jetzt werde es für lebenslänglich langen… Und das Meitschi, von dem der Wachtmeister gesprochen habe, das werde ja wohl auch nicht warten wollen. Es wäre schön dumm, wenn es das täte. — Wer denn das Meitschi sei? — Es heiße Sonja und sei die Tochter vom ermordeten Witschi. — Und ob die Sonja glaube, daß er den Mord begangen habe? — Das wisse er nicht. Er sei einfach fort, damals, als er gehört habe, man beschuldige ihn. — Wie das denn zugegangen sei, daß man gerade auf ihn verfallen sei? — Eh, wegen der Hunderternote, die er im ›Leuen‹ gewechselt habe. — Im ›Leuen‹? Nicht im ›Bären‹? — Es könne auch im ›Bären‹ gewesen sein. Natürlich im ›Bären‹! Der ›Leuen‹ sei die fürnehme Wirtschaft, da hätten sie einmal bei einem Anlaß aufgespielt…

      »Bei welchem Anlaß? Und wer hat aufgespielt?«

      »Bei einer Hochzeit. Der Buchegger hat Klarinette gespielt, der Schreier Klavier und der Bertel Baßgeige. Und ich Handharfe…«

      »Schreier? — Buchegger? — Die — die kenn‘ ich doch!« Studer runzelte die Stirn.

      »Denk wohl!« sagte der Schlumpf, und ein kleines Lächeln entstand in seinen Mundwinkeln. »Der Buchegger hat oft von Euch erzählt und der Schreier auch. Ihr habt ihn vor drei Jahren geschnappt…«

      Studer lachte. So, so! Alte Bekannte! — Und die hätten sich also zu einer Ländlerkapelle zusammengetan? »Ländlerkapelle?« Schlumpf tat beleidigt. »Nein! Ein richtiger Jazzband. Der Ellenberger, unser Meister, hat uns sogar einen englischen Namen gegeben: ›The Convict Band‹! Das soll heißen: Die Sträflingsmusik…«

      Der Bursche Schlumpf schien ganz zufrieden zu sein, von nebensächlichen Dingen zu sprechen. Aber wenn man vom Mord anfing, versuchte er abzubiegen.

      Studer war einverstanden. Der Schlumpf sollte nur abschweifen, wenn er Freude daran hatte. Nicht drängen! Es kommt alles von selbst, wenn man genügend Geduld hat…

      »Dann habt Ihr auch in den umliegenden Dörfern gespielt?«

      »Sowieso!«

      »Und ordentlich Geld verdient?«

      »Zünftig…« Zögern. Schweigen.

      »Also, Schlumpfli, ich will dir ja glauben, daß du den Witschi nicht umgebracht hast — um ihm die Brieftasche zu rauben. Dreihundert Franken hast du erspart gehabt?«

      »Ja, dreihundert Erspartes…« Schlumpf blickte zum Fenster auf, seufzte, vielleicht weil der Himmel so blau war.

      »Du hast also die Tochter vom Ermordeten heiraten wollen? Sonja hieß sie? Und die Eltern, die waren einverstanden?«

      »Der Vater schon; der alte Witschi hat gesagt, ihm sei es gleich. Er war oft beim Ellenberger zu Besuch und dort hat er mit mir gesprochen, der Ermordete, wie Ihr sagt… Er hat gemeint, ich sei ein ordentlicher Bursch, und wenn ich auch ein Vorbestrafter sei, man solle nicht zu Gericht sitzen, und wenn ich einmal die Sonja zur Frau hätte, dann würde ich keine Dummheiten mehr machen. Die Sonja sei ein ordentliches Meitschi… Und dann hat mir mein Meister die Obergärtnerstelle versprochen,