Der 7. Lehrling. Volker Hesse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Volker Hesse
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668992
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      Quentin kam über einen Hügel und konnte deshalb weit in jede Richtung schauen. In der Ferne sah er die ersten Häuser einer größeren Ansiedelung. Es war jetzt bald Mittag. Quentin war klar, dass er es am heutigen Tag nicht mehr bis dorthin schaffen würde. Aber das machte ihm nichts aus. Er hatte noch fünf Streichhölzer und außerdem unterwegs eine Menge Pflaumen gesammelt. Und die Champignons, die er auf einer Wiese gefunden hatte, würden ein leckeres Abendessen geben.

      Mittlerweile wanderte Quentin auf einem breiteren Fahrweg. Von Zeit zu Zeit begegnete er anderen Wanderern, allesamt mit Waren beladen und auf dem Weg zur Stadt. Da Quentin nichts Schweres zu tragen hatte, überholte er die meisten ziemlich schnell. Die Gespräche waren nur kurz und nicht besonders aufschlussreich. Wenigstens hatte er den Namen der Stadt am Horizont herausgefunden: Balsberg.

      Quentin setzte sich am Wegesrand unter einen Baum und blickte auf die Stadt. Während er genüsslich ein paar Pflaumen aß, dachte er nach. In Balsberg würde er bestimmt eine Arbeit finden. Vielleicht kam er sogar in einer Schänke unter, so wie Simon. Dann wäre auch die Essensfrage gelöst. Quentin war schon richtig gespannt! Eine so große Siedlung hatte er noch nie gesehen!

      Nach einer kleinen Weile und mindestens einem Dutzend Pflaumen machte er sich wieder auf den Weg. Auf halber Strecke zur Stadt hatte er eine Baumreihe gesehen, da war sicher ein Bach. Dort würde Quentin sein Nachtlager aufschlagen.

      #

      Den Rückweg zum Haupthaus der Magier musste Korbinian eilig zurücklegen, wenn er noch pünktlich sein wollte. Unterwegs arbeitete sein Gehirn fieberhaft. Er dachte über Adinas Idee nach. Drehte sie hin und her, besah sie von allen Seiten. Prüfte sie auf Fehler, aber er konnte keinen Mangel entdecken. Natürlich würde es unglaublich anstrengend werden. Die wandernden Gesellen mussten außerdem gegen die Tradition verstoßen, derzufolge sie vor Ablauf von drei Jahren und einem Tag nicht nach Filitosa zurückkehren durften. Aber in Anbetracht ihrer Notlage sollte das alles doch trotzdem machbar sein. Außergewöhnliche Situationen erfordern eben manchmal außergewöhnliche Maßnahmen.

      Er überlegte, wie die Versammlung wohl reagieren würde – Begeisterung würde sicher nicht ausbrechen. Er legte sich einen Plan zurecht. Ja, so könnte es gehen, dachte er schließlich bei sich, als er die letzte Treppe zum Convenium hinaufeilte.

      Alle Hexen und Zauberer waren bereits anwesend. Korbinian ließ sich nichts anmerken. Er betrat den Saal so frisch, als wenn er nicht eben noch durch das halbe Dorf geeilt wäre, sondern gerade von einem erbaulichen Spaziergang im Garten zurückkäme.

      Zuerst begrüßte er alle Magier persönlich, dann nahm er auf seinem Stuhl am Kopfende des Tisches Platz. Alle anderen setzten sich ebenfalls.

      „Nun, ehrwürdige Brüder und Schwestern, ich sehe euch ausgeruht und gestärkt vor mir, gewappnet für die Suche nach der Lösung. Lasst uns beginnen.“

      In den folgenden Stunden wurden viele Ideen besprochen, abgewägt, verworfen, verändert, nochmals diskutiert, wieder verworfen. Zwischendurch trugen Lehrlinge einen Mittagsimbiss auf, der aber unbeachtet auf den Seitentischen stehen blieb, so sehr waren die Magier in die Diskussion vertieft. Gegen zwei Uhr nachmittags verordnete Korbinian eine einstündige Pause. Dafür waren die Hexen und Zauberer sehr dankbar: Allen rauchte der Kopf vor lauter Nachdenken und Diskutieren.

      #

      Korbinian eröffnete die Sitzung erneut. Sie waren noch kein Stück weitergekommen. Alle bisherigen Vorschläge waren an irgendetwas gescheitert. Es war langsam an der Zeit, Adinas Idee zu präsentieren. Aber zuerst sollten sie noch ein wenig ihre Köpfe anstrengen! Der Vorschlag, den Korbinian ihnen unterbreiten wollte, hatte erst dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Zauberer und Hexen völlig ratlos waren.

      Was nun kam, war zermürbend. Zauberer um Zauberer, Hexe um Hexe gingen die Ideen aus. Alle Vorschläge hatten irgendeinen Haken. Korbinian achtete sorgsam darauf, dass er nicht zu oft derjenige war, der diesen Haken fand. Er brachte das eine oder andere Argument für und gegen die Entwürfe und ging dabei so geschickt vor, dass an irgendeinem Punkt der Diskussion eine Hexe oder ein Zauberer wie von ganz allein auf die Schwachstelle kam, sich erhob und sagte: „Aber …“. Damit war dann auch diese Idee erledigt.

      Nicht, dass Korbinian dies auch bei guten Vorschlägen gemacht hätte. Wäre wirklich etwas dabei gewesen, was auch nur einigermaßen Erfolg versprechend gewesen wäre, dann hätte er sich dieser Lösung angeschlossen. Aber es kam nichts.

      Als wiederum zwei quälende Stunden ohne Ergebnis vorüber waren und der Nachmittag sich langsam dem Ende neigte, erhob sich Korbinian von seinem Stuhl.

      „Ehrwürdige Brüder und Schwestern. Es ist zu Recht diesem erfahrenen Gremium vorbehalten, die richtigen Wege zu finden und zu bestimmen. Bislang haben wir das auch immer geschafft.“ Zustimmendes, erschöpftes Nicken in der Versammlung.

      „Aber wie ich feststellen muss, sind keine weiteren Vorschläge mehr da, und auch ich bin mit meinen eigenen Ideen längst am Ende angelangt. Wir haben heute zum ersten Mal versagt.“ Die Betroffenheit und das stille Eingeständnis, keine einzige Idee mehr zu haben, waren aus jedem Gesicht deutlich herauszulesen.

      „Aber vielleicht gibt es doch noch eine kleine Hoffnung.“ Müde, zweifelnde Augenpaare wandten sich ihm entgegen, hier und da blitzte ein kleiner Schimmer Zuversicht auf.

      „Als ich heute Morgen durch das Dorf spazierte, traf ich eine erstaunliche junge Hexenschülerin mit einer noch erstaunlicheren Idee.“ Sofort schlug die Stimmung um. Korbinian wollte ihnen offensichtlich schon wieder irgendwelche grünschnäbeligen Pläne auftischen. Das hatte jetzt gerade noch gefehlt! Nicht genug damit, dass er erst vor Kurzem den Wandergesellen einen schier unglaublichen Auftrag verschafft hatte, jetzt kam er sogar mit der Idee einer Schülerin um die Ecke! Korbinian musste den Verstand verloren haben! Mehrere Magier sprangen auf und machten ihrem Unmut mit deutlichen Worten Luft. Die Versammlung drohte aus den Fugen zu geraten.

      Da schlug Korbinian so fest mit der Faust auf den Tisch, dass es laut durch den ganzen Saal krachte. Er donnerte die Versammelten an: „So! Ihr haltet das für Unfug, was? Ihr, die ihr seit Stunden hier sitzt und keine einzige brauchbare Idee präsentieren könnt! Ihr, die ihr in diesem Jahr nur vier von sechs Lehrlingen gefunden habt, obwohl ihr alle wusstet, dass wir sieben brauchen? Ihr, die ihr mit Euren Einfällen genauso wie ich völlig am Ende seid? Ihr besitzt tatsächlich die Überheblichkeit, Euch diesen Vorschlag noch nicht einmal anhören zu wollen? Wenn aus unseren Überlegungen auch nur eine einzige brauchbare Lösung hervorgegangen wäre, glaubt mir, ich hätte nicht einmal im Traum daran gedacht, euch diesen Vorschlag zu unterbreiten. Aber so wie ich die Situation sehe, können wir weder wählerisch sein, noch uns einbilden, immer die einzig guten Lösungen für alles zu haben. Also setzt euch gefälligst wieder hin und hört euch erst einmal an, was ich zu sagen habe!“

      Korbinians Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Diejenigen, die gerade noch laut schimpfend herumgestanden hatten, setzten sich wieder und schwiegen. Eingebildet zu sein, wollte sich keine Hexe und kein Zauberer unterstellen lassen. Und irgendwie hatte Korbinian ja auch recht: Es konnte nicht schaden, sich die Idee anzuhören. Vermutlich war der Vorschlag sowieso nicht besser als das, was sie bisher diskutiert hatten. Er würde genauso scheitern wie alle anderen bisherigen Versuche. Vielleicht sah Korbinian dann endlich ein, dass es Zeitverschwendung war, sich die unausgegorenen Fantasien von jungen Lehrlingen anzuhören.

      #

      Quentin schlief tief und fest. Er hatte einen schönen Lagerplatz an einem Bach gefunden. Eine uralte Trauerweide streckte ihre mächtige Krone zur einen Hälfte über das Wasser und zur anderen Hälfte über das Ufer. Mit ihren lang herabhängenden Ästen hatte sie auf diese Weise einen kreisrunden Platz geschaffen, der gegen Wind, Regen und insbesondere neugierige Blicke gut schützte. Man brauchte das Versteck noch nicht einmal zu verlassen, um frisches Wasser zu holen, schließlich floss der Bach geradewegs an der Weide vorbei. Die Zweige waren so dicht, dass sogar der Schein eines kleinen Feuers von außen kaum zu sehen war, während im Inneren ein sehr behaglicher und warmer Raum entstand. Quentin hatte sich ein Feuer gemacht und seinen kleinen