Unvergängliches Blut - Sammelband. S.C. Keidner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S.C. Keidner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748595472
Скачать книгу
und den Berg hinauf zu nehmen, all die Krieger, Wächter und Sklaven wiederzusehen.

      Die kleine Rodica. Er konnte kaum glauben, dass diese schöne junge Frau das schlaksige Mädchen sein sollte, das er vor vier Wintern zuletzt gesehen hatte. Oder das verstörte Kind, das Vidar und er an jenem schicksalhaften Regentag nach D’Aryun gebracht hatten. Sie hatte ihre Scheu damals rasch verloren und war ihm wie ein Welpe überallhin gefolgt, erfuhr eine Nähe zur Fürstenfamilie wie sonst kein Sklave. Er, zu der Zeit ein Knappe von vierzehn Wintern und stolz darauf, ihr Leben gerettet zu haben, hatte ihre Heldenverehrung genossen. Inzwischen hatte er Schlachten geschlagen und genug getötet, um zu wissen, dass es kein Heldentum gab.

      Er nahm einen Schluck Wein. Ob sie schon Blutsklavin geworden war? Vater sah sie dafür vor, aber es war Usus bei den D’Aryun, dass nur Erwachsene Blutdienst leisteten. Sie musste jetzt siebzehn oder achtzehn Winter alt sein, also fast erwachsen. Natürlich wusste sie, was Vater mit ihr plante und hatte erlebt, wie Vampire sich nährten, was bei den D’Aryun über das Handgelenk und niemals am Hals erfolgte. Vater behandelte die Sklaven streng, aber gerecht, und verlangte, dass sie ihre Aufgaben gewissenhaft erledigten. Sie fürchteten die Vampire nicht. Bei anderen Stämmen kam es vor, dass Sklaven schlecht behandelt wurden. Vater duldete so etwas nicht.

      Maksim sprang auf und begann, rastlos im Raum umherzugehen. Der Aufenthalt bei den Arrajk’ag hatte ihm viele neue Ideen vermittelt. Zelinkan schwebte das Ende des Blutsklaventums vor. Er verwies auf den uralten Brauch der Blutdienerschaft, menschliche Familien, die gegen Bezahlung mit den Vampiren lebten und sie mit Blut versorgten. Das war, bevor einige der ärmeren Stämme auf die Idee kamen, Menschen zu versklaven. Wozu für Blut zahlen, wenn man es sich einfach nehmen konnte? Mit der Sklaverei setzte die Flucht der Menschen aus den Bergen ein. Die anderen Stämme wurden gezwungen, ebenfalls zu Sklavenhaltern zu werden, um den Zugang zu Blut nicht zu verlieren. Es war ein Teufelskreis, der dazu führte, dass es immer weniger Menschen im Gebirge gab. Sie flohen in die Städte, wohin ihnen die Vampire nicht folgen konnten, ohne von der Sonne verbrannt zu werden. Die Berge wurden im Westen und Norden von den Grasländern umschlossen, die man durchqueren musste, um zu den Städten der Menschen zu gelangen. Unterschlüpfe wie Höhlen gab es in den Grasländern nicht und so waren sie ein unüberwindbares Hindernis für die Stämme. Die Vampire richteten ihr Augenmerk daher auf das Niemandsland zwischen der Westflanke des Gebirges und den Grasländern, wo es Dörfer und Weiler der Menschen gab. Aber es war mehr als fraglich, ob die Menschen dortblieben, wenn die Vampire sie jagten und versklavten.

      Wie man es auch drehte und wendete, würde den Vampiren das Menschenblut ausgehen, es sei denn, sie schafften die Sklaverei ab und streckten den Menschen die Hand der Freundschaft entgegen. Taten sie dies nicht, hätte es katastrophale Folgen: Ein Gebirge voller Vampire, alle auf der verzweifelten Suche nach Blut, um ihre Unsterblichkeit zu erhalten. Ihr Organismus verlangte danach, zwang sie, es zu trinken. Bekamen sie es nicht, wurden sie wahnsinnig und starben qualvoll.

      Überhaupt: Welche Stärke konnte man erreichen, wenn Vampire und Menschen gleichberechtigt waren! Ihm schwebten Menschenkrieger vor, die tagsüber kämpfen konnten. Späher, die nicht gezwungen waren, sich vor der Sonne zu verstecken. Diener, die wie früher gegen Lohn Blut gaben. Menschen und Vampire konnten sich ergänzen, die Schwächen des einen waren die Stärken des anderen.

      Er blieb mit dem Rücken zum Kamin stehen, nahm den letzten Schluck Wein. Hoffentlich konnte er Vater überzeugen, der sich gute Chancen ausrechnete, zum nächsten Herrscher über die Stämme gewählt zu werden. Nachdem Zoltan Lu’sin, der bisherige Regent, bei einem Duell enthauptet worden war und keinen Erben hinterließ, ging es bei dem Treffen der Stammesfürsten um seine Nachfolge. Falls Vater Herrscher würde, dann hätte er, Maksim, die besten Voraussetzungen, seine Ideen zu verwirklichen.

      Er stellte kopfschüttelnd den Becher ab. All dies waren Gedankenspiele und ohne dass sie gesprochen hatten, konnte er keine Pläne schmieden. Vater würde nicht auf alle seine Vorschläge eingehen. Er war der Sklaverei nicht abgeneigt, befand die Gesetze so, wie sie waren, für gut und setzte sie durch. Doch Maksim war sicher, dass Vater die Notwendigkeit der Änderungen im Umgang mit den Menschen einsehen würde.

      Kapitel 3

      Alaric D’Aryun kehrte einige Nächte später zurück. Er hieß alle Bewohner der Festung sich in der Halle, deren Decke aus dunklen Holzbohlen von geweißten Pfeilern getragen wurde, zu versammeln. In einer kurzen Ansprache teilte er ihnen mit, dass er zum Herrscher über die Stämme gewählt worden war und die Insignien der Macht, den Stab, den Ring und die Kette des Herrschers, an sich genommen hatte. Dies bedeute, dass mehr Stammesfürsten als bisher zu Besuch auf die Festung kämen und der Rat der Stämme fortan hier tagen würde. Man solle den Besuchern mit Höflichkeit begegnen und ihnen helfen, sich zurechtzufinden.

      Emese schimpfte vor sich hin, als Rodica und sie sich nach der Versammlung in ihr Quartier im hinteren Teil des Wohntrakts zurückzogen. »Das bedeutet so viel mehr an Arbeit! Als ob wir nicht schon genug zu tun hätten!« Sie begann, ihren Arbeitskittel aufzuknöpfen. »Und einige dieser Fürsten sind mir nicht geheuer! Rodica, du wirst dich von ihnen fernhalten. Du arbeitest sowieso in der Küche und den Ställen, da sollte es einfach sein, ihnen aus dem Weg zu gehen.«

      »Wieso soll ich mich von den Fürsten fernhalten?«, fragte Rodica erstaunt, die schon plante, sich diese Vampire genauer anzusehen.

      Emese schüttelte unwillig den Kopf. »Es gibt Fürsten, die einen schlechten Ruf haben. Sie misshandeln Sklaven und zwingen Frauen, ihnen zu Willen zu sein. Ich will nicht, dass du in ihre Nähe kommst!«

      »Aber ich soll doch Blutsklavin werden! Wie soll ich es da vermeiden, in ihre Nähe zu kommen?«

      »Ich werde mit dem Herrn sprechen. Und ihn bitten, dass du nicht zu den Besuchern gehen sollst, nur zu Vampiren des Stammes D’Aryun. Und vielleicht können wir deine Ernennung zur Blutsklavin hinauszögern. Noch bist du nicht erwachsen!«

      »Aber ‒.«

      »Kein Aber. Ich werde mit dem Herrn sprechen.«

      Kapitel 4

      Emeses Gespräch mit Alaric war nicht von Erfolg gekrönt. Er hatte sich ihre Bedenken mit ernster Miene angehört und gesagt: »Ich verstehe dich, Emese. Aber Rodica wird Blutsklavin. Sie war vier, vielleicht fünf Winter alt, als Maksim sie fand, also ist sie jetzt alt genug, um diese Pflicht zu übernehmen. Wir müssen sicherstellen, dass genug Blutsklaven zur Verfügung stehen. Ich werde bei der ersten Sitzung des Rats aber darauf hinweisen, dass ich Belästigungen oder gar Gewalt gegenüber Sklaven nicht dulden werde. Sag Rodica, dass sie ab sofort Blut geben wird. Dann kann sie sich noch vor Ankunft der Räte an ihre neue Aufgabe gewöhnen.« So war Emese nichts anderes übrig geblieben, als Rodica zu sagen, dass sie nun eine Blutsklavin war.

      Rodica war nervös, als man sie zum ersten Mal zum Blutdienst zur Schwester Alarics, Maksims Tante Delia, schickte. Es kam fast einer Enttäuschung gleich, wie schnell der Biss, von dem sie nur einen leichten Druck am Handgelenk verspürte, vorbei war.

      Delia lachte über ihr erstauntes Gesicht. »Was hast du dir vorgestellt? Blut zu geben ist nicht dramatisch.«

      »Es hat gar nicht wehgetan.« Rodica betrachtete die beiden punktförmigen Wunden in ihrer Haut fasziniert. »Und es blutet kaum.«

      »Ja, ich sorge mit meinen Geisteskräften dafür, dass du nichts spürst. Und der Speichel eines Vampirs trägt dazu bei, dass sich die Wunden schnell schließen.« Delia runzelte die Stirn. »Ich möchte etwas mit dir besprechen. Setz dich bitte.«

      Rodica nahm auf einem der Sessel Platz. Delias Wohngemach war einfach, aber gemütlich eingerichtet. Auf dem Fußboden lag ein bunter Teppich. Mehrere bequeme Sessel standen vor dem lodernden Kaminfeuer. Es gab ein Schreibpult mit einem zierlichen Stuhl davor, auf dem Delias getigerte Katze schlief. Dicke Wandbehänge verhinderten Zugluft. Öllampen spendeten Licht und das Fenster, mit Glas versehen, gab den Blick frei auf die im nächtlichen Dunkel liegenden Gebirgszüge, über denen der volle Mond stand. Delia hatte gelesen, als Rodica kam, und das in Leder gebundene Buch lag