Krieg und Frieden. Leo Tolstoi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188620
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Sie und für diesen liebenswürdigen jungen Mann alles zu tun, was in meinen Kräften steht.« Er drückte Boris noch einmal die Hand mit dem Ausdruck gutmütiger Aufrichtigkeit und munterer Harmlosigkeit. »Aber Sie sehen ... Ein andermal!«

      Den jungen Fähnrich Boris regte der Gedanke auf, wie nah er sich in diesem Augenblick der höchsten Instanz befand. Hier fühlte er sich in Berührung mit jenen Triebfedern, von welchen alle jene gewaltigen Massen in Bewegung gesetzt wurden; wenn er dagegen bei seinem Regiment war, so hatte er die Empfindung, daß er nur ein kleiner, gehorsamer, unbedeutender Teil dieser Massen sei. Fürst Andrei und er traten nach dem Fürsten Dolgorukow ebenfalls auf den Korridor hinaus und begegneten dort einem Herrn, der aus derselben Tür zu dem Zimmer des Kaisers herauskam, in welche Dolgorukow hineinging. Er trug Zivil, war von kleiner Statur, noch jung und hatte ein kluges Gesicht, das durch den vorstehenden Unterkiefer einen strengen, scharfen Zug erhielt; aber dieser Zug entstellte sein Gesicht nicht, sondern ließ dasselbe vielmehr besonders lebhaft und ausdrucksfähig erscheinen. Dieser kleine Herr nickte dem Fürsten Dolgorukow wie einem guten Bekannten zu; den Fürsten Andrei sah er mit einem kalten Blick starr an, ging gerade auf ihn zu und erwartete offenbar, daß Fürst Andrei ihn grüßen oder ihm Platz machen werde. Fürst Andrei jedoch tat weder das eine noch das andere; er machte ein ärgerliches Gesicht, und der junge Mann wandte den Kopf weg und ging mehr nach der Seitenwand des Korridors zu an ihnen vorüber.

      »Wer war das?« fragte Boris.

      »Das ist einer von den einflußreichsten, aber mir unangenehmsten Menschen. Es ist der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Fürst Adam Czartoryski. Das sind die Leute«, sagte Bolkonski, während sie aus dem Schloß hinausgingen, mit einem Seufzer, den er nicht unterdrücken konnte, »das sind die Leute, die das Schicksal der Völker entscheiden.«

      Am andern Tag setzten sich die Truppen in Marsch, und Boris fand vor der Schlacht bei Austerlitz keine Zeit mehr, den Fürsten Bolkonski oder den Fürsten Dolgorukow aufzusuchen, und blieb daher vorläufig noch im Ismaïler Regiment.

      X

      In der Morgenfrühe des 16. November brach Denisows Eskadron, in welcher Nikolai Rostow stand, und die zur Abteilung des Fürsten Bagration gehörte, aus ihrem Quartier auf. Es hieß, sie werde ins Gefecht kommen; aber nachdem sie, hinter anderen Kolonnen einherziehend, ungefähr eine Werst zurückgelegt hatte, erhielt sie Befehl, sich neben der Chaussee aufzustellen. Rostow sah, wie eine Kosakenabteilung an seiner Eskadron vorbei weiterzog, desgleichen die erste und zweite Eskadron seines Husarenregiments, und Infanteriebataillone und Artillerie, und wie die Generale Bagration und Dolgorukow mit ihren Adjutanten vorbeiritten. All die Furcht, der er an diesem Tag, ebenso wie früher, vor dem Gefecht unterworfen gewesen war, der ganze innere Kampf, mittels dessen er diese Furcht überwunden hatte, all seine Phantasien, in denen er sich ausgemalt hatte, wie er sich so recht husarenmäßig in diesem Gefecht auszeichnen wolle: das alles war nun vergebens gewesen. Seine Eskadron wurde in der Reserve zurückbehalten, und Nikolai Rostow verbrachte diesen Tag in recht langweiliger, verdrießlicher Weise. Zwischen acht und neun Uhr vormittags hörte er von vorn her Schießen und Hurrarufen, sah, wie Verwundete zurücktransportiert wurden (es waren ihrer nicht viele), und schließlich, wie inmitten einer Kosakeneskadron eine ganze Abteilung gefangener französischer Kavalleristen vorbeigeführt wurde. Offenbar war das Gefecht beendet, und es war augenscheinlich nicht groß, aber glücklich gewesen. Die auf dem Rückmarsch vorbeikommenden Soldaten und Offiziere erzählten von einem glänzenden Sieg, von der Einnahme der Stadt Wischau und von der Gefangennahme einer ganzen französischen Eskadron. Nach einem starken Nachtfrost war es ein klarer, sonniger Tag geworden; zu dem heiteren Glanz des Herbsttages kam nun noch die Siegesnachricht, die man nicht nur aus den Erzählungen der Teilnehmer am Kampf erfuhr, sondern auch durch die frohen Mienen der Soldaten, Offiziere, Generale und der nach der einen und nach der andern Seite vorbeisprengenden Adjutanten bestätigt fand. Um so schmerzlicher zog sich Nikolais Herz zusammen, der die ganze Furcht, die bei ihm immer einem Kampf vorherging, vergeblich durchgemacht hatte und diesen heiteren Tag in Untätigkeit hatte verbringen müssen.

      »Komm her, Rostow, wir wollen unsern Kummer vertrinken!« rief Denisow, der sich am Rand der Chaussee bei einer Flasche und einem kalten Imbiß niedergelassen hatte.

      Die Offiziere versammelten sich im Kreis um Denisows Proviantkorb, aßen und redeten miteinander.

      »Da bringen sie noch einen!« sagte einer von ihnen und zeigte auf einen gefangenen französischen Dragoner, den zwei Kosaken zu Fuß vorbeitransportierten.

      Der eine von ihnen führte das dem Gefangenen abgenommene große, schöne französische Pferd am Zügel.

      »Verkaufe doch das Pferd!« rief Denisow dem Kosaken zu.

      »Gern, Euer Wohlgeboren ...«

      Die Offiziere standen auf und umringten die Kosaken und den gefangenen Franzosen. Der französische Dragoner war ein junger Bursche, ein Elsässer, der Französisch mit deutscher Färbung sprach. Er war vor Aufregung ganz außer Atem und hatte ein gerötetes Gesicht, und als er die Offiziere Französisch sprechen hörte, redete er sie schnell an, indem er sich bald an diesen, bald an jenen wendete. Er sagte, er würde sich nicht haben gefangennehmen lassen; daß er gefangengenommen sei, daran sei nicht er schuld, sondern sein Korporal, der ihn weggeschickt habe, um die Pferdedecken zu holen, obgleich er ihm gesagt habe, daß die Russen schon da seien. Alle Augenblicke sagte er dazwischen: »Ich bitte nur, daß meinem lieben, guten Pferd nichts zuleide getan wird«, und streichelte sein Pferd. Es war augenscheinlich, daß er sich nicht recht klar darüber war, wo er sich eigentlich befand. Bald entschuldigte er sich, daß er sich hatte gefangennehmen lassen, bald hatte er die Vorstellung, daß er seine Vorgesetzten vor sich habe, und suchte seine soldatische Pünktlichkeit und seinen Diensteifer ins rechte Licht zu setzen. So brachte er die eigentümliche Atmosphäre des französischen Heeres, die den Russen so fremd war, in ihrer ganzen Frische mit sich in unsere Vorhut hinein.

      Die Kosaken verkauften das Pferd für zwei Dukaten, und Rostow, der jetzt, wo er Geld bekommen hatte, der reichste von den Offizieren war, kaufte es.

      »Ich bitte nur, daß meinem lieben, guten Pferd nichts zuleide getan wird«, sagte der Elsässer gutherzig zu Rostow, als das Pferd einem Husaren übergeben wurde.

      Lächelnd beruhigte Rostow den Dragoner darüber und gab ihm etwas Geld.

      »Allö! Allö!« sagte der eine Kosak und berührte den Gefangenen am Arm, damit er weiterginge.

      »Der Kaiser! Der Kaiser!« wurde plötzlich unter den Husaren gerufen.

      Alles lief und hastete, und Rostow erblickte von hinten her auf dem Weg einige sich nähernde Reiter mit weißen Federbüschen. In einem Augenblick waren alle auf ihren Plätzen und warteten.

      Rostow hatte gar kein Bewußtsein und Gefühl davon, wie er an seinen Platz lief und sich auf sein Pferd setzte. Verschwunden war augenblicklich sein schmerzliches Bedauern darüber, daß er nicht hatte am Kampf teilnehmen können, verschwunden die Alltagsstimmung, in der er sich inmitten der ihm schon so langweilig gewordenen Gesichter befunden hatte, verschwunden sofort jeder Gedanke an seine eigene Person: sein Herz war ganz erfüllt von der Glücksempfindung, die die Nähe des Kaisers in ihm hervorrief. Schon allein durch diese Nähe fühlte er sich für den Verlust des heutigen Tages entschädigt. Er war glücklich wie ein Verliebter, dem die ersehnte Begegnung endlich zuteil wird. Er wagte nicht, in Reih und Glied den Kopf zu drehen; aber er empfand mit dem Instinkt der Begeisterung die Annäherung des Kaisers. Und zwar merkte er das nicht nur an dem Klang der Hufschläge der sich nähernden Kavalkade, sondern er fühlte es daran, daß, je näher sie herankam, um so heller, freudiger, bedeutsamer, festtäglicher alles um ihn herum wurde. Immer mehr und mehr näherte sich ihm diese Sonne, Strahlen milden, majestätischen Lichtes um sich verbreitend, und nun fühlte er sich schon von diesen Strahlen umflossen, er hörte die Stimme des Kaisers, diese freundliche, ruhige Stimme, die zugleich so majestätisch und so schlicht klang. Eine Totenstille war eingetreten, wie es auch nach Rostows Empfindung gar nicht anders sein konnte, und in dieser Stille ertönte die Stimme des Kaisers.

      »Die Pawlograder Husaren?« sagte er im Ton der Frage.

      »Die