Pussycat. Peter Splitt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Splitt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742737960
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Ich fühlte eine innere Leere in mir. Da war kein Gefühl mehr, einfach nur ein leeres Nichts. Ich hatte mich damals beinahe daran gewöhnt, missbraucht zu werden. Jetzt bedeutete es mir nichts mehr. Ich hegte keine Hassgefühle gegen meine Peiniger. Viel wichtiger war das, was danach kam – mein neues Leben im Westen.

      Juli 1977

      Juli 1977

      Die ersten Gehversuche fielen mir schwer. Ich war eine gerade flügge gewordene Spionin, und Westdeutschland war halt doch ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Sicher, ich hatte durch Oberst Kurganow eine vorzügliche Ausbildung genossen, und danach hatte mir Anika gezeigt, wie ich auf die sexuellen Fantasien der Männer reagieren musste, doch die Realität sah zunächst ganz anders aus. Ich reiste über den Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße in den Westsektor Berlins ein. Natürlich mit neuen Papieren, die erstklassig waren. Die Sowjets machten keine halben Sachen. Eine neue Identität besaß ich auch, und einen neuen Namen: Larissa Orloff. Dafür war ich extra mit meinem Betreuungsoffizier nach Kaliningrad gefahren, hatte mir jedes Dorf, jeden Hof und jede landschaftsspezifische Eigenschaft eingeprägt. Gemäß meinen neuen Dokumenten stammte ich aus Akulowo. Dort hatte es sogar mal eine Larissa Orlow gegeben, aber die war längst tot. Ich hatte ihr Grab auf dem kleinen Dorffriedhof gefunden. Alles Weitere hatte der örtliche Bürgermeister für mich arrangiert – unter anderem, meinen neuen Namen in sämtliche Register eintragen lassen. So war quasi aus dem Nichts eine neue Larissa Orlow alias Orloff als Tochter einer deutschen Landarbeiterin auferstanden. Mein Pass war so echt, wie er nur echt sein konnte. Das hatte ich wiederum einem von Oberst Kurganow im Polizeirevier Lichtenberg eingeschleusten Kontaktmann zu verdanken.

      Von Westberlin aus fuhr ich mit dem Reisebus zu meinem ersten Einsatzort – nach München. Meine Aufgabe war schlicht und einfach. Ich sollte Westbürgerin werden und mich in die westdeutsche Gesellschaft integrieren. Neben meinem Pass bekam ich eine Geburtsurkunde, einen Taufschein, die Sterbeurkunde meiner Mutter, eine Arbeitserlaubnis und ein wenig Startgeld. Das war alles. Von nun an war ich auf mich allein gestellt. Das heißt, nicht ganz. Es gab noch den Betreuungsoffizier Ogoneck und die zweimal wöchentliche Kontaktaufnahme seitens der Russen mittels verschlüsseltem Funkspruch über Kurzwelle.

      Ich kam in München an, als die zweite Generation der RAF den Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, ermordete. Dies geschah am 30. Juli 1977. Das RAF-Mitglied Susanne Albrecht war mit dem Bankier persönlich bekannt, sodass dieser sie in seinem Privathaus in der Oberhöchstadter Straße in Oberursel empfing. Susanne Albrecht, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar erschienen in Pontos Villa, um ihn zu entführen. Als sich Ponto zur Wehr setzte, schossen Klar und Mohnhaupt fünf Mal auf ihn, woraufhin er im Krankenhaus verstarb.

      Die Zeiten waren unruhiger geworden. Etwas Unheimliches ging in Westdeutschland vor sich.

      Ich saß ich in einem Café an der Pestalozzistraße und trank einen Kaffee. Draußen war es ungewöhnlich warm, oder kam mir das nur so vor, weil ich jetzt weit im Süden war?

      Alles, was ich besaß, war meine neue Identität und einen alten Lederkoffer mit ein paar Habseligkeiten. Das war nicht gerade viel. Was ich jetzt am dringendsten benötigte, war eine Unterkunft und eine legale Arbeit.

      „Am besten, Sie suchen sich etwas Öffentliches, wo Sie persönlichen Kontakt zu den Menschen bekommen, Katharina“, hatte mir Oberst Kurganow eingebläut.

      Nun, der Oberst war weit weg, und ich hieß auch nicht mehr Katharina, sondern Larissa. Dafür musste ich mich ab sofort irgendwie allein durchbeißen. Und genau das tat ich, indem ich die Tageszeitung studierte. Am meisten interessierten mich die Kleinanzeigen. Bei den Arbeitsangeboten handelte es sich meistens um Vertretertätigkeiten beziehungsweise um Putzjobs. Das war nicht unbedingt das, was ich suchte. Ich blätterte gedankenversunken in der Zeitung, nippte an meinem Kaffee. Irgendetwas musste mir einfallen, und zwar schnell. Später war meine Tasse leer, ich stand auf und bezahlte das Getränk an der Kasse. Dann schlenderte ich zur Garderobe, nahm meine Strickjacke vom Haken und ging weiter in Richtung Ausgang. Da sah ich das Schild. Es hing im Schaufenster neben der Tür. Serviererin gesucht, stand da beidseitig in großen Lettern geschrieben. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück zur Kasse. Die ältere Dame, bei der ich vorhin den Kaffee bezahlt hatte, lächelte freundlich.

      „Haben Sie noch etwas vergessen, junges Fräulein?“

      „Äh, nein, ich habe nur gerade das Schild im Fenster gesehen. Komisch, dass es mir nicht schon beim Betreten Ihres Cafés aufgefallen ist. Nun, ich bin neu in der Stadt und suche dringend einen Job.“

      Der Gesichtsausdruck der älteren Dame veränderte sich. Reine Neugierde ersetzte die Höflichkeit. Trotzdem schien ihr zu gefallen, was sie sah. Ich musste einen adretten und gepflegten Eindruck auf sie gemacht haben.

      „Und woher kommen Sie?“, lautete ihre erste Frage.

      „Aus Berlin. Äh, Westberlin natürlich“, fügte ich schnell hinzu.

      „Natürlich. Und Sie heißen?“

      „Larissa Orloff.“

      „Haben Sie schon einmal im Service gearbeitet?“

      Ich beschloss, die Unwahrheit zu sagen. „Aber sicher! Ich habe mehrfach im vergangenen Sommer bei uns in den Biergärten ausgeholfen.“

      „Und warum sind Sie weg von Berlin? Ich meine, eine so schöne große Stadt bietet doch sicher unzählig viele Möglichkeiten?“

      Das genau war der Knackpunkt. Hier musste eine einfache, aber glaubhafte Antwort her. Die hatte ich parat. Ich erzählte ihr die Geschichte, die ich mir zurechtgelegt hatte. „Das hat eher persönliche Gründe, verstehen Sie? Ich habe mich von meinem Freund getrennt.“

      Jetzt lächelte die ältere Dame wieder. „Ah, ich verstehe, Liebeskummer. Das tut weh, was? Na ja, ihr jungen Leute nehmt die Gefühlsangelegenheiten einfach viel zu ernst. Das Leben geht immer weiter!“

      „Ja, schon, aber ich mochte einfach nicht mehr in der gewohnten Umgebung bleiben, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

      „Aber sicher, Kindchen. Luftveränderung, was? Und da haben Sie sich gerade München ausgesucht?“

      Auch darauf wusste ich eine passende Antwort.

      „Warum denn nicht München? Ich habe immer gehört, dass München eine fantastische Stadt sein soll, und dann die Nähe zu den Bergen. Ich liebe die Berge, müssen Sie wissen.“

      „Wann können Sie anfangen?“

      Diese direkte Frage hatte ich so nicht erwartet, aber anscheinend hatte ich die ältere Dame mit meinen Antworten zufriedengestellt.

      „Von mir aus gleich morgen. Allerdings muss ich mich noch um eine Unterkunft bemühen …“

      „Was, die haben Sie auch nicht?“

      „Nein, ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich gerade erst in München angekommen bin. Eine entfernte Tante von mir wohnt in Traunstein, aber das ist wohl zu weit, was?“

      „Viel zu weit, Kindchen. Da können Sie sich auch gleich in Österreich eine Arbeit suchen.“

      „O nein, vielen Dank, ich denke, ich möchte lieber hier in München bleiben.“

      „Warten Sie mal, ich habe da oben noch eine Dachkammer frei. Die könnte Ihnen mein Mann ein wenig zurechtmachen. Ich meine, es ist nicht gerade eine Luxuswohnung, aber zum Schlafen reicht es allemal. Und wenn ich mich recht erinnere, steht da oben sogar noch ein alter Elektroofen herum, damit Sie es in den kälteren Jahreszeiten warm haben.“

      Das war meine kleinste Sorge. „Passt schon!“

      Ich brachte eine der Redewendungen an, die ich vorab einstudiert hatte. Innerhalb von ein paar Minuten hatten sich meine Probleme gelöst. Ich hatte einen Job und eine Unterkunft. Außerdem würde mir der Job als Kellnerin direkten Kontakt zu den Gästen ermöglichen.

      Na, Genosse Oberst Kurganow, wie habe ich das gemacht?, dachte ich im Stillen.