Kurt Mühle
Zelenka - Trilogie Band 3
Zerstörte Brücken
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Inhaltsverzeichnis
Eine Hochzeit und ein Todesfall
Ein Versprechen wird eingelöst
Bumerang
Nur der letzte Punkt fehlte noch ...
Aber ehe er ihn tippen und damit seinen Text beenden konnte, wurde der Bildschirm schwarz. Genervt verfolgte er den automatischen Neustart seines Notebooks, doch mitten im Aufbau blieb das System hängen. Welche Taste Dieter mit allmählich wachsender Verzweiflung auch betätigte, es rührte sich nichts mehr. Nur der Cursor blinkte auf der schwarzen Scheibe wie der Herzschlag in einem ansonsten leblosen Körper.
Sollte der letzte Abschnitt seiner Aufzeichnungen nun verloren sein? Nein, das durfte nicht passieren! Gerade an diesem Schlussteil hatte er tagelang gearbeitet, unter Seelenqual geeignete Formulierungen gesucht, verworfen, umgestaltet, um seine Mitschuld zu bekennen und seine Reue glaubhaft zu machen. Endlich sollte die Wahrheit ans Licht kommen über das schreckliche Geschehen auf dem verhängnisvollen Klassentreffen vor beinahe fünfzehn Jahren, bei dem Bruno ums Leben kam. Die Polizei hatte die Umstände, die zu seinem Tod in der schmutzigen, düsteren, stillgelegten Eisengießerei führten, nie aufklären können. Alle Beteiligten hatten eisern geschwiegen, eine verschworene Gemeinschaft, die Kommissar Hasenbach keinen konkreten Anhaltspunkt bot. Und so schlummerte die Akte „Bruno“ im Aktenschrank bei den ungeklärten Todesfällen.
Dieter, einst die lebenslustige Ulknudel und der beliebte Klassenclown, trafen in den Jahren nach Brunos Tod harte Schicksalsschläge: Bei einem Autounfall starben seine Eltern; er selbst wurde schwer verletzt, war seitdem querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Aus dem heiteren, quirligen jungen Mann wurde ein stiller, zurückgezogener Melancholiker, der Kontakte mied und seinen Tag mit Lesen, Musikhören und Zigarettenrauchen verbrachte. Immer wieder hatte er versucht, ein Buch - einen Roman - zu schreiben, doch hinderten ihn daran immer häufiger Schreibblockaden, gepaart mit deprimierenden Zweifeln am bisher Geschriebenen.
Bei all dem quoll oft aus seinem Innern die düstere Frage auf, ob sein Schicksal die Strafe einer höheren Macht sei. Mit aller Willenskraft verdrängte er diese Gedanken. Erst im letzten Jahr schien ihm das Vergessen allmählich zu gelingen. Dieter gewann so etwas wie Lebensfreude zurück. Er suchte Kontakte zu alten Freunden, die er zuvor arg vernachlässigt hatte und mit denen er von nun an manch erbauliche Stunden verbrachte. Selbst sein alter Klassenkamerad Bastian besuchte ihn einige Male, auch wenn der ihm offenbar nur einen neuen Computer verkaufen wollte.
Doch sein Schicksal konnte er nicht besiegen. Bei einer Routineuntersuchung erhielt er eine niederschmetternde Diagnose: Lungenkrebs.
Eine psychologische Betreuung wurde ihm angeboten. Tage später lehnte er sie ab. Stattdessen überlegte er, ein Gespräch mit einem Priester zu suchen; er war sicher, zum Büßen seiner Schuld verurteilt zu sein. Doch zur Kirche hatte er keinerlei Kontakt. Er kannte nicht mal den Namen eines Pfarrers. So kam ihm der Gedanke, seine ehemalige Klassenkameradin Marion einzuladen. Von ihr wusste er, dass sie inzwischen Kripo-Beamtin war. In einem persönlichen Gespräch wollte er die ganze alte Geschichte erzählen, reinen Tisch machen ohne Rücksicht auf all die anderen von damals.
Er schrieb ihr einen Brief, lud sie ein in ein Lokal in seiner Nähe, das er mit dem Rollstuhl bequem erreichen konnte. Ein privates Treffen sollte es werden, gab er an; seinen wahren Grund erwähnte er nicht, - aus Furcht, nicht Marion, sondern der seinerzeit ermittelnde Beamte Hasenbach könnte zuständigkeitshalber zu dem Treffen erscheinen.
Wieder folgte eine Enttäuschung. Marion rief ihn an und machte ihm mit drastischen Worten klar, dass sie keinen Kontakt zu ihm wünsche. Die ganze Klassenklicke sei für sie gestorben. Das Telefonat beendete sie mit den harschen Worten: „Und stell’ jetzt bloß nicht die dämliche Frage nach dem Warum!“
Als sich Dieters depressive Stimmung in den nächsten Tagen etwas legte, beschloss er, das damalige Geschehen in der Gießerei niederzuschreiben. „Bruno“ tippte er als Überschrift in die Tastatur seines Notebooks. Die ersten Sätze fielen ihm unheimlich schwer, doch nach und nach gelang ihm der Text flüssiger, und zugleich spürte er innerlich die Erleichterung einer Lebensbeichte.
Einige Tage schrieb, feilte und korrigierte er an dem Text, den er - wie es sein soll - nach jedem größeren Absatz abspeicherte und zudem auf einer CD sicherte; denn sein Notebook neigte in letzter Zeit öfter mal zu Abstürzen.
Doch nun der totale Crash! Und das letzte Kapitel war noch nicht gesichert ...
„Die Götter weisen selbst meine Reue ab“, murmelte er und ließ schwer atmend den Kopf hängen. Als ein paar Tage später Bastian anrief, um sich mit ihm zu verabreden, da man voneinander lange nichts gehört habe, bat er ihn, zu versuchen, sein Notebook zu reparieren und möglichst die Daten zu retten. Bastian arbeitete im Vertrieb eines Computerhandels.
„Hört sich nach defekter Festplatte an“, meinte er, klemmte sich das Gerät unter den Arm und versprach, sein Möglichstes zu tun. -
Wirtschaftlich ging es Dieter recht gut. Einiges Vermögen hatte er von seinen Eltern geerbt, seine Rente betrachtete er als ein angenehmes Zubrot, das es ihm ermöglichte, sich eine Haushälterin zu