Wandlerin zwischen den Welten. Bianca Wörter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bianca Wörter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847654605
Скачать книгу
gefunden werden. Sollte mich durch glücklichen Zufall ein einsamer Siedler finden, dann wäre er mit ziemlicher Sicherheit weder jung noch schön. In meinen Tagträumen berücksichtigte ich auch nie, dass es dort wahrscheinlich keine moderne Medizin geben würde und ich durch die Eiseskälte abgestorbene Zehen oder erfrorene Finger mit einem dreckigen Messer amputiert bekommen würde, eher von der Hand eines Metzgers denn eines Arztes geführt. Wenn ich dann den Wundbrand und das Fieber wirklich überleben würde, wäre das erste, was ich sehen würde ein Gesicht, das von einem zottigen Bart umrahmt ist, aus dessen Mund ein Geruch wie Whiskey strömt und der ganze Kerl würde riechen, als ob er sich wochenlang nicht mehr gewaschen hätte. Der Akt der Vereinigung, den ich mir besonders schön und befriedigend vorgestellt hatte, würde nicht mehr romantisch sein, sondern eher eine Vergewaltigung, denn in der Wildnis gelten andere Gesetze. Dann würde sich mein Leben nicht glücklich und zufrieden entwickeln; ich wäre eine Gefangene in der Hütte, als Köchin, Wäscherin und Hure missbraucht.

      'Puh!', seufzte ich. ' Ich muss mit diesen Gedanken echt aufhören.'

      Ich stand auf und betrachtete, während ich langsam die Fußgängerzone entlang bummelte, weiter die diversen Schaufenster. Vielleicht wäre es nicht ganz so schlimm, wie ich mir die Wildnis ausmalte, aber ich blieb bei meiner Meinung, dass ich in freier Natur keine Woche überleben würde, einmal abgesehen von dem ekelhaften Getier das da rumkreucht und -fleucht: Spinnen, Käfer, Würmer in Massen! Also sollte ich doch lieber bei meinen romantischen Gedanken bleiben und sie genießen, anstatt dauernd trübe Gedanken zu blasen - ich würde eh nie in eine vergleichbare Situation kommen!

      Ich ging weiter, sinnierte über meine zwiespältigen Gedanken nach - ich war an diesem Tag wirklich unmöglich in meinen Gedanken! - schaute in die Schaufenster und überlegte, überlegte...

      3. Erste Begegnung

      Durch irgendetwas wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, konnte aber im ersten Moment nicht sagen, durch was.

      Ich spürte es - den viel beschriebenen, aber nie erlebten stechenden Blick, den man zwischen den Schulterblättern verspürt und der sich unangenehm anfühlte.

      Ich wollte mich umdrehen, weil ich zuerst dachte, dass es ein Bekannter war, der mich gesehen hatte und mich begrüßen wollte, aber ich zog es vor zuerst einmal das Schaufenster als Spiegel zu benutzen, damit ich in Ruhe überlegen konnte, wie der Name desjenigen war, und nicht erst in einer peinlichen Pause überlegen musste, wie er hieß - chaotisch, wie ich war, passierte mir das dann und wann. Komisch - ich empfand diesen Blick auf meinen Hinterkopf sofort als männlich.

      Ich versuchte unauffällig das Gesicht, das ich über mir im Schaufenster entdeckte, zu studieren, wurde aber vom Räuspern des Mannes gestört und konnte nicht länger so tun, als ob ich ihn nicht bemerkte, ohne dass es peinlich wurde.

      Ich drehte mich langsam um, mit einem Lächeln auf den Lippen, das schließlich, als ich die Drehung beendet hatte, zu Eis gefror. Ich hatte den Mann noch nie gesehen, aber ich kannte ihn, ich wusste nur nicht woher! Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen ging es ihm genauso.

      Er fasst sich als erster und sagte kurz: "Entschuldigen sie bitte, aber ich glaub, ich habe sie mit jemandem verwechselt."

      Ich lachte unsicher: "Komisch, ich dachte auch im ersten Moment, dass ich sie kennen würde. Ich weiß nur nicht woher."

      'Wieso bin ich so ehrlich zu ihm?', wunderte ich mich.

      Der Mann war nicht bereit, das Ganze als harmloses Versehen abzutun: "Habe ich sie vielleicht schon einmal im Fernsehen gesehen? Ich kann mich wirklich nicht persönlich an sie erinnern, aber vielleicht hatten sie einen kurzen Auftritt in einer Serie?"

      Diese Art von Anmache fand ich wirklich ziemlich plump, aber ich beschloss es locker zu sehen: "Das ist zu viel der Ehre. Nein, das kann nicht sein."

      Wo war auf einmal meine Schlagfertigkeit hin? Sah der Mann zu gut aus? War seine Stimme zu erotisch tief? Verlegenheit machte sich breit und Fußgänger um uns sahen bestimmt schon die Rauchwolken über unseren Köpfen, weil jeder sich Gedanken machte, wie er nun möglichst unspektakulär aus dieser Situation herauskommen konnte.

      Ich fasste als erste den Entschluss, diesen augenblicklichen Zustand nüchtern zu beenden: "Nichts für Ungut. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag."

      Er verabschiedete sich mit einem Lächeln und wir gingen unserer Wege, aber ich ertappte mich dabei, wie ich noch ein paar Mal verstohlen den Kopf nach ihm drehte und weiter grübelte, woher ich diesen Mann kannte. Einmal erwischte ich ihn auch dabei, wie er sich nach mir umdrehte.

      Normalerweise hätte ich das Ganze spätestens nach wenigen Minuten als persönliche Spinnerei meinerseits abgetan, aber da es dem Mann genauso wie mir ergangen war, gelang es mir nicht, meine Gedanken völlig zu ignorieren.

      Ich versuchte mich zu erinnern, aber es gelang mir nicht, den jungen Mann, der etwa in meinem Alter war, irgendwo einzuordnen.

      Ich ging zu einem kleinen Springbrunnen, setzte mich auf den Rand, zündete mir eine Zigarette an und rauchte nachdenklich, bis ich mir fast die Finger am Filter verbrannte. Dann gab ich es auf, weiter darüber nachzudenken. Erfahrungsgemäß kam ich schneller an mein Ziel, wenn ich nicht mehr nachdachte, sondern meine Gedanken anderweitig treiben ließ - sonst würden meine grauen Gehirnzellen einen Kurzschluss erleiden, so sehr konnte ich mich in eine Sache verrennen.

      Ich beschloss, nach Hause zu fahren. Kaum war ich in meiner Wohnung angekommen, hatte ich die merkwürdige Begegnung vergessen. Der frühe Abend ging für mich sehr geruhsam zu Ende und nachdem ich noch ein wenig Musik gehört, ein Glas Wein getrunken hatte, legte ich mich in mein Bett und schlief sofort ein.

      4. Todestraum

      Der Rest der Woche verging wie im Fluge, das Wetter war weiterhin wie im Bilderbuch sonnig und warm und alle Menschen waren fröhlich und schienen nur Gutes im Sinn zu haben. Wehe, das Wetter würde wieder schlechter werden...

      Ich sah dem Wochenende zufrieden entgegen, denn das Wetter schien sich zu halten. Am Freitag lag ich dann faul am Strand des kleinen Baggersees der Stadt, an dem ich mich immer erfrischte. Mein vor mir liegender dreiwöchiger Urlaub versprach Entspannung und Erholung pur! Ich hatte mich gerade gemütlich auf den Bauch gedreht, als ich wieder diesen Blick zwischen den Schulterblättern spürte. Wie elektrisiert fuhr ich auf und hinter mir stand der gleiche Mann, den ich in der Stadt getroffen, aber schon längst vergessen hatte!

      "Alena?" sah er mich fragend an.

      Ich stand erschrocken auf: "Woher wissen sie meinen Namen?"

      In der Stadt hatte ich ihn nicht genannt. Plötzlich durchfuhr mich eine Erinnerung, wie ein Blitz schoss sie durch meinen Körper, ein schmerzhafter Stich kroch in meine Eingeweide und ich sah den Traum, den ich mittags vor wenigen Tagen hatte, vor meinem inneren Auge vorbeiziehen:

      Ich stand alleine in der Küche. Es war ein sehr großer und freundlicher Raum. In der Mitte stand ein Tisch, mehrere Gläser befanden sich darauf, so, als ob sie jemand kurz zuvor benutzt hatte. Die Arbeitsplatte rechts von mir war groß und hell. Weiße Fließen rundeten das Gesamtbild ab. Ich stand mit dem Rücken zum Fenster, die Sonne wärmte mich. Doch sie wärmte nur meinen Körper, denn ich spürte eine eisige Kälte in mir. Verzweiflung! Vor mir saß ein Mann in einem Rollstuhl und sagte mir, dass er mich umbringen würde. Er und ich wussten nicht wieso, aber wir wussten beide, dass es geschehen würde. Es war die Gewissheit, dass es geschehen würde, die die eisige Kälte in mir verursachte. Es war grotesk. Ich hätte versuchen können zu fliehen, denn auch die Tatsache, dass er zwischen mir und der Tür stand, die meine letzte Rettung gewesen wäre, hätte mich nicht mutlos werden lassen sollen. Ich hätte es versuchen sollen, aber ich tat es nicht. Etwas in seinen Augen, die nicht irre aufblitzten, ließen mich dieses Vorhaben gar nicht erst weiter in Gedanken fassen.

      Er sagte einfach: "Alena, komm her."

      Nicht drängend, nicht böse, einfach nur sanft und sachlich. Ich ging langsam zu ihm, kniete vor ihm nieder. Er hielt ein