Wege zu sich selbst. Marc Aurel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marc Aurel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783748565178
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Sinn, Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe zu bewundern. Er machte mich mit Thraseas, Helvidius, Cato, Dio und Brutus bekannt und führte mich zu dem Begriff eines Staates, in welchem alle Bürger gleich sind vor dem Gesetz, und einer Regierung, die Nichts so hoch hält als die bürgerliche Freiheit. Ausserdem blieb er, um Anderes zu übergehen, in der Achtung vor der Philosophie sich immer gleich; war wohlthätig, ja in hohem Grade freigebig; hoffte immer das Beste und zweifelte nie an der Liebe seiner Freunde. Hatte er Etwas gegen Jemand, so hielt er damit nicht zurück, und seine Freunde hatten niemals nöthig, ihn erst auszuforschen, was er wollte oder nicht wollte, weil es offen am Tage lag.

      15. Von Maximus konnte ich lernen, mich selbst beherrschen, nicht hin- und herschwanken, guten Muthes sein in misslichen Verhältnissen oder in Krankheiten, auch wie man in seinem Benehmen Weisheit mit Würde verbinden muss, und an ein Werk, das rasch auszuführen ist, doch nicht unbesonnen gehen darf. Von ihm waren Alle überzeugt, dass er gerade so dachte wie er sprach, und was er that, in guter Absicht that. Etwas zu bewundern oder sich verblüffen zu lassen, zu eilen oder zu zögern, rathlos zu sein und niedergeschlagen oder ausgelassen in Freude oder Zorn oder argwöhnisch – das Alles war seine Sache nicht. Aber wohlthätig zu sein und versöhnlich, hielt er für seine Pflicht. Er hasste jede Unwahrheit und machte so mehr den Eindruck eines geraden als eines feinen Mannes. Niemals hat sich Einer von ihm verachtet geglaubt; aber ebensowenig wagte es Jemand, sich für besser zu halten als er war. Auch wusste er auf anmuthige Weise zu scherzen.

      16. Mein Vater hatte in seinem Wesen etwas Sanftes, aber zugleich auch eine unerschütterliche Festigkeit in dem, was er gründlich erwogen hatte. Er war ohne Ehrgeiz hinsichtlich dessen, was man gewöhnlich Ehre nennt. Er arbeitete gern und unermüdlich. Wer mit Dingen kam, die das gemeine Wohl zu fördern versprachen, den hörte er an und versäumte es nie, einem Jeden die Anerkennung zu zollen, die ihm gebührte. Wo vorwärts zu gehen und wo einzuhalten sei, wusste er. Er war herablassend gegen Jedermann; erliess den Freunden die Pflicht, immer mit ihm zu speisen oder, wenn er reiste, mit ihm zu gehen; und stets blieb er sich gleich auch gegen die, die er nothgedrungen zu Hause liess. Seine Erörterungen in den Rathsversammlungen waren stets von grosser Genauigkeit, und er hielt aus und begnügte sich nicht mit Ideen, die auf der flachen Hand liegen, blos um die Versammlung für geschlossen zu erklären. Er war sorgsam bemüht, sich seine Freunde zu erhalten, wurde ihrer niemals überdrüssig, verlangte aber auch nicht heftig nach ihnen. Er war sich selbst genug in allen Stücken und immer heiter. Er hatte einen scharfen Blick für das, was kommen würde, und traf für die kleinsten Dinge Vorbereitungen ohne Aufhebens zu machen, so wie er sich denn überhaupt jedes Beifall rufen und alle Schmeicheleien verbat. Was seiner Regierung nothwendig war, darüber wachte er stets, ging mit den öffentlichen Geldern haushälterisch um, und liess es sich ruhig gefallen, wenn man ihm darüber Vorwürfe machte. – Den Göttern gegenüber war er frei von Aberglauben, und was sein Verhältniss zu den Menschen betrifft, so fiel es ihm nicht ein um die Volksgunst zu buhlen, dem grossen Haufen sich gefällig zu erzeigen und sich bei ihm einzuschmeicheln, sondern er war in allen Stücken nüchtern, besonnen, taktvoll und ohne Sucht nach Neuerungen. Von den Dingen, die zur Annehmlichkeit des Lebens beitragen – und deren bot ihm das Glück eine Menge dar – machte er ohne zu prunken, aber auch ohne sich zu entschuldigen Gebrauch, so dass er, was da war, einfach nahm, was nicht da war, auch nicht entbehrte. Niemand konnte sagen, dass er ein Krittler, oder dass er ein gewöhnlicher Mensch oder ein Pedant sei, sondern man musste ihn einen reifen, vollendeten, über jede Schmeichelei erhabenen Mann nennen, der wohl im Stande sei, sich und Andern vorzustehen. Ausserdem: die ächten Philosophen schätzte er sehr, liess aber auch die Andern unangetastet, obschon er ihnen keinen Einfluss auf sich verstattete. In seinem Umgange ferner war er höchst liebenswürdig und witzig, ohne darin zu übertreiben. In der Sorge für seinen Leib wusste er das rechte Mass zu halten, nicht wie ein Lebenssüchtiger oder wie Einer, der sich schniegelt oder sich vernachlässigt; sondern er brachte es durch die eigene Aufmerksamkeit nur dahin, dass er den Arzt fast gar nicht brauchte und weder innere noch äussere Mittel nöthig hatte. – Vor Allem aber war ihm eigen, denen, die wirklich Etwas leisteten, sei's in der Beredtsamkeit oder in der Gesetzeskunde oder in der Sittenlehre oder in irgend einer anderen Disciplin, ohne Neid den Vorrang einzuräumen und sie wo er konnte zu unterstützen, damit ein Jeder in seinem Fache auch die nöthige Anerkennung fände. Wie seine Vorfahren regiert, so regierte er auch, ohne jedoch die Meinung hervorrufen zu wollen, als wache er über dem Althergebrachten. Er war nicht leicht zu bewegen oder von Etwas abzubringen, sondern wo er gerade war und wobei, da pflegte er auch gern zu bleiben. Nach den heftigsten Kopfschmerzen sah man ihn frisch und kräftig zu den gewohnten Geschäften eilen. Geheimnisse pflegte er nur äusserst wenige und nur in seltenen Fällen zu haben und nur um des gemeinen Wohles willen. Verständig und mässig im Anordnen von Schauspielen, von Bauten, von Spenden an das Volk und dergl. mehr, zeigte er sich als ein Mann, der nur auf seine Pflicht sieht, um den Ruhm aber sich nicht kümmert, den seine Handlungen ihm verschaffen können. – Er badete nur zur gewöhnlichen Stunde, liebte das Bauen nicht, legte auf das Essen keinen Werth, auch nicht auf Kleider und deren Stoffe und Farben, noch auf schöne Sklaven. Seine Kleider liess er sich meist aus Lorium, dem unteren Landgute, oder aus Lanubium kommen und bediente sich dazu des Generalpächters in Tusculum, der ihn um diesen Dienst gebeten hatte. – In seiner ganzen Art zu sein war nichts Unschickliches oder gar Schamloses oder auch nur Gewaltsames oder was man sagt: »bis zur Hitze«, sondern Alles war bei ihm wohl überdacht, ruhig, gelassen, wohl geordnet, fest und mit sich selbst im Einklang. Man könnte auf ihn anwenden, was man vom Sokrates gesagt hat, dass er sowohl sich solcher Dinge zu enthalten im Stande war, deren sich Viele aus Schwachheit nicht enthalten können, als auch dass er geniessen durfte, was Viele darum nicht dürfen, weil sie sich gehen lassen. Das Eine gründlich vertragen, und in dem Andern nüchtern sein, das aber ist die Sache eines Mannes von starkem, unbesieglichem Geiste, wie er ihn z.B. auch in der Krankheit des Maximus an den Tag gelegt hat. –

      17. Den Göttern habe ich's zu danken, dass ich treffliche Vorfahren, treffliche Eltern, eine treffliche Schwester, treffliche Lehrer, treffliche Diener und fast lauter treffliche Verwandte und Freunde habe, und dass ich gegen keinen von ihnen fehlte, obgleich ich bei meiner Natur leicht hatte dahin kommen können. Es ist eine Wohlthat der Götter, dass die Umstände nicht so zusammentrafen, dass ich mir Schande auflud. Sie fügten es so, dass ich nicht länger von der Maitresse meines Grossvaters erzogen wurde; dass ich meine Jugendfrische mir erhielt und dass ich meinen fürstlichen Vater unterthan war, der mir allen Dünkel austreiben und mich überzeugen wollte, man könne bei Hofe leben ohne Leibwache, ohne kostbare Kleider, ohne Fackeln, ohne gewisse Bildsäulen und ähnlichen Pomp, und dass es sehr wohl anginge, sich soviel als möglich bürgerlich einzurichten, wenn man dabei nur nicht zu demüthig und zu sorglos würde in Erfüllung der Pflichten, die der Regent gegen das Ganze hat. – Die Götter haben mir einen Bruder gegeben, dessen sittlicher Wandel mich antrieb, auf mich selber Acht zu haben, und dessen Achtung und Liebe gegen mich mich glücklich machten. – Sie haben mir Kinder gegeben, die nicht ohne geistige Anlagen sind und von gesundem Körper. – Den Göttern verdanke ich's, dass ich nicht weiter kam in der Redekunst und in der Dichtkunst und in den übrigen Studien, welche mich völlig in Beschlag genommen haben würden, wenn ich gemerkt hätte, dass ich gute Fortschritte machte. Ebenso dass ich meine Erzieher frühzeitig schon so in Ehren hielt, wie sie's zu verlangen schienen, und ihnen nicht blos Hoffnung machte, ich würde das später thun, indem sie zu der Zeit ja noch so jung seien. Ferner, dass ich Appollonius, Rusticus und Maximus kennen lernte; dass ich das Bild eines naturgemässen Lebens so klar und so oft vor der Seele hatte, dass es nicht an den Göttern und an den Gaben, Hilfen und Winken, die ich von dorther empfing, liegen kann, wenn ich an einem solchen Leben gehindert worden bin; sondern wenn ich's bisher nicht geführt habe, muss es meine Schuld sein, indem ich die Erinnerungen der Götter, ich möchte sagen, ihre ausdrücklichen Belehrungen, nicht beherzigte. Den Göttern verdanke ich's, dass mein Körper ein solches Leben so lange ausgehalten hat; – dass ich weder die Benedicta noch den Theodot berührt habe, und dass ich später überhaupt von dieser Leidenschaft genas; dass ich in meinem heftigen Unwillen, den ich so oft gegen Rusticus empfand, Nichts weiter that, was ich hätte bereuen müssen; und dass meine Mutter, der ein früher Tod beschieden war, doch noch ihre letzten Jahre bei mir leben konnte. Auch fügten sie's, dass ich, so oft ich einen Armen oder sonst Bedürftigen unterstützen wollte, nie hören durfte, es fehle mir an den hierzu erforderlichen Mitteln, und dass ich