C. K. Zille
Mondlichtmagie
ERSTER TEIL
Lady Moonlight
Kapitel 1
Die Scheinwerfer streiften über das Publikum, tauchten die Gesichter der Besucher in ein mystisches Licht, während sie gebannt auf die Bühne sahen. Tosender Applaus brach los und die Menschen sprangen von ihren Sitzen auf.
Riley schnaubte belustigt. Billige Lichteffekte. Die Leute ließen sich so leicht beeinflussen! Aber er nicht, denn er kannte die Tricks der Zauberkünstler. Unbeeindruckt verfolgte er das Spektakel, das die Menschenmenge anheizte.
Beschwingte, melodische Klänge sorgten für eine kitschig perfekte Atmosphäre, bis schließlich ein lautes Zischen ertönte und die Bühne in einen bunten Lichternebel gehüllt wurde.
»Begrüßen Sie die fantastische Lady Moonlight!«, erklang eine Stimme.
Eine Welle aus Jubel erfasste die Menge. Um nicht aufzufallen, stimmte Riley mit ein, als die Zauberkünstlerin die Bühne betrat.
Er musste den Gerüchten zustimmen: Lady Moonlight war eine wunderschöne Frau. Ihre rotbraunen Haare fielen in Wellen über ihre Schultern. Ein elegantes, langes Kleid betonte ihre schlanke Statur und ihr Gesicht war mit dunklen Schnörkeln verziert, die ihr eine geheimnisvolle Ausstrahlung verliehen. Ihr Auftreten war mehr als stimmig.
Lächelnd begrüßte sie ihr Publikum. »Schön, dass ihr heute hier seid! Genießt die Show.«
Zu Beginn nahm sie weiße Bälle in die Hände, färbte sie in verschiedenen Farben ein und ließ sie dann durch die Luft tanzen.
Was für ein uralter Trick. Riley hatte sofort durchschaut, dass die Kugeln kleine Schalter besaßen, um ein buntes Licht zu erzeugen. Aufsteigen lassen konnte man sie mit Nylonfäden.
Als sieben Leuchtbälle in unterschiedlichen Farben und Größen über der Bühne schwebten, nahm Lady Moonlight einen Reifen, durch den sie sie gleiten ließ.
Riley brummte unzufrieden. Es waren wohl doch keine unsichtbaren Fäden, sondern starke Magnete. Aber für alles gab es eine Erklärung. Zauberer waren schließlich nichts weiter als kreative Künstler.
Gelangweilt schweifte sein Blick an die Decke. Warum tat er sich das Ganze noch gleich an? Ach ja, wegen seines Vaters … Der Große Strobinho, einer der bekanntesten Zauberer, der zusehends Probleme damit hatte, dass die Leute lieber die Show seiner Konkurrentin besuchten als seine eigene. Mit einer jungen, hübschen Zauberkünstlerin konnte es sein alter Herr einfach nicht aufnehmen. Der griesgrämige Mann, der ständig sein Publikum beleidigte oder sich einen schlechten Scherz erlaubte, erntete immer weniger Lacher und Anerkennung. Das musste sich ändern, wenn er sich weiterhin behaupten wollte.
Rileys Aufgabe war simpel. Er sollte lediglich herausfinden, wer Lady Moonlight wirklich war, was sie besonders machte und wie sie es schaffte, solch eine Beliebtheit zu erlangen. Die Worte seines Vaters klangen in seinen Ohren nach: »Freunde dich mit ihr an und verdiene ihr Vertrauen. So schwer ist das nicht.«
Lauter Applaus riss ihn aus seinen Gedanken. Er würde es schon irgendwie schaffen, auch wenn er noch nicht wusste, wie. Doch zuerst würde er die Show über sich ergehen lassen, die nun hoffentlich interessanter wurde.
Moonlights Lieblingstrick schien die Levitation von Gegenständen zu sein. Ein großer Korb, der am Rand der Bühne stand, wurde durch einen Scheinwerfer beleuchtet. Mit fließenden Handbewegungen lockte die Zauberin kleine bunte Bälle daraus hervor, die Riley an das Spielparadies in einem Einrichtungshaus erinnerten. In welligen Bahnen flogen sie über die Bühne und tanzten zu einer lustigen Melodie, die über die Lautsprecher eingespielt wurde. Die Magierin ließ die Bälle zu einem großen verschmelzen, bevor die kleinen bunten Kugeln in alle Richtungen auseinanderstoben.
Die Menschen im Publikum duckten sich, um nicht von einem der Geschosse getroffen zu werden. Selbst Riley zuckte zusammen. Doch keiner wurde erwischt. Je ein Ball schwebte über jedem Zuschauer, ohne abzustürzen.
Mit offenem Mund starrte Riley hoch zu dem kleinen blauen Plastikball. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, nicht überrascht zu sein, und ihre Tricks mit seinem analytischen Verstand zu durchschauen, aber das verblüffte ihn. Die Gänsehaut, die sich auf seinen Armen ausgebreitet hatte, konnte er nicht leugnen. Er fragte sich, wie sie die Bälle zum Schweben brachte, und ließ seine Hand mit Abstand um die kleine Plastikkugel gleiten. Kein Wind, keine Schnur. Sie schien tatsächlich in der Luft zu schwirren. Wie machte Lady Moonlight das nur?
Ein Donnergrollen lenkte die Aufmerksamkeit der Zuschauer wieder auf die Bühne.
Riley griff nach dem Ball und steckte ihn in seine Tasche. Er würde ihn später in seinem Hotelzimmer auseinandernehmen und analysieren.
Der Rest der Show bestand aus vielen weiteren kleinen Tricks. Einige Male bat Lady Moonlight scheinbar zufällige Gäste auf die Bühne, die unter Garantie vorher ausgewählt worden waren. Sie ließ persönliche Gegenstände verschwinden, die dann irgendwo mitten im Publikum wiederauftauchten. Traurig, dass die Leute darauf hereinfielen und es auch noch gut fanden. Diese Tricks gab es doch zuhauf bei jedem Straßenkünstler.
Als die letzte Illusion angekündigt wurde, merkte Riley jedoch, dass er, wie das gesamte Publikum, vollkommen in den Bann der Zauberkünstlerin gezogen worden war, obwohl er das nicht gewollt hatte.
Während sich Lady Moonlight verbeugte, sprangen die Zuschauer von ihren Stühlen auf und umjubelten die hübsche Magierin minutenlang. Ihre Einladung, die After-Show-Party zu besuchen, ging beinahe im Applaus unter, doch Riley ließ es sich nicht zweimal sagen und verließ als Erster den Raum, um garantiert einen Platz zu ergattern.
Riley setzte sich an die Bar und bestellte sich ein Bier, während er wartete.
Der Raum füllte sich, fast alle Besucher blieben zur Party und hielten schon bald ein Getränk in der Hand. Ein lohnendes Konzept. Da wunderte es Riley auch nicht, dass Lady Moonlight sich sehr viel Zeit nahm, ehe sie auftauchte.
Riley hatte gerade sein zweites Glas bestellt, als die schöne Frau in den Raum schwebte. Es war erstaunlich, sie schien tatsächlich zu schweben. Es fuchste Riley, dass er nicht dahinterkam, wie sie es machte. Aber das würde er noch herausfinden.
Die Gäste umringten die Künstlerin direkt und Riley konnte ihr glockenhelles Lachen bis zur Bar hören. Er würde warten, bis die meisten gegangen waren und Lady Moonlight sich an die Bar zurückzog, um sich nach den langen Gesprächen zu erfrischen.
Leider schienen die Leute gar nicht gehen zu wollen, sie verwickelten die Magierin in ein Gespräch nach dem anderen.
Erst als die Uhr hinter dem Tresen fast Mitternacht anzeigte, verließ eine große Menge der Besucher den Raum. Auch Riley verspürte den Drang zu gehen. Er wurde müde, obwohl er vorher topfit gewesen war. Doch er ignorierte das Gefühl und blieb hartnäckig auf seinem Platz sitzen.
Die Geduld zahlte sich schließlich aus. Lady Moonlight kam an die Bar und bestellte sich lächelnd ein Wasser.
»Ganz schön anstrengend, nicht wahr?« Riley lächelte der Frau zu, die sich seufzend auf dem Hocker neben ihm niederließ.
»Das stimmt, aber ohne mein Publikum wäre ich nichts. Deshalb bin ich es meinen Gästen schuldig, mich um sie zu kümmern.«
Während er mit ihr sprach, merkte Riley, dass es keine leeren Worte waren, sondern sie sich wirklich um jeden Einzelnen kümmerte. Selbst um ihn, obwohl er einer der letzten Gäste im Raum war. Mann, war diese Frau selbstlos.
Dankend nahm sie ihr Wasser entgegen. »Wie hat Ihnen die Show gefallen? War es Ihr erstes Mal?«, fragte sie und aufrichtiges Interesse schwang in ihrer Stimme mit.
»Nicht meine erste Zaubershow, aber meine erste Lady-Moonlight-Show.« Sein Lächeln musste er nicht heucheln, es erschien von ganz allein.