Diez Hermanas. Georg Vetten. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Vetten
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748543237
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wurde nun hoch gedimmt, ein tagheller Spot erleuchtete die Bühne. Die Band räumte ihr Equipment zur Seite, um der folgenden Rednerin Platz zu machen.

      

      Steve:

      Als ich sie sah, traf mich der Schlag! Vor mir auf der Bühne, zum Greifen nah, stand eine blondierte Griechin. Als Erstes fielen mir ihre Lippen ins Auge. Wie Julia Roberts, schoss es mir durch den Kopf. Sie lächelte ein wenig unsicher. Ein Lächeln, das von einem zum anderen Ohr reichte. Sie trug einen hellroten Lippenstift. Ihre hellblau-grauen Augen, denen eines Huskys in ihrer Intensität um nichts nachstehend, funkelten in einer Tiefe, die ich nie für möglich gehalten hätte. Ein Perlmutt schimmernder Lidschatten unterstrich die Intensität ihres Blickes. Die Augenbrauen waren sichelartig gezupft. Sie war nicht groß, vielleicht 1,70. Ihr mediterraner Teint war mit einigen Sommersprossen durchsetzt, die ihr etwas sehr Frisches und Jugendliches verliehen. Doch so ganz taufrisch war sie augenscheinlich nicht mehr. Ich entdeckte die ersten Krähenfüße in ihren Augenwinkeln. Das halblange, blondierte Haar, hatte sie hinter die Ohren gesteckt. Sie trug goldene Blattohrringe. Ich war wie gebannt. Selbst ihr teurer Businessfummel konnte mich nicht abschrecken. Sie trug ein blaues Kostüm, eine weiße Bluse und hautfarbene Nylonstrümpfe. Darunter zeichnete sich eine sehr weibliche Figur ab.

      Sie brauchte eine Minute um sich zu sammeln. Dann räusperte sie sich. Sie stellte sich als Adriana vor und nach den üblichen Begrüßungsfloskeln, folgte Klartext:

      »Weltweit verschwinden jeden Tag Hunderte von Kindern und tauchen nie wieder auf. Und das ist nicht nur ein Phänomen, das sich auf Kontinente wie Afrika, Asien oder Südamerika beschränkt. Nein, auch bei uns, in der westlichen Welt, verschwinden täglich Kinder. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie das ist.« Ihre Stimme stockte, sie räusperte sich und fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar. »Meine beiden Kinder Damian und Penelope wurden zusammen mit fünfzehn weiteren Kindern vor etwas mehr als drei Monaten aus einem Kindergarten in der Nähe von Thessaloniki entführt. Ich weiß, dass es einigen hier im Saal genauso ergangen ist. Dass sie auf der Suche nach ihren Kindern sind. Zehn Nationalitäten sind heute vertreten – und damit die Sprache kein Verständigungsproblem wird, habe ich Dolmetscher engagiert. Ich möchte ein umfassendes Netzwerk und eine Datenbank aufbauen, damit wir uns organisieren können. Jeder von uns ist verzweifelt, und wenn die Behörden das Problem ignorieren, so müssen wir zur Selbsthilfe übergehen. Dazu ist der Abend gedacht. Abschließend möchte ich mich noch bei der Band bedanken, die auf Bitte unserer Leidensgenossin Barbara, heute Abend ohne Gage aufgetreten ist.«

      

      Im Anschluss fanden sich die Betroffenen zu kleinen Gruppen zusammen und diskutierten engagiert.

      Adriana gesellte sich zur Band.

      »Noch einmal persönlich, herzlichen Dank!« Ihr Englisch klang gebrochen.

      Sie ist voller Tatendrang und voller Stolz, eine Powerfrau, dachte Sibel. Sie beobachtet, wie Steve und Adriana sich die Hände reichten. Hoppla, da funkt‘s aber gewaltig, war ihr erster Gedanke. So hatte sie Steve noch nie erlebt. Er hatte mit einmal diesen unbeholfenen Ausdruck, den sie von Mikel kannte. Doch auch Adriana schien beeindruckt. Sie lächelte von einem Ohr zum anderen und zeigte dabei ihre strahlend weißen Zähne.

      Mit steigendem Interesse, beobachtete Sibel den Funkenflug zwischen Adriana und Steve. Der coole Typ lässt tatsächlich die Maske fallen, grinste sie still in sich hinein.

      »Ich bin ihnen auf der Spur!« In Adrianas Augen stieg ein bedrohliches Funkeln. »Und ich werde nicht eher Ruhe geben, bis ich Gewissheit habe, was mit meinen Kindern geschehen ist. Sie sind diesem Ring zum Opfer gefallen, da bin ich sicher. Genauso wie ich mir sicher bin, dass Damian und Penelope noch leben!«

      Sibel hielt den Atem an.

      »Von welchem Ring sprichst du?«

      »Sie sind organisiert. Ich denke, dieser Kinderhändlerring verkauft die entführten Kinder weltweit an elternlose Supereiche.«

      »Oder missbraucht sie für eigene Interessen«, warf Sibel ein. »Doch wie und wem willst du auf der Spur sein?«

      »Mein Onkel Sirius ist Chef bei der E.Y.P.«

      »E.Y.P., was ist das?«, mischte sich nun Steve in das Gespräch ein. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Augen von Adriana zu lassen. »Das ist die Bezeichnung für den griechischen Geheimdienst, besser bekannt unter der englischsprachigen Bezeichnung N.I.S. Das steht für National Intelligence Service. Mein Onkel Sirius hat mich einen Blick auf seinen Schreibtisch werfen lassen. Ich habe mir Zugang zu geheimen Dossiers verschafft. In Europa soll es eine zentrale Sammelstelle geben. Alle Spuren führen nach Italien, nach Ponte di Legno. Dort, in der Lombardei, an der Grenze zu den Provinzen Sondrio und Trentino soll es ein Lager geben – gut versteckt in den Alpen, Richtung Bozen. Es gibt allerdings untrügliche Anzeichen, dass auch ein Lager in der Nähe Londons existiert.« Adriana strich die Haare hinter die Ohren und schaute nachdenklich.

      »Was hast du vor?«

      »Sibel, was wir brauchen, ist Öffentlichkeit. Ich werde denen auf die Pelle rücken. Ich (sie stockte) will (erneutes Stocken) meine Kinder zurück!«

      Zum ersten Mal an diesem Abend zeigte Adriana so etwas wie Schwäche. Sie biss sich auf die Lippen, um einen Schluchzer zu unterdrücken.

      »Wie können wir dir helfen?« Sibel legte eine Hand auf ihre Schulter.

      »Helft mir dabei, Augen und Ohren offen zu halten. Ich brauche Leute, die mir dabei helfen die Großräume der Flughäfen unter die Lupe zu nehmen. Kommt es dort zum Beispiel irgendwo zu regelmäßigen Großeinkäufen, abweichend von den bekannten Abnehmern. Einkäufe, die darauf schließen lassen, dass eine größere Gruppe außerplanmäßig versorgt wird. Der kleinste Hinweis könnte wichtig sein. Und wie sieht die Situation in den Heimen, Krankenhäusern und Kliniken aus. Gibt es verschlossenen Stationen, hinter deren Türen unbekannte Gruppen untergebracht sind?«

      »Heime, Krankenhäuser«, murmelte Sibel.

      »Ich möchte hier ein Netzwerk aufbauen!«

      »Du kannst auf mich zählen«, murmelte Sibel und wandte sich dann zur Überraschung aller schnell ab. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und wählte mit verbissener Miene eine Nummer.

      »Was ist los? Wo willst du hin? Wen rufst du an?« Mikel war ihr nachgeeilt.

      »Ich versuche, Bob zu erreichen. Nach dem Anruf aus der Klinik habe ich nichts mehr von ihm gehört.« Sibel hob beunruhigt eine Augenbraue und fixierte Mikel. »Was soll ich tun, wenn er sich nicht meldet? Er geht schon wieder nicht ran!« Mit verstörter Miene ließ Sibel das Handy in die Seitentasche des offenstehenden Kapuzenpullovers gleiten.

      »Hey ihr beiden Turteltäubchen!« Steve grinste und rieb sich die Hände.

      »Was haltet ihr davon, wenn wir noch zu uns fahren? Adriana würde sich gerne anschließen.«

      Gute Idee, hatte Mikel geantwortet. Sibel nickte zustimmend. Zehn Minuten später verließen sie den Klub. Es nieselte. Sibel schlotterte. Sie schlugen die Kragen ihrer Mäntel und Jacken gegen die Kälte hoch und zogen die Schultern ein, unschlüssig, ob sie nach einem Taxi Ausschau halten sollten.

      »Lasst uns bis zur nächsten Station laufen«, hatte Steve schließlich vorgeschlagen und war dabei Adriana nicht von der Seite gewichen. Die beiden hätten gegensätzlicher nicht sein können. Doch augenscheinlich zogen sie sich wie gegenpolige Magnete an.

      Sie gingen nebeneinander her und schwiegen. Das Quietschen und Klackern der Sohlen und Absätze auf den verwitterten Gehwegplatten waren die einzigen Geräusche, die an ihre Ohren drangen. Die Stadt schien wie ausgestorben. Bei diesem Scheißwetter, kein Wunder, dachte Sibel. Schließlich durchbrach Mikel das Schweigen, als er einem einsamen Straßenverkäufer, der vor dem stärker werdenden Regen Schutz in einem Hauseingang gesucht hatte, die aktuellste Ausgabe des Mirror aus der Hand pflückte.

      »Mal schauen, was es Neues bei den Gunners gibt«, feixte Mikel um die Stimmung ein wenig aufzulockern und wischte