Der Konvent. Jens van Nimwegen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens van Nimwegen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741817960
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Computer hatte entschieden, dass ich hin muss. Wenn ein größerer Kunde schriftlich Versicherungen abgeschlossen hat, besuchen wir ihn nach etwa einem halben Jahr hin, um ihn zu überreden, die Policen aufzustocken. In diesem Fall fiel dem Computer auf, dass eine Glasbruchversicherung gänzlich fehlt.

      Solche Arbeit liegt mir. Es sind immer dieselben Argumente. Beim Training haben wir geübt, immer im richtigen Moment des Gespräches das richtige Argument vorzubringen. Man muss einen guten, kompetenten Eindruck machen und dem Auftraggeber nach dem Mund reden, damit er einen gern hat und ihm den Auftrag gönnt. Der Hauptgrund, dass ein Geschäft zustande kommt, ist ja, dass der eine dem anderen das Geschäft gönnt. Sonst gönnt er es einem Dritten.

      Prima Beruf, krisensicher, günstige, helle Mietwohnung in Eilsleben, mitten im Bezirk, Autofahrten durch schöne Landschaft, keine nervenden Kollegen, keine schwierigen Ermessensentscheidungen.

      Jedenfalls dachte ich das noch auf der Hinfahrt.

      Bei Ankunft war es dann einer dieser unzähligen halb verfallenen Komplexe, in denen die Russen oder eine geheime DDR-Stelle untergebracht war, und wo sich jetzt Investoren oder alternative WGs unglücklich machen. Hier und da wurde gearbeitet. Man schaut mit professionellem Blick: soundsoviel Dachflächen, meist Pfannen; Bäume, die umfallen können; soundsoviel Quadratmeter Fensterlöcher, da würde wohl nach und nach immer mehr Glas reinkommen, auf die Größenordnung kommt es an; leider kein Risiko von Überschwemmungen; auf den ersten Blick keine gefährlichen Maschinen; aber Gerüste, auf denen Männer herumklettern. Und so weiter. Alles Routine.

      Die Sache damals in der Eisenbahn nach Köln hatte ich längst vergessen. Oder verdrängt. Irgendwelche zerrissenen Kerls, die ich ziemlich eklig fand. Ich musste, glaube ich, sogar würgen wegen deren gammeligen Klamotten. Also hatte ich einfach nur vor mich hingeschaut. Bis die mich fertigmachten, weil ich irgendeiner Oma keinen Platz angeboten hatte. Sie hatten sogar meinen schicken Rucksack dreckig gemacht. Widerlich. Und peinlich.

      Und jetzt waren die hier Besitzer des ganzen Komplexes! Sahen immer noch krass aus, aber anders. Sie erkannten mich wieder, und ich wurde verspottet, gequält und erniedrigt wie seit der Schule nie mehr. Mein guter Anzug war nach ein paar Minuten schon hin.

      Ich schämte mich furchtbar. Aber die ganze Zeit kribbelte es zwischen meinen Beiden. Und dann musste ich noch den Schlosskeller besichtigen, und was ich da sah, verstand ich erst gar nicht. Alles wirbelte ein meinem Kopf.

      Auf der Rückfahrt habe ich dann lange auf einem Waldweg nachgedacht. Dieses Kribbeln, das kriege ich immer bei Männern mit Macht. War mir aber lange nicht bewusst, dieser Zusammenhang. Vor allem, wenn sie mich erniedrigen oder ungerecht behandeln. Zu Beispiel Polizisten bei Verkehrskontrollen. Macht und Erniedrigung. Das sind auch die Bücher und Videos von Bruno Gmünder, die mich am meisten anmachen, egal wie schlecht die geschrieben sind. Und in solchen Büchern kommen auch Verliese vor, in denen Männer nach strengen Regeln zusammenleben müssen. Wo einer nicht einmal alleine scheißen kann, wo es keine Würde mehr gibt. Keine Würde. Nur geile Männer. Keine Würde. Nur gehorchen. Es kribbelte heftig.

      Und bei diesem Kunden sollte so etwas Wirklichkeit werden? Ich nahm mir vor, da noch einmal hin zu fahren, aber diesmal privat, und zu sehen, ob die mich haben wollten. Mal ne richtige Session, wie in den Videos. Vielleicht alle paar Wochenenden.

      Und dann passierte furchtbar viel in kurzer Zeit, und bei den Skinheads lernte ich, was ich wirklich bin: der geborene Cocksucker.

      Die sahen alle gleich aus, und ich hatte Angst, und die hatten mich herumgestoßen und schrecklich verspottet, und dann rammelten die einer nach dem anderen meine Fresse durch. Ich hatte Angst, musste dauernd würgen, aber ich war noch nie so lange so steif. Es war wie ein Rausch. Vor allem, als ich aufhörte zu denken. Da war die Angst auch weg. Ich war einfach nur da, wertloses, verachtetes Fickobjekt.

      Langsam begriff ich, dass die mich zwar verachteten, aber doch auch nützlich fanden. Dass sie es schätzten, wie schnell ich lernte, nicht nur Loch zu sein, sondern mich immer wieder auf jeden einzustellen. Lecken, Saugen, immer wieder neu und immer wieder anders. Ich konnte harte Männer glücklich machen. Die stießen mich immer noch herum und pissten auf mich; aber sie hatten mich gern, das fühlte ich. Und dass ich mit meinen dreckigen, zerrissenen Klamotten tief unter ihnen stand, das fühlte sich genau richtig an. Ich bin ein Cocksucker. Und ich fing an, meine Muskeln zu spüren, denn ich musste zwischendurch Bierkästen und allerhand Kisten schleppen und Liegestütze machen beim Stiefellecken. Ich war ja in der Woche fast jeden Tag da, manchmal über Nacht. Dass sie mich am zweiten Morgen kahl machten, war eine große Ehre.

      Was bin ich froh, dass ich keinen Widerstand mehr hatte. Ich habe akzeptiert, was ich bin, und bin stolz darauf.

      Da kamen immer neue Skinheads dazu, und man hatte keine Lust, immer wieder zu erklären, was mein Zweck war. Darum schrieben sie mir mit Filzstift FUCK auf die Stirn. Das war das Geilste. Tagelang auf den Knien, Maul offen, Aufschrift gut sichtbar, mich jedem anbieten. Die sagten, dass ich einen notgeilen Blick habe. Kann man Sex-süchtig werden? Richtig süchtig, das ganze Leben nur auf Sex gerichtet? Zwanghaft auf Suche gehen, wenn das Kribbeln aufzuhören droht? Das will ich.

      Diese kaufmännische Lehre, diese Scheiß-Versicherung, die spießige Wohnung im spießigen Eilsleben, mein ganzes bisheriges Leben, das war doch alles Scheiße. Sinnlos.

      Ja, und dann habe ich mich bei den Besitzern als Knecht für zehn Jahre beworben. Die Skinheads hatten mir erklärt, dass das geht und was es bedeutet. Ich wurde angenommen. Ein paar Unterschriften – klar! Achtzehn. Die Nummer wollte ich auch sofort drauf haben, wie die anderen es auch hatten.

      Und beim Tätowieren bekam ich schon wieder Zweifel. Klar, nach zehn Jahren wird es vielleicht Zeit für was Anderes. Vielleicht nach Amerika. Oder mit einem Kerl zusammenleben mitten in der Großstadt. Aber Cocksucker bin ich fürs Leben! Ich will nicht zurück. Ich will jetzt sicher sein, dass der Weg in die Spießigkeit abgeschnitten ist. Also wollte ich, wo ich schon da war, FUCK auf die Stirn.

      Aber Sieben, der Tätowierer, weigerte sich. Unethisch. Jedenfalls zu früh. Ich würde es bereuen. Passt auch nicht zu so einem Milchgesicht. Das fand ich besonders gemein. Ich war ganz durcheinander, heulte wohl auch. Und da fühlte ich seinen Finger an meinem Hinterkopf. Kahl war der ja schon.

      Er schrieb mit der Fingerspitze die Buchstaben und raunte mir ins Ohr: „Da will ich es wohl hinschreiben. Du kannst es selbst nicht lesen, aber jeder, der hinter dir steht. Und du wirst nie sehen, wie die Leute glotzen und über dich spotten. Aber das Gefühl wirst du nie los.

      Darum lässt dir natürlich vor Schiss morgen schon Haare drüber wachsen. Denn du traust dich bestimmt nicht, so rumzulaufen. Wäre ja auch dumm. Darum muss es da hin, nicht auf die Stirn. Du machst dir deine Spießbürgerzukunft erst kaputt, wenn dir die Haare ausfallen. Hast also noch Zeit zum Häusle Bauen, wenn die zehn Jahre hier um sind.“

      Er hat es dann wirklich gemacht und gemerkt, dass ich dabei die ganze Zeit steif war. Und dann hat er mir ein Foto von einem Skinhead gezeigt, der eine Kopftätowierung da hatte, wo man einen Iro wachsen lassen kann. Er wäre bereit, mir etwas in der Art zu machen, auch zum Zuwachsen lassen gedacht, damit deutlich wird, auf welche Nutzöffnung sich das FUCK bezieht, wenn ich mal kahl werde. Dann hat er etwas gezeichnet, das deutlich aus Pfeilen bestand und mindestens so geil aussah wie das Muster auf dem Foto. Also Pfeile von dem Wort FUCK hinten hinauf, über den Schädel bis zum Haaransatz. Ich wollte das sofort haben. und während er es machte, wurde ich mir immer sicherer. Jetzt oder nie! Alles oder nichts! Aber für Nichts war es ja schon zu spät. Also hab ich gebettelt und geheult und geschrien, bis er die Pfeile die Stirn runter bis zur Nasenwurzel geführt hat. Die lassen sich nie mehr verbergen. Ein Zeichen auf der Stirn. Auch wenn ich mir die Haare wachsen lasse, will bestimmt jeder wissen, wo die Pfeile anfangen.

      Jetzt kann ich nicht mehr zurück.

      Rechtlosigkeit

      Er kommt wieder, schon nach einer Woche. Diesmal in dreiteiligem, elegantem Lederanzug und mit einem verwitterten Geländewagen mit Pritsche, darauf ein Motorrad und ein paar Kisten.

      „Herr, ich habe mein Auto umgetauscht, denn sowas können wir hier besser gebrauchen, dachte