Während sie das sagte, lachte sie ihr schönes, mutiges Lachen einer tapferen Frau, die geschwätzigem Mitleid die Tat vorzieht.
»Gott weiß«, fuhr sie fort, »ob ich Grund hatte, an allem zu verzweifeln. Ach, das Glück hat mich bisher nicht verwöhnt ... Nach meiner Heirat bin ich in die Hölle geraten, wurde beschimpft und geschlagen, und ich habe manchmal gedacht, daß mir nur noch übrigbliebe, ins Wasser zu gehen. Ich bin nicht ins Wasser gegangen, und als ich vierzehn Tage später mit meinem Bruder in den Orient fuhr, zitterte ich vor Jubel, und eine unermeßliche Hoffnung erfüllte mich ... Und bei unserer Rückkehr nach Paris, als uns beinahe alles fehlte, durchwachte ich scheußliche Nächte, in denen ich uns über unseren schönen Plänen verhungern sah. Wir sind nicht gestorben, ich fing wieder an, von erstaunlichen, glückverheißenden Dingen zu träumen, über die ich manchmal im stillen selber lachen mußte ... Und neulich, als mir dieser furchtbare Schlag versetzt wurde, von dem ich noch nicht einmal zu sprechen wage, war mir, als ob mir das Herz herausgerissen würde; ja, ich habe wirklich gespürt, wie es nicht mehr schlug, ich habe geglaubt, es ist zu Ende, ich habe geglaubt, ich wäre tot. Und dann nichts von allem! Das Leben hat mich wieder gepackt, heute kann ich schon wieder lachen, morgen werde ich wieder hoffen und von neuem leben wollen, immer leben ... Es ist doch komisch, daß ich nicht lange traurig sein kann!«
Saccard, der auch lachte, zuckte mit den Achseln.
»Ach was! Sie sind wie jedermann. Das Leben ist eben so.«
»Glauben Sie?« rief sie verwundert aus. »Mir scheint aber, als gäbe es so traurige Leute, die nie fröhlich sind, die sich das Leben unmöglich machen, so schwarz malen sie es sich aus ... Oh, nicht, daß ich noch Illusionen über die Annehmlichkeit und die Schönheit hätte, die es bietet. Es ist zu hart gewesen, ich habe es zu sehr aus der Nähe gesehen, überall und ungehindert. Es ist abscheulich, wenn nicht gar schändlich. Aber was wollen Sie? Ich liebe es. Warum? Ich weiß es nicht. Rings um mich kann alles in Gefahr sein und zusammenbrechen, ich stehe trotzdem schon am nächsten Tag fröhlich und voll Vertrauen auf den Trümmern ... Ich habe schon oft gedacht, daß mein Fall im kleinen der der Menschheit sei, die in einem gräßlichen Elend lebt, gewiß, die aber von der Jugend einer jeden Generation wieder aufgemuntert wird. Nach jeder Krise, die mich zu Boden wirft, kommt so etwas wie eine neue Jugend, ein Frühling, der neuen Lebenssaft verheißt, mich wieder erwärmt und mein Herz höher schlagen läßt. Das ist wirklich wahr. Wenn ich nach einem großen Kummer auf die Straße hinausgehe und in die Sonne trete, fange ich gleich wieder an zu lieben, zu hoffen, glücklich zu sein. Und das Alter hat mir nichts anhaben können, ich bin so einfältig, daß ich altere, ohne es gewahr zu werden ... Sehen Sie, ich habe für eine Frau viel zuviel gelesen, ich weiß überhaupt nicht mehr, wohin ich gehe, wie es übrigens auch diese ganze weite Welt nicht mal mehr weiß. Aber unwillkürlich scheint mir, daß ich, daß wir alle auf etwas sehr Gutes, sehr Fröhliches zugehen.«
Sie bog am Ende alles ins Scherzhafte ab, und doch war sie bewegt, wollte nur verbergen, daß ihre Hoffnung sie hatte weich werden lassen; ihr Bruder hatte den Kopf gehoben und sah sie mit dankbarer Verehrung an.
»Oh, du«, sagte er, »du bist für Katastrophen wie geschaffen, du bist die Liebe zum Leben!«
Bei diesen täglichen Plaudereien am Morgen stellte sich nach und nach eine fieberhafte Erregung ein, und wenn Frau Caroline zu dieser natürlichen Freude zurückfand, die ihrer Gesundheit innewohnte, so rührte das von dem Mut her, den ihr Saccard mit seiner flammenden Begeisterung für die großen Geschäfte einflößte. Es war fast beschlossene Sache, die berühmte Mappe auszubeuten. Unter seiner schallenden hellen Stimme bekam alles Leben, wurde alles noch aufgebläht. Zuerst legte man die Hand aufs Mittelmeer, eroberte es durch die Allgemeine Gesellschaft der vereinigten Dampfschiffahrtslinien; und er zählte die Häfen aller Länder des Küstenstreifens auf, in denen die Schiffe künftig anlegen sollten, und er mischte verblaßte Erinnerungen an die Antike unter seine Begeisterung als Spekulant, pries dieses Meer, das einzige, das die alte Welt gekannt hatte, dieses blaue Meer, an dessen Gestaden einst die Kultur blühte, dessen Wellen die antiken Städte bespülten, Athen, Rom, Tyrus, Alexandria, Karthago, Marseille, all jene Städte, die Europa zu dem gemacht haben, was es ist. Wenn man sich dann dieses langen Weges in den Orient versichert hätte, wollte man unten in Syrien durch das kleine Geschäft mit der Silberbergwerksgesellschaft des Karmel beginnen, einfach ein paar Millionen so nebenbei zu gewinnen; ein hervorragender Auftakt wäre das, denn der Gedanke an ein Silberbergwerk, an scheffelweise in der Erde gefundenes Geld hatte immer etwas Begeisterndes für das Publikum, vor allem wenn man ihm noch einen so ungewöhnlichen und hochtönenden Namen wie Karmel als Aushängeschild hinzufügen konnte. Es gab dort unten auch Kohlevorkommen, Kohle direkt an der Oberfläche des Gesteins, die Gold aufwog, sobald erst Fabriken das Land überzogen; ganz zu schweigen von den anderen kleinen Unternehmungen, die als Zwischenakte dienen würden, die Gründung von Banken, Kartelle für die aufblühenden Industrien, die Ausbeutung der weiten Wälder des Libanon, dessen riesige Bäume an Ort und Stelle verfaulen, weil es an Straßen fehlt. Schließlich kam Saccard auf den großen Bissen zu sprechen, die Gesellschaft der Orient-Eisenbahnen, und da begann er irre zu reden, denn dieses Eisenbahngeflecht, gleich einem Fischernetz über ganz Kleinasien geworfen, bedeutete für ihn die Spekulation, das Leben des Geldes, das sich auf einen Streich dieser alten Welt bemächtigte wie einer neuen, noch unberührten Beute von unschätzbarem Reichtum, die unter der Unwissenheit und dem Schmutz der Jahrhunderte verborgen lag. Er witterte den Schatz, er wieherte wie ein Streitroß beim Geruch des Schlachtfeldes.
Frau Caroline, die einen so rechtschaffenen gesunden Menschenverstand besaß und sich für gewöhnlich allzu hitzigen Einbildungen gegenüber ablehnend verhielt, ließ sich dennoch von dieser Begeisterung hinreißen, sah nicht mehr klar, wie übertrieben alles war. In Wahrheit schmeichelte das ihrer Leidenschaft für den Orient, ihrer Sehnsucht nach diesem wunderbaren Land, in dem sie sich glücklich gewähnt hatte; und unbeabsichtigt peitschte Frau Caroline als logisches Ergebnis mit ihren farbigen Schilderungen, ihren überströmenden Auskünften Saccards Erregung höher und höher. Wenn sie von Beirut sprach, wo sie drei Jahre gelebt hatte, fand sie kein Ende mehr: Beirut am Fuße des Libanon, auf seiner Landzunge zwischen Strand aus rotem Sand und Felsmassen gelegen, Beirut mit seinen Häusern inmitten ausgedehnter Gärten in einem terrassenförmig ansteigenden weiten Rund – welch köstliches, mit Palmen, Orangen- und Zitronenbäumen bepflanztes Paradies. Dann die Küstenstädte, im Norden Antiochia mit seiner versunkenen Pracht, im Süden Saida, das alte Sidon, Akka, Jaffa und Tyrus, das heutige Sur, in dem man von allen anderen Städten etwas wiederfindet, Tyrus, dessen Kaufleute Könige gewesen waren, dessen Seefahrer Afrika umschifft hatten und das heute mit seinem versandeten Hafen nur noch ein Ruinenfeld ist, Staub der Paläste, aus dem sich hier und da ein paar elende Fischerhütten erheben. Sie hatte ihren Bruder überallhin begleitet, sie kannte Aleppo, Angora, Brussa, Smyrna und auch Trapezunt; einen Monat lang hatte sie in Jerusalem gelebt, das im Schacher um die heiligen Stätten entschlummert war, dann zwei weitere Monate in Damaskus, der Königin des Orients, der Industrie- und Handelsstadt, die die Karawanen aus Mekka und Bagdad zu einem Zentrum pulsierenden Lebens machen. Sie kannte auch die Täler und die Gebirge, die Dörfer der Maroniten45 und Drusen46 auf den Hochebenen und in der Tiefe der Schluchten, die bebauten Äcker und die ausgedörrten Felder. Und aus den entlegensten Winkeln, den stummen Einöden wie aus den Großstädten hatte sie die gleiche Bewunderung für die unerschöpfliche, die üppig wuchernde Natur und den gleichen Zorn auf die stumpfsinnigen, bösen Menschen mitgebracht. Wie viele Reichtümer der Natur wurden hier verschmäht oder verschleudert! Sie sprach von den Lasten, die Handel und Industrie zum Erliegen bringen, von diesem schwachsinnigen Gesetz, welches verbietet, in der Landwirtschaft Kapital über eine bestimmte Höhe hinaus zu investieren, und vom althergebrachten Schlendrian, der in den Händen des Bauern den Pflug beläßt, dessen man sich schon vor Christi Geburt bediente, und von der Unwissenheit, in der diese Millionen Menschen noch heute verkommen, gleich idiotischen, in ihrem Wachstum zurückgebliebenen Kindern. Früher war die Küste zu klein, die Städte berührten einander; jetzt hat sich das Leben ins Abendland verzogen, es scheint, als ginge man über einen ungeheuren verlassenen Friedhof. Keine Schulen, keine Straßen, die übelsten Regierungen, eine bestechliche Justiz, ein abscheuliches Verwaltungspersonal, allzu drückende Steuern, absurde Gesetze, Faulheit, Fanatismus, ganz zu schweigen von den