Broadcast
„The Noise made by the People” (2000)
Dem Quintett aus Birmingham eilten hymnische Kritiken voraus: „Portishead mit Gitarren“, jubelt man in England. Aus ihrem Debütalbum muss man indes vor allem einen Merksatz destillieren: Sakrale Orgel plus Süßmädchenstimme machen noch nicht automatisch das nächste große Ding. Dennoch ist alles an dieser CD natürlich ultrahip: zeitgemäße Grooves mit Gitarrenstreuseln, große Beats und schön verwuselt aufgeschichtete Klangebenen – moderner Rock’n’Dance eben. Selbst das Cover ist auf interessante Art kryptisch karg; nichts bleibt hier dem Zufall überlassen – was Skepsis schürt. Denn wenn alles stimmig scheint, dann stimmt was nicht. Das gilt vor allem für die Songqualität: Die ist nicht mehr als mittelmäßig. Wäre das anders, sie wären wirklich das nächste große Ding.
Buddy & The Huddle
„Take a Ride into the Life of Thomas Alva Edison” (2000)
Wow – als hätten sich Van Dyke Parks, Brian Wilson, Calexico und Tom Waits zusammengetan, um das Leben (und Fantasien über das Leben) von Thomas A. Edison in Klänge zu gießen. Oder als zöge eine New-Orleans-Big Band in ein mexikanisches Kuhdorf, um sich mit den besten Mariachis zu messen. Doch die beiden kreativen Köpfe hinter Buddy & The Huddle kommen nicht aus Übersee, sondern der Oberpfalz, und sie leiden unter keinerlei Scheu vor Instrumentenarmeen. Wenn es denn der Wahrheitsfindung dient, integrieren sie Bläser, Streicher und Hammond, Marimba- und Vibrafon, Akkordeon – und überhaupt so ziemlich alles, was in der Asservatenkammer von Folk, Pop und Jazz vor sich hin dämmert. Dabei entsteht eine unglaublich atmosphärische Musik voller Farben und Düfte, eine klangreiche Hommage an das amerikanische Erfindergenie. Und die Pfälzer betonen sorgsam, dass Edison zwar Starkstrom an Haustieren testete, aber keineswegs den elektrischen Stuhl erfand. Das ist ihnen echt wichtig.
Built To Spill
„Live” (2000)
Als auf dem Studioalbum „Keep it like a Secret“ der Song „Broken Chairs“ nach knapp sieben Minuten vorbei war, kämpften zwei Gefühe miteinander: Euphorie und Frust. Ein so mitreißendes Gitarrenstück hatte es seit Neil Youngs „Like a Hurricane“ nicht gegeben, es hätte nur länger dauern, ach was: Es hätte nie mehr enden dürfen. Was blieb, war der Traum vom Livealbum, von der hemmungslos epischen Länge, vom Rausch ohne Droge. Ein Traum, der nun wahr wird: „Broken Chairs“ dauert volle 19 Minuten …! Die fiebrige Vorfreude aber weicht bald einer Enttäuschung, die sich sehr unterscheidet von jener nach dem Genuss der Studiofassung. Statt sich spiralig in Höhen zu schrauben, wo nichts mehr ist als Saitensturmgetöse und die Transzendenz von Lärm und Melodie, stürzen Doug Martsch und seine Band ab. „Broken Chairs“ kommt nie richtig auf die Beine; der genialische Lärm wird bald zum unfertigen Gedaddel. Das Stück fällt in sich zusammen, weil Martschs Soli die lange Distanz nicht durchhalten – als versuchte sich ein 5000-Meter-Läufer am Marathon. Der Coverversion von Youngs „Cortez the Killer“ (20 Minuten!) geht es etwas besser; aber in der zweiten Hälfte siecht auch sie dahin. Mit den Studioalben haben Built To Spill den Gniedelrock ins 21. Jahrhundert geführt; dieses Livealbum aber klingt, als hätten Neil Young & Crazy Horse an einem verkaterten Tag vergessen, den Gig abzusagen.
Cantina
„Menu” (2000)
Dieses Album klingt, als hätte die Band einen Minderwertigkeitskomplex – etwa weil sie aus dem Popländchen Dänemark kommt? Die Sängerin Gry jedenfalls hat eigentlich genug Reputation (etwa durch ihr Multimediaprojekt mit FM Einheit), um die Band, die gleich mit dem ersten Album beweisen will, dass sie weitgehend alle Chartsstile beherrscht, einzunorden. Tat sie aber nicht. Deshalb klingen Cantina überkandidelt, überambitioniert – wie David, der mit Macht beweisen will, dass er in Wahrheit Goliath ist. Ihr Mainstreampop bedient sich beim Schwung der alten Vaya Con Dios, steppt seitwärts Richtung Baccara, plustert sich an anderer Stelle mit modischen Latinbläsern und lässt auch gerne mal Streicher im Wind flattern, wenn es balladesk werden soll. Zu viel des Guten macht eben am Ende alles schlecht.
Carly Simon
„The Bedroom Tapes” (2000)
Der logische Fehler in „You’re so vain“ – „You probably think/this song is about you“ – verhinderte nicht seine Karriere als Welthit, doch danach glänzte die US-Songwriterin im Wesentlichen nur noch mit einem unglaublich breiten Mund, den viele Jahre später erst Julia Roberts wieder so hinbekam. Ihre aktuellen Beziehungsgeschichten im Songwriterrockstil unterscheiden sich kaum von Simons Alben aus den 70ern: Sie sind eingängig, ein wenig melancholisch und haben einen Hang zum Edlen. Wären sie so bissig wie Carlys biografischer Infotext, uns allen wäre mehr gedient. Dort heißt es über den damaligen Dylan-Manager Albert Grossman: „Er bot mir seinen Körper gegen weltweiten Erfolg. Leider war sein Körper nicht von jener Sorte, für die du dich leichtherzig verkaufst. Mein Album produzierte dann Bob Johnson – und auch der war unglaublich versaut.“ Carlys Autobiografie dürfte eindeutig aufregender sein als dieses Album.
Cashma Hoody
„And the Light within” (2000)
Wahnsinn, was dieser Band für ein Ruf vorauseilt. Nämlich der: „als einzige Band ohne Plattendeal im letzten Jahrtausend die Batschkapp ausverkauft zu haben“. Zitat Ende. Nichthessen wissen wohl nicht, dass die Batschkapp ein mäßig großer Frankfurter Club ist. Noch weniger Leute wissen, was Cashma Hoody ist: eine Frankfurter Band nämlich, was – in Anbetracht der üblichen Mobilisierung aller Freunde und Familienmitglieder – das Ausverkaufen der Batschkapp deutlich relativiert. Ihr lustvoller Reggaerock vermag ein Livepublikum sicher in eine Masse wogender Leiber zu verwandeln, doch auf CD ist das alles blutarm, da tendenziell überproduziert. Außerdem will mir partout kein Argument einfallen, warum ich Reggae aus Frankfurt hören soll. Oder Country aus Kamen. Oder Irish Folk aus Winsen an der Luhe.
Cherry Poppin’ Daddies
„Soul Caddy” (2000)
Die Band aus Oregon gehört im weiteren Sinn zum New-Swing-Revival, das Brian Setzer anführt, doch ihre Mixtur ist rock- und boogielastiger; sie verstehen es besser, einem die uralten Stile im kunterbunten Popkleid unterzujubeln – und oft genug auch in einer löchrigen Rockerlederkluft mit Punkstickern. Nur für kochenden Soul ist Steve Perrys Stimme etwas zu dünn. Manches Stück legt los mit Bläserbreitseiten und verebbt im schmutzigen Schweinerockriff. Und immer trägt Perry dazu seine kniehohen silbernen Schnürstiefel, als wenn Elvis’ Mitt-70er-Glamanzug nicht Ziel- und Endpunkt dieses egomanischen Stils gewesen wäre. So wird der Mann es noch weit bringen.
Coldplay
„Parachutes” (2000)
Am beeindruckendsten sind nicht die Songs, obgleich sie wunderbar sind. Sondern die Gelassenheit, mit der Coldplay sie vortragen. Dabei würden die Lieder mit ihrem epischen Understatement schon ausreichen, diese Band berühmt zu machen. Doch Coldplay hätten sie zerstören können, wären sie so hibbelig, wie man es Newcomern gern verzeiht. Ihre Ruhe aber ist überwältigend. Diese Band glaubt an sich, vielleicht sogar an eine Mission. Sie bringt Größe und Erhabenheit zurück in den Britrock, sie weiß um die unbezwingbare Kraft eines simplen Akustikgitarrenriffs und um die Wirkung eines Songs, der mit geschlossenen Augen gesungen wird. Ein intensives Album. Kein Ton zu viel, keiner zu wenig. Und nicht einer banal.
Cristian Vogel
„Rescate 137” (2000)
Wenn es „Intelligent Techno“ (IT) gibt, muss dann nicht der große Rest des Genres als strohdumm gelten? Logisch. Cristian Vogel aus Brighton findet allerdings auch IT inzwischen öde. Seine schroffen, bewusst hermetischen Alben der letzten