Meine Nanny war nicht zuhause, doch sie hatte mir einen gemischten Salat hingestellt. Zumindest dachte sie nun an meine Figur. Ich ging in mein Zimmer und sah mir im Schrank eine Auswahl der Garderobe an. Nach langem Überlegen, mein Fußboden war mittlerweile übersät mit Kleidungsstücken, welche ich aus dem Schrank gepfeffert hatte, entschied ich mich für ein knielanges Cocktailkleid mit Spaghettiträgern, bestickt mit blau-weißen Blumen.
Gerade als ich mein neustes Parfüm auftrug, klingelte es an der Haustür. Ich lief eilig hinunter und öffnete sie ein wenig außer Atem. Es war Justin, der in einer schönen, eleganten Jeans, mit Hemd und seiner goldenen Rolex am Handgelenk vor mir stand. In der Auffahrt parkte sein roter Lamborghini. Meine Güte, ich hatte solches Glück mit diesem Mann. Meine innere Göttin zwinkerte mir vielsagend zu.
»Wow, Kimberly«, staunte Justin und zog mich sofort in seine Arme.
»Vorsicht, ruinier nicht meine Frisur und das Make-up«, wehrte ich ihn liebevoll ab: »Danke, dass du mich abholst.«
»Frauen ... Hast du alles, Darling?«, fragte er, bevor ich die Tür hinter mir schloss.
»Jup, alles dabei. Kann losgehen«, antwortete ich und stieg dann neben ihm in den Wagen.
Als wir losfuhren, spürte ich auf einmal etwas Seltsames in der Magengegend. Ein Schauer lief mir über den Rücken, was keineswegs angenehm war. Ein Gefühl von Angst, als ob bald etwas passieren würde. Etwas, das mein Leben bald mit einem Schlag ändern würde und nichts würde mehr so sein, wie es mal war. Ich versuchte, mich von diesem Gedanken zu befreien, und atmete tief ein und aus. Ich lenkte meinen Blick auf den Santa Monica Beach und meine Augen wanderten über den weiten, unendlich riesigen Ozean.
Ich hatte in der letzten Zeit öfter Albträume bekommen, die ich jedoch niemandem erzählte. Sonst würde man mich noch für verrückt halten. Ständig lief ich durch dunkle, mir unbekannte Wälder und seltsame Gegenden. Ich wurde verfolgt. Beobachtet von giftgrünen Augen. Dann rannte ich urplötzlich in eine Person, welche in Flammen stand. Eine andere wiederum erstrahlte in hellem Licht und auf einmal hörte ich Schreie. Unendliche Schreie von überall her.
Schweißgebadet wachte ich jedes Mal in meinem Bett auf und diese Visionen wiederholten sich, wurden von Mal zu Mal intensiver.
Die Abendsonne tauchte den Himmel in ein rötliches Tuch, jedoch war es noch angenehm warm: achtundzwanzig Grad. Wir fuhren auf einen breiten Parkplatz und konnten bereits die dröhnende Musik und viele bunte Luftballons und helle Lichter erkennen. Massen von Jugendlichen strömten in Richtung The Bungalow. Dies war ein erstklassiges Restaurant mit direktem Sitz am Pier und man konnte von dort aus zu den Strandbars gehen. Eine Band spielte auf einer großen Bühne, wo schon kräftig gefeiert wurde.
»Ich dachte, wir wären die Ersten«, meinte ich und ließ mich von Justin an der Hand durch die Mengen schleifen.
»Was? Quatsch! Die Ersten sind schon seit heute Nachmittag hier. Komm, ich habe uns eine Lounge gemietet, gleich in der Nähe der Caribbean Bar«, sagte Justin.
»Gott sei Dank – eine Lounge. Ich möchte nicht inmitten von allen stehen oder sitzen«, bedankte ich mich und schlenderte um einen am Boden liegenden betrunkenen Typen herum.
Kurz darauf saßen wir in gemütlichen grauen Loungesesseln und hielten Cocktails mit Schirmchen in den Händen. Dazu gab es kleine Snacks und wir lauschten der Musik. Meine Freundin Candice tanzte ganz in der Nähe mit irgendeinem Typen aus unserer ehemaligen Parallelklasse. Meine Banknachbarin Amanda hatte sich an Jason Long herangeschmissen und knutschte wild mit ihm herum. Gerade als ich einen weiteren Schluck meines Cocktails nehmen und danach mit Justin auf die Tanzfläche wollte, erblickte ich aus dem Augenwinkel vier Gestalten, welche sich einen Weg durch die Menge bahnten und direkt auf mich zukamen. Als sie näher kamen, erkannte ich zwei uniformierte Polizisten vom L.A.P.D., daneben eine schmale Frau mit durchdringendem, ernstem Gesicht und meine Nanny. Francesca sah allerdings nicht aus wie sonst. Ihr Gesicht wirkte blass und ihre Augen waren rot. Sie sah verweint aus, hatte die Lippen fest aufeinandergepresst. Immer wieder griff sie nach dem Arm der anderen Frau, um sich zu stützen. Verwirrt stand ich auf und auch Justin erhob sich sofort.
»Was macht deine Nanny hier? Und warum ist die Polizei dabei?«, fragte er etwas lauter durch das Dröhnen der Musik und ergriff sofort meine Hand.
»Ich weiß es nicht. Ich habe aber so das Gefühl, dass das nichts Gutes bedeutet«, flüsterte ich und erneut überkam mich so ein eigenartiges Gefühl von aufsteigender Panik.
»Miss Berry? Kimberly Berry?«, erkundigte sich einer der Polizisten und nickte in meine Richtung.
»Ja, das bin ich«, meinte ich und sah zu meiner Nanny, die kurz davor war, in Tränen aufzubrechen.
»Wir müssen mit Ihnen reden. Können wir das bitte an einem geeigneteren Ort machen?«, wollte der andere Polizist wissen und schaute sich suchend um.
»Ja, am Lagerfeuer. Da dürfte jetzt noch nichts los sein«, meinte ich und nickte ihnen zu.
»Soll ich mitkommen?«, fragte Justin.
»Nein, Sie bleiben hier. Miss Berry, kommen Sie bitte«, sagte die dünne Frau neben meiner Nanny und wies in Richtung Strand.
Ich antwortete nicht. Ich wollte eigentlich widersprechen, doch mir fiel nichts ein. Irgendwie war alles, was hier lief, falsch, vollkommen falsch.
Wir gingen schweigend nebeneinander her und meine Nanny schluchzte immer wieder. Ich blickte sie an, aber sie wandte den Blick immer wieder ab. Ich versuchte, in ihren Kopf zu kommen, doch ich bekam nur bruchstückhaft mit, was sie dachte. Da ich selbst so verwirrt und innerlich aufgewühlt war, konnte ich in jenem Moment meine und ihre Gedanken nicht mehr richtig ordnen und hoffte nur, dass ich bald erfuhr, was hier eigentlich los war. Wenn ich stark verwirrt war oder zu viele Gefühle oder Gedanken auf mich einströmten, fiel es mir grundsätzlich schwer, meine Gabe anzuwenden.
Kurz darauf standen wir vor dem großen Lagerfeuer und ich hörte das Knacken der Holzscheite und das Rauschen des Meeres. Mein Herz klopfte mir dabei bis zum Hals und ich schluckte schwer. Meine Hände hatte ich zu Fäusten geballt, so angespannt war ich und sah mich verwirrt um.
»Was gibt es denn so Wichtiges und wer sind Sie?«, fragte ich die dünne Frau.
»Ich bin Miss Marshall vom Jugendamt«, sagte sie.
»Jugendamt? Ich hab doch eine Nanny und meine Eltern«, fiel ich ihr sofort ins Wort.
»Genau um Ihre Eltern geht es, Miss Berry«, brummte der Polizist und ich bemerkte, wie angespannt er war.
»Wir müssen Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen, Miss Berry«, fing der andere Polizist an und Francesca brach in Tränen aus und hielt sich ein Taschentuch vor die Lippen.
Trotz der aufsteigenden Panik in mir, bemühte ich mich noch irgendwie klar zu denken. Mir schnürte es jedoch regelrecht die Kehle zu.
»Was ist denn passiert?«, stammelte ich und mir wurde heiß und kalt zugleich.
»Ihre Eltern waren auf dem Rückweg mit ihrer Privatmaschine von Kairo nach Los Angeles. Leider ist ein tragischer Unfall passiert«, begann die Frau vom Jugendamt und bei den letzten Worten sank ich zu Boden. Ich zitterte wie Espenlaub und mir wurde schlecht.
»Die Maschine Ihrer Eltern ist über dem Meer abgestürzt. Es tut mir leid, Miss Berry, aber Ihre Eltern sind ums Leben gekommen«, sagte der Polizist langsam und er betonte jedes einzelne Wort.
Eine Weile vernahm ich nichts mehr um mich herum. Ich hörte nichts mehr. Ich sah nichts mehr. Ich wiederholte die Worte in Gedanken, um sie zu begreifen.
»Meine Eltern ... tot ... ein Absturz ... im Meer.« Ich versuchte zu sprechen, doch die Worte verwirrten mich.
Ich