Zu Hause mussten wir Albert erst einmal suchen. Denn wenn er gerade ein Buch las, was er meistens tat, hörte er nicht, wenn wir ihn riefen. Nach einer Weile entdeckten wir seine Hülle in der Speisekammer, wohin er sich zurückgezogen hatte, um ungestört zu lesen. Albert hörte sich das Problem andächtig an, pendelte eine Minute unentschlossen in der Luft hin und her und sagte dann: „Noko ist traumatisiert.“ „Traumati... Was?“, fragte Cangoo gereizt, denn er hatte für Fremdwörter nichts übrig, schon gar nicht, wenn er das gleiche Wort zweimal in einer Woche hörte. „Er hat Depressionen“, erklärte Albert geduldig. Mein Vater erklärte uns, dass jemand, der diese Krankheit hatte, immerzu traurig ist. „Total verrückt“, erwiderte Cangoo gleichgültig, hüpfte mit einem Riesensatz in die Küche, wo er sich eine riesige Pfanne schnappte und zwanzig Fische auf einmal hineinwarf. „Was macht man in so einem Fall?“, fragte ich meinen Vater ratlos. Er zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Zuerst müssen wir herausfinden, warum er so oft traurig ist.“
„Und wenn er das selbst nicht weiß?“
„Vielleicht fühlt er sich einsam, und wir müssen ein zweites Krokodil auftreiben. Ein weibliches“, antwortete mein Vater.
„Noch so eine Heulsuse kommt mir nicht ins Haus!“, rief Cangoo, der mit einem Fischschwanz im Maul aus der Küche gehoppelt kam. „Und erst recht kein Mädchen. Mädchen machen zum Beispiel nur Stress und sind total uncool.“ Watahulu sah ihn unsicher an. „Aber wenn es ihm dabei hilft, weniger traurig zu sein?“ Nach langem Hin und Her kamen wir zu dem Schluss, dass ein Mädchenkrokodil wahrscheinlich nicht die richtige Lösung wäre und wir Noko nur genügend Zeit geben mussten, sich an uns zu gewöhnen. Eines Tages würde er schon merken, dass er uns nicht egal war, dachten wir. „Trotzdem müssen wir herausfinden, warum er immer so traurig ist“, beharrte Watahulu, der mit dieser Lösung nicht einverstanden war. „Am besten fragen wir ihn einfach.“
Fünf weitere Wochen gingen ins Land, bis Noko endlich zugab, dass er seinen Anblick im Spiegel nicht ertragen konnte. Er fand sich schrecklich hässlich und war davon überzeugt, dass ihn niemals jemand lieben könnte, solange er so aussah. „Du bist zwar nicht gerade eine Schönheit, aber so schlimm ist es auch wieder nicht“, sagte Cangoo, der gerade seinen Speiseplan für die nächste Woche erstellte. „Ich will aber schön sein“, antwortete Noko entschlossen und blätterte mit seinen Vorderzähnen die Seite einer Modezeitschrift um. Er deutete mit der Nasenspitze auf eines der Modelle, die beim Lächeln eine Reihe strahlend weißer Zähne zeigte. „Das kannst du vergessen“, sagte Cangoo unbarmherzig und streute etwas Salz und Pfeffer auf seinen achten Fisch. „Ich will so schön sein wie alle anderen“, beharrte Noko trotzig. „Vergiss es“, wiederholte Cangoo. „Wer solche Hauer im Maul hat wie du, kann unmöglich schön sein.“ Noko verzog unglücklich sein Gesicht. Kurz darauf quollen ihm schon wieder zwei dicke Tränen aus den Augen. „Fang zum Beispiel bloß nicht wieder an zu flennen“, sagte Cangoo und warf eine Fischgräte auf den Teppich. „Das nervt echt tierisch.“
„So will ich aber nicht weiterleben“, schluchzte Noko heftig auf. Cangoo warf ihm einen scheelen Seitenblick zu. „Na ja, vielleicht kann man da doch etwas machen“, sagte er schließlich gnädig. In Noko erwachte neue Hoffnung. „Wirklich? Was denn?“ Cangoo zog seine Stirn gedankenvoll in Falten. „Hast du’s schon einmal mit Zahnpasta probiert?“ Noko nickte betrübt. „Hat überhaupt nichts genützt.“
„Zahnseide?“ Wieder nickte Noko niedergeschlagen. „Und mit ´ner elektrischen Zahnbürste?“ „Die gibt’s nicht in meiner Größe“, erwiderte Noko noch bedrückter als vorher. Cangoo schwieg einen Moment lang bedeutungsvoll. „Dann bleibt nur noch eine Möglichkeit“, sagte er schließlich. „Welche?“ „Ist doch logisch“, sagte Cangoo. „Du brauchst eine Zahnspange!“
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