Ein Kampf um Rom. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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wundersamen Zwiespalt, diesen verhängnisvollen Widerstreit trägt die edle Jungfrau im Gemüt: er quält sie, aber er veredelt sie zugleich.

      Wer weiß, wie er sich lösen wird? Der Himmel allein, der ihr Schicksal lenkt. Mich aber zieht dieser innere Kampf mit ernsten Schauern an: du weißt ja, daß in mir selbst der Christenglaube und die Philosophie in ungeklärter Mischung durcheinanderwogen. Zu meinem Staunen hat in diesen Tagen des Schmerzes der Glaube zugenommen, und fast will mich bedünken, die Freude führe zu der heidnischen Weisheit, zu Christus aber der Schmerz und das Unglück.

      Aber höre, wie ich diese Liebe in mir keimen sah, war ich froher Hoffnung voll. Valerius, vielleicht schon früher von dir für mich gewonnen, sah meine wachsende Neigung offenbar nicht ungern: vielleicht hatte er nur das an mir auszusetzen, daß ich seinen Traum von der Wiederaufrichtung der römischen Republik nicht eifrig genug teilte und nicht seinen Haß gegen die Byzantiner, in denen er die Todfeinde seines Hauses wie Italiens sieht. Auch Valeria war mir bald freundschaftlich geneigt, und wer weiß, ob nicht damals die Verehrung gegen den Willen ihres Vaters und diese Freundschaft genügt hätten, sie in meine Arme zu führen. Aber ich danke — soll ich sagen Gott oder dem Schicksal? —, daß es nicht so kam: Valeria einer halb gleichgültigen Ehe opfern wäre ein Frevel gewesen. Ich weiß nicht, welches seltsame Gefühl mich abhielt, das Wort zu sprechen, das sie in jenen Tagen gewiß zu der Meinen gemacht hätte. Ich liebte sie doch so tief — aber so oft ich mir ein Herz fassen und bei ihrem Vater um sie werben wollte, immer beschlich mich ein Gefühl, als tu’ ich Unrecht an dem Gut eines andern, als sei ich ihrer nicht würdig oder doch nicht die ihr vom Schicksal zugedachte Hälfte ihrer Seele, und ich schwieg und bezähmte das pochende Herz.

      Einstmals um die sechste Stunde — schwül die Sonne rings auf Land und Meer — suchte ich Schatten in der kühlen Marmorgrotte des Gartens. Ich trat ein durch das Oleandergebüsch: da lag sie schlafend auf der weichen Rasenbank, die eine Hand auf dem leise wogenden Busen, der linke Arm unter dem edeln Haupt, das noch vom Frühmahl her der schöne Asphodeloskranz schmückte. Ich stand bebend vor ihr: so schön war sie noch nie gewesen, ich beugte mich über sie und staunte die edeln, wie in Marmor gebildeten Züge an: heiß schlug mein Herz, ich beugte mich über sie, diese roten feingeschnittenen Lippen zu küssen.

      Da fiel mir’s plötzlich zentnerschwer aufs Herz: es ist ein Raub, was du begehen willst. Totila! rief unwillkürlich meine ganze Seele, und still, wie ich gekommen, schlich ich fort.

      Totila! Was war er mir nicht früher eingefallen?

      Ich machte mir Vorwürfe, den Bruder meines Herzens über dem neuen Glück fast vergessen zu haben.

      Deine Prophezeiung, Cethegus, dachte ich, soll sich nicht erfüllen: diese Liebe soll mich dem Freunde nicht entfremden. Er soll Valeria sehen, gleich mir bewundern, meine Wahl lobpreisen, und dann, dann will ich werben, und Totila soll glücklich sein mit uns.

      Andern Tages ging ich nach Neapolis zurück, ihn zu holen. Ich pries ihm den Schimmer des Mädchens, aber ich vermochte es nicht über mich, ihm von meiner Liebe zu sprechen. Er sollte sie sehen und alles erraten. Wir fanden sie bei unserer Ankunft nicht in den Zimmern der Villa. So führte ich Totila in den Garten — Valeria ist die eifrigste Pflegerin der Blumen —, wir bogen, Totila voran, aus einem dichten Taxusgang: da schimmerte uns ihre Erscheinung plötzlich entgegen. Sie stand vor einer Statue ihres Vaters und kränzte sie mit frischgepflückten Rosen, die sie, hoch aufgehäuft in der Busenfalte der Tunika, mit der Linken auf der Brust zusammenhielt.

      Es war ein überraschend schönes Bild: die herrliche Jungfrau, in dem Grün des Taxus gleichsam eingerahmt, vor dem weißen Marmor, die Rechte anmutvoll erhebend, und mächtig wirkte die Erscheinung auf Totila: mit einem lauten Ruf des Staunens blieb er sprachlos, ihr gerade gegenüber, stehen.

      Sie sah auf und zuckte erschrocken, wie blitzgetroffen, zusammen: die Rosen fielen in dichten Flocken aus ihrem Gewand: sie sah es nicht: ihre Augen hatten sich getroffen, ihre Wangen erglühten — ich sah mit Blitzesschnelle ihr Geschick und mein Geschick entschieden.

      Sie liebten sich beim ersten Anblick.

      Schmerzlich, wie ein brennender Pfeil, durchdrang die Gewißheit meine Seele. Aber doch nur einen Augenblick herrschte der Schmerz ungemischt in meiner Brust. Sofort, wie ich die beiden betrachtete, die herrlichen Gestalten, empfand ich neidlose Freude, daß sie sich gefunden: denn es war, wie wenn die Macht, die der Sterblichen Leiber bildet und Seelen, die aus einem Stoff füreinander geschaffen: wie Morgensonne und Morgenröte schimmerten sie ineinander, und jetzt erkannte ich auch das dunkle Gefühl, das mich wie ein Vorwurf von Valeria ferngehalten, das mir seinen Namen auf die Lippen geführt hatte: sein sollte Valeria werden nach Gottes Ratschluß oder dem Gang der Sterne, und ich sollte nicht zwischen sie treten.

      Erlaß mir, das Weitere zu berichten. Denn so selbstisch ist mein Sinn geartet, so wenig Macht hat noch die heilige Lehre des Entsagens über mich gewonnen, daß — ich schäme mich, das zu gestehen — daß mein Herz auch jetzt noch manchmal schmerzlich zuckt, statt freudig zu schlagen für das Glück der Freunde.

      Rasch und unscheinbar, wie zwei Flammen ineinander lodern, schlugen ihre Seelen zusammen. Sie lieben sich und sind glücklich wie die seligen Götter: mir ist die Freude geblieben, ihr Glück zu schauen und ihnen beizustehen, es noch vor dem Vater zu verbergen, der sein Kind wohl schwerlich dem ‘Barbaren’ schenken wird, solang er in Totila nur den ‘Barbaren’ sieht.

      Meine Liebe aber und ihren Opfertod halt’ ich vor dem Freunde tief verborgen: er ahnt nicht und soll nie erfahren, was sein glänzend Glück nur trüben könnte. Du siehst nun, o Cethegus, wie weit ab von deinem Ziel ein Gott deinen Plan gewendet. Mir hast du jenes Kleinod Italiens bringen wollen und hast es Totila zugeführt. Meine Freundschaft hast du zerstören wollen und hast sie in den Gluten heiliger Entsagung von allem Irdischen befreit und unsterblich gemacht. Du hast mich zum Manne machen wollen durch der Liebe Glück — ich bin’s geworden durch der Liebe Schmerz

      EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

      Wir unterlassen es, den Eindruck dieses Schreibens auf den Präfekten auszumalen, und begleiten lieber die beiden Dioskuren auf einem ihrer Abendspaziergänge an den reizenden Ufergeländen von Neapolis.

      Sie wandelten nach der früh beendigten Coena durch die Stadt und zur Porta nolana hinaus, die in schon halb verwitterten Reliefs die Siege eines römischen Imperators über germanische Stämme verherrlichte.

      Totila blieb stehen und bewunderte die schöne Arbeit.

      »Wer ist wohl Kaiser«, fragte er den Freund, »dort auf dem Siegeswagen, mit dem geflügelten Blitz in der Hand wie ein Jupiter Tonans?« — »Es ist Marc Aurel«, sagte Julius und wollte weitergehen. — »O bleib doch! Und wer sind die vier Gefesselten mit den langwallenden Haaren, die den Wagen ziehen?«

      »Es sind Germanenkönige.« — »Doch welches Stammes«, fragte Totila weiter — »sieh da, eine Inschrift: ‘Gothi extincti!’, Die Goten vernichtet!«

      Laut lachend schlug der junge Gote mit flacher Hand auf die Marmorsäule und schritt rasch durch das Tor. »Eine Lüge in Marmor?« rief er rückwärts blickend. »Das hat der Imperator nicht gedacht, daß einst ein gotischer Seegraf in Neapolis seine Prahlereien Lügen straft.« — »Ja, die Völker sind wie die wechselnden Blätter am Baume«, sagte Julius nachdenklich; »wer wird nach euch in diesen Landen herrschen?« Totila blieb stehen. »Nach uns?« fragte er erstaunt. — »Nun, du wirst doch nicht glauben, daß deine Goten ewig dauern werden unter den Völkern?«

      »Das weiß ich doch nicht«, sagte Totila langsam fortschreitend. »Mein Freund, Babylonier und Perser, Griechen und Makedonen und, wie es scheinen will, auch wir Römer hatten ihre zugemessene Zeit: sie blühten, reiften und vergingen. Soll’s anders sein mit den Goten?«

      »Ich weiß das nicht«, sagte Totila unruhig, »ich habe den Gedanken nie gedacht. Es ist mir noch nie eingefallen, daß eine Zeit kommen könnte, da mein Volk« — er hielt inne, als sei es Sünde, den Gedanken auszudenken. »Wie kann man sich dergleichen vorstellen! Ich denke daran so wenig wie — wie an den Tod!«

      »Das sieht dir gleich, mein Totila!«