Als sie neben mir stand, legte sie den benutzten und feucht glänzenden Dildo sowie eine Visitenkarte vor mich auf den Tisch. Sie strich mit ihrem Mittelfinger über meine Oberlippe, lächelte mich an und verließ kurz darauf das Eiscafé. Sie hatte kein Wort gesprochen, aber die Augen hatten Bände gesprochen. Ich konnte ihren Intimduft riechen, den sie mir unter die Nase gerieben hatte. Den Dildo ließ ich schnell in meine Handtasche gleiten, damit die Bedienung diesen nicht sehen würde.
Dann nahm ich die Visitenkarte in die Hand und las: Dr. Claire Bourbon, Richterin am Landgericht München I.
Da war ich mit meiner Vermutung, eine Juristin vor mir haben, richtiggelegen. Es handelte sich um eine Richterin! Und die Frau hatte in einem Eiscafé vor meinen Augen masturbiert. Ich schob die Visitenkarte ebenfalls in meine Handtasche, bezahlte und verließ das Eiscafé.
Eine Stunde später saß ich in meiner Praxis hinter meinem Schreibtisch und starrte auf den Dildo und die Visitenkarte, die beide vor mir lagen. Noch immer war ich von dieser Situation gefangen. Und wie von einer Fernsteuerung geleitet, ergriff ich den Dildo, führte ihn an meinen Mund und leckte ihn mit ausgestreckter Zunge ab.
Zum ersten Mal in meinem Leben kostete ich den Geschmack einer anderen Frau. Bisher kannte ich nur meine eigenen Säfte. Vielleicht sollte ich hier kurz anmerken, dass ich im Alter von siebzehn Jahren den ersten und letzten sexuellen Kontakt zu einem anderen Menschen gehabt hatte. Es war ein Mann gewesen, der mich damals überrumpelt und entjungfert hatte. Seit diesem unerfreulichen Erlebnis hat mich kein anderes Lebewesen jemals wieder berührt. Daher kannte ich weder den Geruch, noch den Geschmack, von menschlichen Körperflüssigkeiten.
Als ich gerade weitere Planungen mit dem Dildo anstellte, klopfte es an meine Tür. Es verging gerade ausreichend Zeit, den Dildo und die Visitenkarte in meine oberste Schreibtischschublade zu werfen, als Sarah, meine Sprechstundenhilfe bereits die Tür öffnete und den Kopf in mein Zimmer streckte.
„Frau Kahlden ist da, Frau Doktor.“
„Danke, Sarah. Sie soll eintreten.“
„Okay.“
Ein letztes Mal sog ich die letzten Reste des Intimgeruchs der Richterin in meine Nase, die noch auf meiner Oberlippe hafteten. Dann wurde bereits an meine Tür geklopft.
„Herein“, rief ich.
Die Tür öffnete sich und meine neueste Patientin betrat mein Zimmer. Während sie die Tür hinter sich schloss und auf meinen Schreibtisch zuschritt, musterte ich die Frau.
Aus den Akten wusste ich, dass ihr Name Katja Kahlden war, und sie einundvierzig Jahre alt war. Sie hatte halblange, brünette Haare, die zu einem Pagenschnitt frisiert waren. Ich musterte ihr eher durchschnittlich aussehendes Gesicht. Die dunklen Augen standen leicht schräg über hohen Wangenknochen. Die leicht bebenden Nasenflügel gaben einen selbstbewussten Eindruck. Der Mund wies volle Lippen auf, die grellrot geschminkt waren. Die Haut war von glattem Weiß, sie erinnerte an feines Porzellan.
Sie trug eine modern geschnittene Jeans, hellblaue Pumps, eine Bluse und einen Blazer. Um das rechte Handgelenk lag eine winzige, sehr weibliche Armbanduhr, besetzt mit Diamanten, die in der Sonne blitzten.
Ich stand auf, ging um meinen Schreibtisch, hielt der Frau meine rechte Hand entgegen und sagte: „Sehr angenehm. Mein Name ist Doktor Emma Gold.“
„Kahlden, Katja Kahlden.“
„Bitte nehmen Sie doch Platz. Darf ich Ihnen etwas zum Trinken anbieten?“
„Ein Glas Wasser wäre nett.“
Ich reichte ihr ein Glas und stellte eine Flasche Mineralwasser auf den Tisch. Eingießen konnte sie sich selbst. Aber sie rührte weder das Glas, noch die Flasche an.
Ich nahm einen Kugelschreiber zur Hand und drehte ihn durch die Finger. Diese Ablenkung brauchte ich vor jedem Gespräch. Es war ein Ritual, das meine Nerven beruhigte und meine Gedanken fokussierte.
„Sie wurden mir empfohlen, Frau Doktor“, begann Katja Kahlden.
„Jede Empfehlung ehrt mich. Ich hoffe, dieser gerecht zu werden. Was führt Sie zu mir?“
„Ich möchte die Ursachen meiner Unfähigkeit eine Beziehung auf Dauer zu führen herausfinden.“
„Das könnten sehr vielfältige Gründe sein.“
„Für ein Honorar von zweihundert Euro pro Stunde werden Sie das sicher herausfinden, Frau Doktor.“
„Wenn Sie bereit sind, sich völlig zu öffnen, insbesondere ehrlich über ihre Kindheit erzählen, dann werde ich Ihnen helfen können, Frau Kahlden.“
Die Frau war merkwürdig. Sie strahlte eine Eiseskälte aus, hatte aber warme und sympathische Augen. Ein Musterbeispiel von anerzogenen Gegensätzen. Hier konnte die Ursache ihrer Probleme liegen. Ich vermutete, dass hier eine Form von Identitätsstörung vorlag. Aber natürlich gab ich kein Urteil ab, ohne die Frau richtig zu kennen.
„Aufgrund der Empfehlung weiß ich, dass man Ihnen alles ehrlich erzählen kann. Ich bin bereit, mich völlig zu öffnen.“
„Dann sollten wir keine Zeit versäumen. Ich würde vorschlagen, Sie beginnen in Ihrer Kindheit.“
„In welchem Alter?“
„Zu dem Zeitpunkt, bei dem Sie bewusst Ihre erste Sexualität entdeckt haben. Hier liegen meistens die unterdrückten Probleme, die es aufzulösen gilt.“
Und Katja Kahlden begann zu erzählen:
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