»Und woher kommt das Geld dafür?« Er ließ nicht locker. »Ich meine: Lebensmittel, Heizung, Auto … Allein mich aus London abzuholen, die Fähre und das Motel … Das hat doch alles was gekostet.«
»Wenn ich die Kasse wieder auffüllen muss, biete ich ein bisschen ›Consulting‹ an«, antwortete sie mit einem süffisanten Grinsen.
Für Joshua wurde es offensichtlich, dass sie ihm nicht erzählen wollte, womit genau sie ihren Lebensunterhalt bestritt – was ihn weiter vermuten ließ, dass sie doch heimlich der Prostitution nachging. Er musterte sie unauffällig.
Seine Tante war eine hübsche Frau Anfang der Fünfziger, immer noch attraktiv und begehrenswert, mit ihren langen blonden Haaren und den großen tiefblauen Augen. Da war etwas sehr Anziehendes in ihrem Auftreten – und etwas, dass er bei einer Frau erwarten würde, die ihren Kunden einen erstklassigen und hochpreisigen Escort anbot. Für ihn passte das gut zu der Tatsache, dass sie oft verschwand, ohne ihm zu sagen, wohin, und es nie danach aussah, als ob sie eine Besorgung erledigt hätte.
Er wagte es auch nicht, sie nach der Art des ›Consultings‹ zu fragen, weil er sicher war, ihr eh nicht zu glauben.
»Verrätst du mir, wie es in der neuen Schule läuft?«, fragte sie, das Thema wechselnd.
Joshua war überrascht, dass sie von der Schulleitung noch nicht darüber informiert worden war, dass er gar nicht hinging. Andererseits hat sie kein Telefon, sagte er sich, und man hat keine Möglichkeit gefunden, sie auf direktem Weg zu informieren. »Läuft ganz gut«, antwortete er ausweichend, wobei er es vermied, sie direkt anzusehen.
»Hast du schon irgendwelche Mädchen getroffen, die du magst?«, hakte sie nach.
Verwundert blickte er sie wegen der offen gestellten Frage nach seinem möglichen Liebesleben an. »Diese Oberstufen-Zicken sind nicht mein Typ«, murmelte er.
Rhianna lachte. »Ach, Quatsch! Die wollen sich doch ausprobieren. An die solltest du dich mal ranmachen«, meinte sie.
»Die sind doch blöd und behandeln einen von oben herab, als wenn sie was Besseres wären«, widersprach er. »Außerdem bin ich wohl kaum hier, um eine Freundin zu finden, oder? … Ich bin hier, weil meine Eltern tot sind, du die Vormundschaft hast, bis ich volljährig bin und ich meine Schule beende … Danach will ich wieder nach London … So schnell es geht. Das hier … ist nichts für mich.«
»Lass‘ dir Zeit, Josh. Dann beurteilst du es vielleicht schon bald anders. Ich bin sicher, dass du dich gut einleben und es dir sogar gefallen wird«, bat sie ihn mit einem Grinsen, als ob sie gerade einen tollen Witz vom Stapel gelassen hätte. »Ich fahre noch rüber nach Douglas. Benötigst du etwas, was ich für dich besorgen soll?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf.
Im Grund genommen war Joshua ganz froh, dass seine Tante noch einmal fortmusste und ihn eine Weile allein ließ. Schon über eine Woche hatte er nicht mehr masturbiert, was, wie er fand, einem fast Achtzehnjährigen bereits einen Eintrag ins ›Guinness-Book-of-Worldrecords‹ einbringen musste. Er wartete, bis er das Dröhnen ihres Motors nicht mehr hören konnte, ehe er ins Badezimmer eilte und sich auszog. Augenblicklich fing er an sich zu stimulieren, starrte auf seine Erektion und stellte fest, dass ihm etwas fehlte. Er hatte sich an die Pornoschnipsel auf ›Pornhub‹ gewöhnt und verfluchte sich, nicht zumindest einige auf seinen Laptop heruntergeladen zu haben. Aber wie hätte ich auch ahnen können, dass es hier kein Internet gibt, ging es ihm frustriert durch den Kopf – denn so hatte er nichts. Doch dann fragte er sich unwillkürlich, ob sie nicht vielleicht etwas in der Richtung hatte. Immerhin scheint sie doch ein ziemlicher Freigeist zu sein, dachte er still. Es wird ganz bestimmt irgendetwas im Haus zu finden sein, dass meine Masturbationssitzung bereichert.
Ohne weiter darüber nachzudenken schlich er sich in das Zimmer seiner Tante, um ihre Schubladen zu erkunden. Er war nicht überrascht, als er zwei Laden der großen Kommode mit heißen Dessous gefüllt vorfand. Sofort begann er darin herumzukramen, in der Hoffnung etwas zu finden – ein Magazin, eine ›Blue-ray-Disc‹ oder zumindest schmutzige Spielkarten. Aber da war weder das eine noch das andere. Also suchte er weiter.
In ihrem Nachttisch fand sie einige ›Sex-Toys‹: zwei Dildos, groß und etwas kleiner, rosafarben und schwarz, einen Analplug, Handschellen, eine Augenbinde und sogar einen Knebel. Er schauderte bei dem Anblick, als ihm bewusstwurde, dass er viel zu tief in ihre Intimsphäre eingedrungen war. Vorsichtig schob er die Sachen zur Seite, um auch weiter hinten in die Schublade schauen zu können. Doch da fanden sich nur noch mehr Dessous und weitere eindeutige Spielsachen. Und je mehr er fand, desto fester wurde er in seiner Überzeugung, dass sie dem horizontalen Gewerbe nachging. Wahrscheinlich ist sie gerade auf dem Weg zu einem Freier um nicht nur finanziell ›abzusahnen‹! Ein vielsagendes Grinsen umspielte seine Lippen, weil er ja auch gerade nichts anderes als abspritzen wollte.
Als er bereits jede Hoffnung fahren lassen wollte, wurde er doch noch fündig: es war ein Buch mit diversen Sex-Stellungen, ähnlich dem Kamasutra – und auf allen Fotografien, war das gleiche Paar zu sehen. Die Auflösung war für seinen Geschmack gerade noch akzeptabel, die Frau war recht sexy und der Typ hatte einen großen, dicken Phallus. Es war die Seite auf der die beiden die Position der ›Spanischen Krawatte‹ zeigten, die ihm den letzten Kick bereitete, als er masturbierte – sodass einiges von seinem Sperma auf die Brüste der Frau klatschte, unmittelbar auf Höhe der dunklen Eichel, weil er sein Glied nicht rechtzeitig zur Seite gerichtet hatte.
Sofort versuchte er die Nässe von der Abbildung zu bekommen, was ihm nicht wirklich gelang – und keine Minute später lag das Buch wieder an seinem alten Platz in der Schublade. Jetzt fühlte sich zwar ein wenig entspannter, fürchtete sich aber dennoch vor den noch anstehenden fünf Monaten, in denen er auf der Insel festsaß.
Nur eine Stunde später entschied er sich, sein lustvolles Treiben zu wiederholen, weil er nichts Besseres mit sich anzustellen wusste, obgleich es ein schöner Tag war. Noch immer hatte er nicht herausgefunden, was seine Tante damit zum Ausdruck bringen wollte, als sie ihm sagte: »Geh‘ doch mal nach draußen und genieße die Natur.« Ich weiß überhaupt nicht, was ich da genießen soll?, dachte er, während er aus dem Fenster seines Zimmers schaute. Ich werde wohl kaum auf die Bäume klettern, geschweige denn auf alle! Und auf eine sinnlose Wanderung habe ich auch keinen Bock … Außerdem muss ich eh schon jeden Tag so viel laufen … Und schwimmen? Bis zum nächsten Strand, an dem man gefahrlos ans Wasser kommt ist es mir zu weit … Hier kann man echt nichts anderes machen, als sich aus Langeweile einen runterzuholen! Und das, obwohl ich viel Zeit damit verbracht habe, das Haus und die Schränke zu durchstöbern, um etwas zu finden, womit man sich die Zeit vertreiben kann. Er musste lachen, weil er sogar bereit gewesen war, irgendein Brettspiel gegen sich selbst zu spielen – aber selbst so etwas war nicht zu finden. Alles was es gab, waren Kleider, Kleider und nochmals Kleider. Wenn er einmal von all dem Make-up, den diversen Lotionen, Cremes und Tinkturen, von denen er nicht einmal zu sagen wusste, wofür sie waren, absah.
Und wieder fragte er sich, was seine Tante eigentlich den ganzen Tag tat, abgesehen davon, von Zeit zu Zeit ein ›Consulting‹ zu machen. Nicht einmal Bücher zum Lesen hatte er finden können. Die einzigen, die es gab, waren die seiner Schule – und nach denen stand ihm nun so ganz gar nicht der Sinn.