»Immer flink!« rief ihr der Alte lustig zu und trat zu Ljewin. »Also zu Nikolai Iwanowitsch Swijaschski fahren Sie, gnädiger Herr? Auch Herr Swijaschski kehrt manchmal bei uns ein«, begann er redselig; er stützte sich mit dem Ellbogen auf das Treppengeländer vor der Hoftür. Mitten in der Erzählung des Alten von seiner Bekanntschaft mit Swijaschski kreischte wieder das Tor, und die Arbeiter kamen vom Felde mit Pflügen und Eggen auf den Hof gefahren. Die vor die Pflüge und Eggen gespannten Pferde sahen wohlgenährt und kräftig aus. Von den Arbeitern gehörten zwei offenbar zur Familie; sie waren noch jung und trugen baumwollene Hemden und Schirmmützen. Die beiden andern waren für Lohn angenommen, der eine ein älterer Mann, der andere ein junger Bursche; sie hatten Hemden von Hanfleinwand an.
Der alte Bauer ging von der Freitreppe weg, trat zu den Pferden und machte sich daran, sie auszuspannen.
»Was habt ihr denn gepflügt?« fragte Ljewin.
»Die Kartoffeln haben wir gehäufelt. Wir haben auch so ein bißchen Land. Du, Fjodor, den Wallach nimm nicht wieder mit, sondern stelle ihn an die Stehkrippe; wir wollen ein anderes Pferd anspannen.«
»Du, Vater, ich habe gesagt, sie sollen sich Pflugeisen borgen; hat er welche gebracht?« fragte ein hochgewachsener, gesunder Bursche, offenbar ein Sohn des Alten.
»Da ... im Schlitten sind sie«, antwortete der Alte, wickelte die abgenommenen Zügel zusammen und warf sie auf die Erde. »Bring sie während des Mittagessens in Ordnung!«
Die hübsche junge Frau ging mit den gefüllten Eimern, die ihr die Schultern hinunterzogen, in den Hausflur. Von allen Seiten erschienen noch mehr Frauen, hübsche junge und solche von mittlerem Alter, und alte häßliche, manche mit Kindern, andere ohne Kinder.
Der Samowar begann zu summen. Die Arbeitsleute und die Familienmitglieder gingen, nachdem sie mit den Pferden fertig geworden waren, ins Haus zum Mittagessen. Ljewin holte seinen Mundvorrat aus dem Wagen und lud den Alten ein, mit ihm zusammen Tee zu trinken.
»Aber wir haben ja heute schon Tee getrunken«, versetzte der Alte, nahm jedoch die Einladung offenbar mit Vergnügen an. »Nun, so zur Gesellschaft!«
Während des Teetrinkens erfuhr Ljewin die ganze bisherige Geschichte der Wirtschaft des Alten. Dieser hatte vor zehn Jahren von der Gutsbesitzerin hundertzwanzig Deßjatinen gepachtet; im vorigen Jahre hatte er sie käuflich erworben und von einem benachbarten Gutsbesitzer noch dreihundert Deßjatinen dazugepachtet. Einen kleinen Teil des Landes, den schlechtesten, hatte er in einzelnen Parzellen weiterverpachtet, und vierzig Deßjatinen bestellte er selbst mit seiner Familie und zwei Arbeitsleuten als Ackerland. Der Alte klagte, die Wirtschaft ginge nur schlecht. Aber Ljewin sah klar, daß er nur so um des Anstands willen klagte und seine Wirtschaft in Wirklichkeit sehr gut im Gange war. Wäre sie schlecht gegangen, so wäre er nicht imstande gewesen, Land zu hundertfünf Rubeln die Deßjatine zu kaufen und drei Söhne und einen Neffen zu verheiraten und zweimal nach Bränden wieder neu zu bauen und jedesmal besser, als es vorher gewesen war. Trotz der Klagen des Alten war es deutlich, daß er mit gutem Grunde stolz war auf seinen Wohlstand, stolz auf seine Söhne, seinen Neffen, seine Schwiegertöchter, seine Pferde und Kühe und ganz besonders darauf, daß seine ganze Wirtschaft so wohl und sicher begründet war. Aus dem Gespräch mit dem Alten konnte Ljewin entnehmen, daß dieser kein Feind von Neuerungen war. Er baute viel Kartoffeln, und seine Kartoffeln blühten, wie Ljewin auf der Fahrt gesehen hatte, schon ab und setzten an, während Ljewins eigene erst im Aufblühen waren. Er häufelte seine Kartoffeln mit Pflugeisen, die er sich vom Gutsbesitzer lieh. Er säte Weizen. Eine geringfügige Einzelheit machte auf Ljewin besonderen Eindruck: daß der Alte, wenn er den Roggen ausjäten ließ, mit dem ausgejäteten Roggen die Pferde fütterte. Wie oft schon hatte Ljewin, wenn er sah, wie dieses schöne Futter nutzlos umkam, es einsammeln lassen wollen; aber es war immer ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Bei diesem Bauern aber ließ sich das durchführen, und er konnte dieses Futter gar nicht genug rühmen.
»Was haben denn die Weiber sonst zu tun? Sie tragen die Häufchen an den Weg, und der Wagen sammelt sie ein und bringt sie nach Hause.«
»Ja, aber siehst du, wir Gutsbesitzer haben mit den Arbeitsleuten immer unsere liebe Not«, sagte Ljewin und reichte ihm ein Glas Tee hin.
»Danke sehr«, sagte der Alte und nahm das Glas; aber den angebotenen Zucker lehnte er ab, indem er auf den noch übrigen Rest des Stückes hinwies, von dem er bis jetzt abgebissen hatte. »Wie kann man überhaupt mit Arbeitsleuten wirtschaften?« sagte er. »Dabei geht man zugrunde. Sehen Sie zum Beispiel Swijaschski an! Wir wissen, welch vorzügliches Land er hat, die reine Pracht; aber seine Ernte lobt er trotzdem nicht sonderlich. Die Aufsicht bleibt doch immer mangelhaft.«
»Aber du wirtschaftest doch auch selbst mit Arbeitsleuten?«
»Wir sind gewohnt, Bauernarbeit zu verrichten, und sind überall selbst mit dabei. Ist ein Arbeiter schlecht, dann muß er weg; nötigenfalls schaffe ich es auch mit den Leuten aus meiner Familie.«
»Vater, Finogen möchte Teer haben«, berichtete, ins Zimmer tretend, die Frau mit den Gummischuhen.
»Ja, so ist das, gnädiger Herr!« sagte der Alte, stand auf, bekreuzte sich umständlich, bedankte sich bei Ljewin und ging hinaus.
Als Ljewin in die gewöhnliche Wohnstube trat, um seinen Kutscher herauszurufen, erblickte er die sämtlichen männlichen Mitglieder der Familie am Tische. Die Frauen standen und warteten ihnen auf. Der eine junge, kerngesunde Haussohn erzählte gerade, den Mund voll Grütze, etwas Komisches, und alle lachten, besonders lustig die Frau mit den Gummischuhen, die Kohlsuppe in einen Napf goß.
Sehr möglich, daß das hübsche Gesicht dieser jungen Frau mit den Gummischuhen viel zu dem Eindruck guter Ordnung beitrug, den dieses Bauernhaus auf Ljewin machte; jedenfalls war dieser Eindruck so stark, daß er sich bei Ljewin niemals wieder verlor. Und während der ganzen Fahrt von dem Alten zu Swijaschski mußte er immer wieder an diese Wirtschaft denken, als ob etwas daran seiner ganz besonderen Beachtung würdig sei.
26
Swijaschski war Adelsmarschall in seinem Kreise. Er war fünf Jahre älter als Ljewin und schon lange verheiratet. Bei ihm im Hause wohnte auch seine junge unverheiratete Schwägerin, die Ljewin sehr sympathisch war. Und er wußte, daß Swijaschski und seine Frau den lebhaften Wunsch hegten, aus ihm und diesem jungen Mädchen ein Paar zu machen. Er wußte das unzweifelhaft, wie das junge Männer, sogenannte Heiratskandidaten, immer wissen, wiewohl er nie mit jemandem darüber hätte sprechen mögen; aber er wußte auch, daß, obwohl er gern heiraten wollte, und obwohl, nach allen Anhaltspunkten zu urteilen, dieses anziehende junge Mädchen eine vortreffliche Gattin zu werden versprach, er ebensowenig sie heiraten konnte wie in den Himmel fliegen, selbst wenn er nicht in Kitty Schtscherbazkaja verliebt gewesen wäre. Und dieses Bewußtsein war eine unangenehme Beigabe zu dem Vergnügen, das er sich von der Fahrt zu Swijaschski erhoffte.
Als Ljewin Swijaschskis Brief mit der Einladung zur Jagd erhalten hatte, war ihm dies alles sofort in den Sinn gekommen; aber er hatte sich trotzdem gesagt, eigentlich sei es doch nur eine ganz grundlose Annahme von ihm, wenn er bei Swijaschski solche Absichten auf seine Person voraussetze; er könne also ruhig hinfahren. Außerdem stak bei ihm noch in einem verborgenen Winkel seiner Seele der Wunsch, mit sich selbst noch einmal eine Probe vorzunehmen, sich und dieses junge Mädchen noch einmal vergleichend miteinander zusammenzuhalten. Das häusliche Leben bei Swijaschski war höchst angenehm, und Swijaschski selbst war als der beste Typus eines eifrigen Mitgliedes der ländlichen Selbstverwaltung, den Ljewin je gekannt hatte, für ihn immer eine außerordentlich interessante Persönlichkeit gewesen.
Swijaschski gehörte zu einer Menschenklasse, über die sich Ljewin immer sehr wunderte, nämlich zu den Menschen,