„Teuerste, wo sind Sie nur mit Ihren Gedanken? Ihr habt Euren Kaffee noch gar nicht angerührt. Mundet er Ihnen nicht“, fragt Joseph mich freundlich und versucht über den Tisch meine Hand zu greifen, zieht aber diese zurück, da er sieht, dass ich meine Hände in meinem Schoss gefaltet habe.
Er ist mir immer mir immer noch fremd, wie er mir nur fremd sein kein, obwohl wir wenige Wochen nach unserer Hochzeit am 15. November gemäß der Tradition nach Klosterneuburg gefahren sind, um das Grab des österreichischen Landespatron, des heiligen Leopolds zu besuchen. Kaiser Karl VI., Josephs Großvater hatte Kloster und Kirche zu einem Escorial nach spanischem Vorbild ausbauen lassen. Er war in Spanien aufgewachsen gewesen und konnte den Verlust des Königreich Spaniens nur schwer verkraften. Im Angedenken an das Escorial baute er es zu einer vergleichbaren Klosterresidenz um, der Bau wurde jedoch nur zu einem viertel verwirklicht, nur zwei mit den Kronen der Habsburger geschmückte Kuppeln erinnern an den ehrgeizigen Plan von Josephs Großvater. Man sieht vom Escorial aus die Donau und das Wienerwaldgebirge. Joseph hatte seine Freude an dem Ausflug und war sehr stolz darauf, mir das Stift zu zeigen, dass sein Großvater erbauen ließ. Ich hab mir aber den Tod herbeigewünscht, denn es war alles so furchtbar nebelig und trist und ich habe mich schauderhaft schlecht gefühlt, was Joseph gar nicht zu bemerken schien.
Schon alleine seine Stimme und Sprache klingen steif und zugeknöpft, machen mich rasend und ich zwinge mich, ihm zuzuhören und ihn anzusehen, wie er mir am Frühstückstisch in unseren Gemächern in Schloss Schönbrunn gegenübersitzt, an seinem Kaffee nippt, mit Appetit sein Kipferl isst und mit mir plaudert. Ich sehe ihn an, höre ihm zu und sehe durch ihn hindurch, ein strahlendes Lächeln aufsetzend. Er ist mir nicht nur gleichgültig, ich empfinde Verachtung für seine linkischen Liebesbeweise. Ich denke schaudernd daran, wie er mich gestern Nacht bestiegen hat und die Nächte davor. Es hat so furchtbar weh getan, dass ich immer froh war, wenn es endlich vorbei war und er sich von mir abgerollt hat. Ich habe nicht das geringste bisschen Lust verspürt und ich konnte es nur ertragen, in dem ich mir ausmalte, dass ich es mit Marie Christine tun würde. Nur dann bin ich ein kleines bisschen nass zwischen den Schenkeln geworden.
Aber das ist eine Sünde, eine große Sünde, das darf ich nicht denken und fühlen und erst recht nicht fühlen wollen.
Ich sehe durch meinen Mann hindurch und stelle mir vor, Marie Christine würde mir beim Frühstück gegenüber sitzen. Ich würde mit großem Appetit mein Kipferl essen, denn die Kipferln sind zugegebenermaßen meine Lieblingsmehlspeis hier in Österreich, meinen Kaffee trinken, lebhaft und angeregt mit ihr plaudern und alles um mich herum, um uns herum, vergessen. Ich wäre glücklich. Überaus glücklich.
Ich wäre glücklich, aber ich weiß dass dieses Glück eine Sünde ist, einer Todsünde gleichkommt, denn ich bin im katholischen Glauben erzogen worden und eine gute und rechtschaffene Christin.
Sofort wische ich pflichtbewusst alle Gedanken an Marie Christine fort und verbanne ihr schönes Gesicht ganz weit weg. Lächelnd wende ich mich meinem Mann zu, sehe ihn an, führe die Tasse Kaffee an meine Lippen, beiße herzhaft in mein Kipferl und schlage den leichten Plauderton an, den er so an mir schätzt. Wie gesagt, ich bin eine Meisterin darin, mich zu verstellen. Eine wahre Meisterin. Absolut perfekt.
Ich sitze am Frühstückstisch, meinen Mann ansehend, an Marie Christine denkend, von ihr träumend. Vom ersten Brief an, vom ersten Blick an hatte ich mich in sie verliebt. Sie ist in Natura noch viel schöner als diese Miniatur, die sie mir damals zugesandt hat. Ich liebe sie mehr als Joseph, mehr als irgendeinen anderen Menschen auf dieser Welt. Bei ihr bekomme ich weiche Knie, einen flauen Magen, schweißnasse Hände, wenn ich sie nur ansehe oder an sie denke. Ihr blondes Haar, ihr ovales, wunderschönes Gesicht, ihre zarte Figur, ihr schöner Busen. Sie ist so wunderschön, dass mir der Atem wegbleibt, wenn ich sie nur ansehe. Sie erregt mich, anders kann ich es nicht ausdrücken. Es ist einfach so, wie es ist. So und nicht anders.
Doch, halt, was denke ich da, das darf ich nicht denken. Das darf ich nicht denken und nicht wollen! Ich muss mich zusammennehmen! Ich muss eine gute Katholikin sein und eine gute folgsame Ehefrau. So sehr ich das andere auch will, es geht nicht, ich darf es nicht wollen. Ich darf nicht.
Sachte greife ich ihren Brief, der neben meinen Kipferlteller liegt, und lese ihn im Stillen. Wort für Wort. Wie jeden ihrer Briefe, die sie mir fast täglich schreibt. Die Menschen am Wiener Hof sind allesamt rege Briefeschreiber und ich habe mich dieser Sitte sehr bald angepasst. Bei Marie Christine sogar mit Vergnügen. Mit großem Vergnügen, dem allergrößten.
„Mein Bruder Carl hat eine bessere Nacht verbracht als die vorhergehende. Ich werde Einzelheiten später hören, wollte aber nicht versäumen, Ihnen die ersten Nachrichten zu geben, glücklich, wenn ich Sie überzeugen kann, wie sehr ich Sie liebe“, steht da in Marie Christines wunderschöner Handschrift. Sie liebt mich, schießt es mir durch den Kopf und ich unterdrücke nur mit Mühe ein Seufzen. Sie schreibt, dass sie mich liebt.
Fast hätte ich vergessen, dass mein Mann mit mir am Frühstückstisch sitzt und zur mir hinüber schaut, eine Antwort erwartend.
„Ihrem Bruder Carl geht es besser. Er scheint sich von den Blattern zu erholen, jedenfalls schreibt Mimi das“, sage ich zu Joseph und lächle ihn an, Marie Christine vor Augen, wie sie an ihrem Sekretär sitz und an mich schreibt.
„Das ist wundervoll“, sagt Joseph leise und legt die Serviette zur Seite. „Wir haben schon genügend Menschen in diesem Reich an die Blattern verloren. Zumal der arme Carl das zweite Mal mit dieser furchtbaren Krankheit daniederliegt, was mehr als ungewöhnlich anmutet. Es wäre sehr zu wünschen…“, er stockt und sieht mich ein wenig unsicher an, denn ihm scheint in den Sinn zu kommen, dass auch meine Mutter vor nur einem Winter, am Nikolaustag 1759 in Versailles an den Blattern gestorben ist und ich deswegen traurig sein könnte, was ich auch bin. Nachwievor trauere ich um meine liebe Mama und sehne mich nach ihr. Ich war ja damals daheim in Parma, als sie in Versailles bei meinem Großvater an den Blattern erkrankte und sehr schnell starb. Ich konnte deshalb nicht von ihr Abschied nehmen und ihr an ihrem Grab Lebewohl sagen.
Ich schlucke schwer und das Lächeln auf meinem Gesicht erstirbt.
„Es tut mir leid, Teuerste, ich wollte nicht“, sagt er liebevoll, lächelt mich an und greift über den Tisch meine Hand.
Ich lasse es geschehen, Joseph anlächelnd und an Marie Christine denkend. Ihren Brief falte ich feinsäuberlich zusammen und lass ihn in den Ärmel meines Kleides gleiten. Meine Violine ist ein sehr guter Platz für Liebesbriefe, denke ich, Joseph immer noch breit anlächelnd.
Von Mimi träumend, lasse ich es geschehen.
Ich liebe Mimi, ich vergöttere sie, bis zur Raserei werde ich sie lieben.
Wenn ich von ihr träumen kann, ist alles gut. Dann fühle ich mich wohl, bin ich glücklich, einfach nur glücklich. Nur träumen und alles ist gut. Alles ist gut.
Zu mehr fällt mir leider der Mut, denn ich weiß ja es ist eine Sünde, eine Frau zu begehren, sie küssen zu wollen. Sogar das Bett will ich mit ihr teilen. Habe es schon getan mit ihr im Traum und bin danach erschrocken von meiner eigenen Sünd ganz nass vom Schweiß aufgewacht. Eine Todsünde ist es gar und ich will keine Sünde begehen, schon gar keine Todsünde. Ich bin eine gute Katholikin und ich liebe und ehre Gott. Ich bin keine Christina von Schweden, die ein sündhaftes Leben geführt haben soll, wie mir mein Beichtvater in Parma einst anvertraute. Ich will ein solches Leben nicht führen, denn ich weiß nicht, ob die arme Christina jetzt in der Hölle weilt, in der mein Beichtvater sie wähnte.
Daher darf ich Mimi nicht begehren. Ich darf keine Sünde begehen, schon gar keine Todsünde. Ich darf nicht. Niemals. Ich will nicht wie die arme Christina in die Hölle müssen, ich will zu Gott