Am Rande des Eises. Reinhard Heilmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Heilmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748558460
Скачать книгу
beinahe furchtlos sie der anscheinend ausweglosen Situation entronnen war.

      Alle lachten zuerst, wurden dann aber doch nachdenklicher und schauten sich vorsichtig um. So ein Höhlenbär war ungleich gefährlicher als eine Horde Wisente oder ein Mammut, denn er war enorm wendig, schnell und trickreich und kannte die Wirkung seiner gezielten Tatzenhiebe offensichtlich sehr genau.

      Andererseits: wo ein Höhlenbär war, musste auch irgendwo eine Höhle sein und das höchstens im Umkreis von wenigen Kilometern, möglicherweise nur ein, zwei Tagesmärsche entfernt. Und der Stamm suchte sowieso wieder eine neue Höhle für den kommenden Winter, da die alte, die man noch bis zum Frühjahr benutzt hatte, teilweise eingestürzt, jedenfalls nicht mehr sicher genug war. Was lag näher, als das Gute aus dieser Begegnung zu ziehen und den Spuren des Bären zu folgen, um so vielleicht ein neues Winterquartier zu finden?

      Es würde nicht einfach werden, den Bären daraus zu vertreiben, mit ziemlicher Sicherheit musste man ihn sogar töten, was dann allerdings wiederum Fleisch, Fett und ein begehrtes Winterfell bedeutete.

      Die Vier beschlossen, erst einmal wieder zum Lager zurückzukehren und das ganze mit Widur, dem Stammeshäuptling, zu besprechen und das ganze im Altenrat zu diskutieren, denn immerhin waren wenigstens sechs Jäger dazu notwendig, diesem Meister Petz für vielleicht länger als nur ein paar Tage zu folgen, bevor er wieder einmal zu seiner Höhle zurückkehrt. Und diese Leute würden fehlen beim Transport des Mammut, bei der Zubereitung und Konservierung des Fleisches und für die anderen Arbeiten; und zusätzlich mussten dann andere deren Plätze einnehmen, denn irgendwer musste ja schließlich den Stamm später wieder mit Fleisch versorgen.

      Es wollte alles gut überlegt und geplant sein und ohne die Erfahrungen und den reichen Wissensschatz der Alten und ohne deren oft genug weise Entscheidungen, konnte selbst Widur nichts ausrichten.

      Die Brüder markierten den Ort und die Richtung, in die der Bär nach Arams Schilderung davongetrottet war, prägten sich dessen markanten Prankenabdruck ein, den Meister Petz im feuchten Lehmboden am Bachufer hinterlassen hatte, - eine eindeutige Fährte, denn an einer Hinterpfote fehlte eine Zehe -, und marschierten zurück ins ‘Notlager’ auf der Lichtung.

      Am Nachmittag, als die Sonne immer noch hoch am Himmel stand und Bäume und Sträucher, Felsen und auch die Zelte des Stammes bereits wieder längere Schatten warfen, brach die Gruppe auf, die ausgewählt worden war, dem Bären zu folgen und dessen Höhle ausfindig zu machen.

      Die Alten waren schnell einig geworden, dass ihnen gar keine andere Wahl blieb, denn ein neues Winterquartier war überlebensnotwendig und es war nie zu früh, sich darum zu kümmern, immerhin konnten Wochen vergehen und das erste Laub konnte bereits gefallen sein, bis sich der Bär vielleicht bequemte und damit begann, seine Vorräte für den Winter in seine Höhle zu schaffen.

      Danach war dann die Frage zu lösen, den Bären vertreiben oder erlegen und wie? Denn das würde mit allen Vorbereitungen noch einmal einige Tage dauern und, wer weiß, wenn der Bär den ‘Braten’ roch, würde er sich vielleicht noch länger Zeit lassen, ehe er sich in einen Hinterhalt locken ließ.

      Also kein großes Palaver, der Jagdtrupp wurde eingeteilt und ausgerüstet, eine neue Gruppe wurde gewählt, die in der Zwischenzeit die Frischfleischbeschaffung übernehmen sollte und der Schamane Ugulus traf alle Vorbereitungen für das Zeremoniell, mit dem die Götter um Hilfe gebeten und denen für eine gute und erfolgreiche Mission der Jäger geopfert werden sollte.

      Für eine erfolgreiche Jagd war ein angemessenes Blutopfer notwendig und man entschied sich, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden und für die bevorstehende Reise, die wahrscheinlich in einer Jagd auf den Bären enden würde, eines der eingefangenen Wildpferde zu opfern, da ohnehin eines geschlachtet werden sollte, bevor der Glücksfall mit dem Mammut dazwischen gekommen war.

      Die Zeremonie wurde in der Anwesenheit aller, auch der Kinder und Frauen, zelebriert und so gesegnet und mit dem guten Geist der Götter versehen, konnten sich die sechs Jäger, Bilus, Roluf, Sögram, Tore, Fyne und Ragor auf den Weg machen.

      *

      Die Arbeit am Mammut machte sich nicht von alleine und so wurde es Zeit, wenn man noch vor Anbruch der Dämmerung mit dem Abstreifen des Felles, dem Schneiden der Fettschicht in Streifen und dem Portionieren fertig werden wollte, um am nächsten Tag mit dem Zerteilen und Entbeinen weiterzumachen.

      Die Arbeit musste sorgfältig getan werden, damit möglichst viele Teile im eiskalten Wasser des Maar am Grunde des Kraters zur Konservierung bis zum Herbst, wenn die Lufttemperaturen sowieso auf um die 0° Celsius sanken, aufgehoben werden konnten. Dazu mussten Teile der Haut über dem Muskelfleisch erhalten bleiben, damit man daraus Taschen nähen konnte, die mit dem Fleischstück verbunden blieben und in die man zum Beschweren Steine einnähen konnte; das hielt, so war die überbrachte Erfahrung vieler Generationen bereits, das Fleischstück trotz der Lufteinschlüsse in den Zellen von Muskeln, Gewebe und Knochen soweit unter Wasser, dass der Verwesungsprozess bei den niedrigen Wassertemperaturen nicht einsetzen und das Fleisch nicht faulen konnte. Und nicht zuletzt konnten sich keine ungebetenen Gäste wie Wolf, Luchs und Bär an den frischen Brocken bedienen.

      Salz zum Einpökeln, wie es bereits in den Mittelmeerregionen verwendet wurde, kannten die Leute dieses Stammes noch nicht.

      Und nur durch Zufall kam man Jahre später erst darauf, Fleisch und Fisch zu räuchern, um die Stücke für lange Zeit haltbar zu machen.

      Die Frauen nähten an den vorbereiteten Stücken geschickt mit Sehnen und Knochenahlen die hängengelassenen Hautlappen am Muskelfleisch fest und ließen nur gerade eine Öffnung zum Einfüllen der abgerundeten, etwa faustgroßen Steine übrig, die die Gletscher in ihren Endmoränen entgratet und gleichmäßig rund geschliffen zu Millionen liegengelassen hatten. Diese Steine waren so hervorragend als Gewichte geeignet, weil sie die Haut nicht durch scharfe Schlagkanten oder Spitzen und Grate verletzen konnten, wie es mit den sonst von den Männern als Werkzeuge und Waffenteile behauenen Steinen der Fall wäre; denn so ideal rund hätte man durch mechanische Bearbeitung von Hand so einen einzelnen Stein erst nur mit langwieriger und mühseliger Arbeit bekommen, wenn überhaupt.

      Die Dämmerung zog herauf und die Leute vom Krater zogen sich vor ihre Zelte zurück. Im allgemeinen kannten sie keine Eile; der Tagesrhythmus wurde durch den Sonnenauf- und -untergang bestimmt, durch das Wetter, durch Gefahren, die das Naturgeschehen für die Menschen mit sich brachte oder durch Beute suchende Tiere wie Höhlenlöwen, Luchs und Höhlenbär. Dann zog man sich einfach in die Schutz bietenden Behausungen zurück und wartete ab.

      Auch die Nacht bedeutete für die Menschen dieser Zeit eine gewisse Bedrohung, da man nicht in der Lage war, außer durch Beleuchtung im Zelt, der Hütte oder der Höhle, Licht zu erzeugen, mit dem man sich im Gelände hätte frei bewegen können. Es gab bereits Steinlampen, die neueste Errungenschaft, die man sich im vergangenen Sommer bei einem anderen, auf dem Weg in den Süden ziehenden Stamm abgeschaut hatte und die zusätzlich zu den Koch- und Heizfeuern für Licht sorgten; hierzu arbeitete man in flache Steine kleine Mulden, in die dann Fettstücke eingelegt wurden, die man anzündete. Aber diese Lampen waren sehr windempfindlich und taugten nicht für die Verwendung im Freien, es sei denn, es war völlig windstill, was allerdings durch die Temperaturausgleiche zwischen dem eisigen Nordteil und dem wärmeren Land etwas weiter südlich und durch die dadurch erzeugten Luftströmungen, den Wind, fast nie vorkam.

      Also zogen sie sich bei Einbruch der Dämmerung zurück und gingen den nächtlichen Gefahren so gut sie konnten aus dem Wege. Schlimm genug, wenn einer von ihnen nachts raus musste, weil ihn Darm oder Blase drückten.

      Und dann waren da noch die Geister der Nacht, der Dunkelheit und des Ungewissen, das man nicht greifen und nicht begreifen konnte; das waren unsolide Gesellen, immer zu irgendwelchem Schabernack und zu irgendwelchen groben Scherzen aufgelegt und denen begegnete man besser nicht.

      Und dann diese eigenartigen Erscheinungen, die man sich überhaupt nicht erklären konnte und die von Wesen geschaffen sein mussten, die Zauberer und Dämonen zugleich waren: wenn droben am Himmel, der kolkrabenschwarz war und wolkenlos, diese vielen Lichter oder Lagerfeuer zu sehen waren oder war hinter