»Nun gewiß, Väterchen, mon très honorable Alfons Karlowitsch«, sagte Schinschin in spöttischem Ton (er mischte ganz gewöhnliche Ausdrücke der russischen Volkssprache und gewählte französische Phrasen durcheinander, was eine besondere Eigentümlichkeit seiner Redeweise bildete), »vous comptez vous faire des rentes sur l'état, Sie möchten, daß von Ihrer Kompanie so nebenbei ein bißchen was für Sie abfällt?«
»Nicht doch, Pjotr Nikolajewitsch, ich will nur nachweisen, daß der Dienst bei der Infanterie gegenüber dem Dienst bei der Kavallerie mancherlei Vorteile bietet. Machen Sie sich jetzt nur meine Lage klar, Pjotr Nikolajewitsch ...«
Berg sprach immer sehr präzis, ruhig und höflich und redete immer nur von sich und seinen Angelegenheiten. Er pflegte zu schweigen, solange das Gespräch sich um Dinge drehte, die in keiner direkten Beziehung zu seiner eigenen Person standen. Auf diese Weise schwieg er manchmal stundenlang, ohne daß er selbst dabei ein unangenehmes Gefühl empfunden oder bei anderen hervorgerufen hätte. Aber sobald das Gespräch eine solche Wendung bekam, daß es ihn persönlich betraf, begann er in längeren Ausführungen und mit sichtlichem Vergnügen zu sprechen.
»Machen Sie sich nur meine Lage klar, Pjotr Nikolajewitsch. Wenn ich bei der Kavallerie wäre, so würde ich als Leutnant nicht mehr als zweihundert Rubel alle vier Monate bekommen; jetzt aber bekomme ich zweihundertdreißig Rubel«, sagte er mit einem vergnügten, angenehmen Lächeln, indem er Schinschin und den Grafen ansah, als wäre es für ihn eine ausgemachte Sache, daß sein Wohlergehen stets das wichtigste Ziel der Wünsche aller übrigen Menschen bilden werde.
»Außerdem, Pjotr Nikolajewitsch«, fuhr Berg fort, »befinde ich mich infolge meiner Versetzung zur Garde an einer Stelle, wo ich beachtet werde; auch sind die Vakanzen bei der Gardeinfanterie weit häufiger. Und dann, bitte, überschlagen Sie sich das einmal selbst, wie gut ich mit zweihundertdreißig Rubeln auskommen kann; ich lege sogar noch etwas zurück und schicke es meinem Vater«, fuhr er fort und ließ einen Rauchring aus dem Mund.
»Gut kalkuliert, das muß man sagen. Ja, ja, der Deutsche drischt sein Getreide auf dem Beilrücken, wie es im Sprichwort heißt«, sagte Schinschin und schob, dem Grafen zuzwinkernd, die Bernsteinspitze nach dem andern Mundwinkel hinüber.
Der Graf lachte laut auf. Andere Gäste, welche sahen, daß Schinschin da mit jemand disputierte, traten näher heran, um zuzuhören. Ohne auch nur im geringsten die Spötteleien seiner Zuhörer oder ihren Mangel an Interesse zu bemerken, erzählte Berg ausführlich weiter, daß er durch seine Versetzung zur Garde vor seinen Kameraden vom Kadettenkorps her schon einen Grad voraus habe; der Kompaniechef könne im Krieg fallen, und er, der dann der rangälteste Offizier in der Kompanie sein werde, könne sehr leicht in die Stelle des Kompaniechefs einrücken; im Regiment könnten ihn alle sehr gut leiden, und sein lieber Papa sei über ihn ganz glücklich. Dem jungen Offizier machte es offenbar das allergrößte Vergnügen, dies alles vorzutragen, und er schien gar keine Ahnung davon zu haben, daß andere Leute gleichfalls ihre persönlichen Interessen haben könnten. Aber alles, was er vortrug, war so nett und ehrbar, und die Naivität seines jugendlichen Egoismus war so handgreiflich, daß seine Zuhörer ihm nicht böse sein konnten.
»Na, Väterchen, Sie werden überall, bei der Infanterie wie bei der Kavallerie, eine gute Karriere machen; das prophezeie ich Ihnen«, sagte Schinschin, indem er ihm auf die Schulter klopfte und die Beine von der Ottomane herunternahm. Berg lächelte vergnügt. Der Graf und ihm folgend die Gäste verließen das Herrenzimmer und begaben sich in den Salon.
Es war diejenige Zeit vor dem Diner, wo die bereits versammelten Gäste in der Erwartung, bald an das Büfett mit den kalten Vorspeisen gebeten zu werden, kein langes Gespräch mehr anknüpfen, dabei aber doch für notwendig erachten, sich zu bewegen und nicht stumm zu sein, um zu zeigen, daß sie durchaus nicht etwa ungeduldig darauf warten, sich an die Tafel setzen zu können. Der Hausherr und die Hausfrau blicken von Zeit zu Zeit nach der Tür und wechseln mitunter Blicke miteinander. Die Gäste bemühen sich, aus diesen Blicken zu erraten, auf wen oder auf was noch gewartet wird: ob auf einen sich verspätenden vornehmen Verwandten oder auf ein Gericht, das noch nicht gar ist.
Pierre war kurz vor dem Beginn des Diners angekommen und saß unbeholfen in der Mitte des Salons auf dem erstbesten Lehnstuhl, den er gerade gefunden hatte, und versperrte allen den Weg. Die Gräfin wollte ihn zum Sprechen veranlassen; aber er blickte ungeniert durch seine Brille rings um sich, als ob er jemand suchte, und antwortete auf alle Fragen der Gräfin sehr wortkarg. Er war lästig und unbequem, und dabei war er der einzige, der dies nicht merkte. Viele der Gäste, die seine Geschichte mit dem Bären kannten, betrachteten neugierig diesen großen, dicken Menschen, der sich so still verhielt, und konnten sich nicht genug wundern, wie ein so schwerfälliges, harmloses Individuum es fertiggebracht habe, mit dem Reviervorsteher ein so tolles Stück anzustellen.
»Sie sind erst vor kurzem hier in Moskau eingetroffen?« fragte ihn die Gräfin.
»Ja, ja, ja«, antwortete er und blickte um sich.
»Sie haben meinen Mann noch nicht gesehen?«
»Nein, noch nicht.«
Er lächelte, obwohl dazu gar kein Anlaß war.
»Sie sind ja wohl kürzlich in Paris gewesen? Ich denke mir das höchst interessant.«
»Ja, es ist höchst interessant.«
Die Gräfin tauschte einen Blick mit Anna Michailowna aus. Anna Michailowna verstand dies richtig dahin, daß sie gebeten wurde, diesen jungen Mann zu beschäftigen; so setzte sie sich denn zu ihm und begann von seinem Vater zu reden; aber wie der Gräfin, so gab er auch ihr nur einzelne, abgerissene Worte zur Antwort. Die Gäste waren alle in eifriger Unterhaltung miteinander begriffen.
»Bei Rasumowskis ... Oh, es war ganz allerliebst ... Sie sind sehr gütig ... Die Gräfin Apraxina ...«, so summte es von allen Seiten durcheinander. Die Gräfin stand auf und ging nach dem Vorsaal hinaus.
»Marja Dmitrijewna?« hörten die im Salon Befindlichen sie draußen sagen.
»Sie selbst«, antwortete eine derbe Frauenstimme, und gleich darauf trat Marja Dmitrijewna, von der Gräfin geleitet, in den Salon. Alle jungen Mädchen und sogar die verheirateten Damen, nur die ältesten ausgenommen, erhoben sich von ihren Plätzen. Marja Dmitrijewna blieb in der Tür stehen, reckte ihren fünfzigjährigen, mit grauen Locken geschmückten Kopf gerade aufrecht, ließ von der Höhe ihrer wohlbeleibten Gestalt herab ihre Blicke über die Gäste schweifen und brachte langsam die weiten Ärmel ihres Kleides in Ordnung, was den Eindruck machte, als ob sie sie aufstreifen wollte. Marja Dmitrijewna sprach immer russisch.
»Meinen Glückwunsch der lieben Hausfrau und ihrem Töchterchen, die heute ihren Namenstag feiern!« sagte sie mit ihrer lauten, tiefen, alles übertönenden Stimme. »Nun, wie geht es dir, du alter Sünder?« Mit diesen Worten wandte sie sich zu dem Grafen, der ihr die Hand küßte. »Es ist dir hier wohl zu langweilig in Moskau? Zu Hetzjagden findest du hier wohl keine Gelegenheit? Aber was ist da zu machen, mein Lieber? Wenn diese Vögelchen heranwachsen«, sie zeigte auf die jungen Mädchen, »dann muß man Bräutigame für sie suchen, ob es einem nun paßt oder nicht.«
»Na, und wie steht es mit dir, mein Kosak?« (Marja Dmitrijewna nannte Natascha gern so) sagte sie, indem sie mit der Hand Natascha liebkoste, die fröhlich und ohne Schüchternheit zu ihr herangetreten war, um ihr die Hand zu küssen. »Ich weiß, daß dieses Mädchen ein richtiges Unkraut ist; aber ich habe sie doch gern.«
Sie holte aus ihrem riesigen Ridikül ein Paar Ohrringe mit birnförmigen Saphiren daran heraus, reichte