Spuren im Nebel. Gabriele Schillinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Schillinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750227132
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dieser Alltag nicht besonders aufregend war.

      Es war soweit, Sue ging stolz in ihrer Jeans zu der neuen Therapeutin. Frank wusste von beiden nichts, denn zum Glück musste er länger arbeiten. Ansonsten hätte es vielleicht wieder Diskussionen gegeben. Ihr Ehemann war einer dieser Sorte, der nur zufrieden war, wenn die Frau sich nach seinen Wünschen richtete.

      Die Therapeutin war gleich von Beginn an sympathisch. Sie schien recht natürlich und einfühlsam zu sein. Sue erzählte von ihrem Autounfall und dem Koma. Sie berichtete von dem Gedächtnisverlust und ihrem fremden Ehemann, für den sie so überhaupt nichts Positives empfand. Die Therapeutin riet ihr, offen mit Frank darüber zu sprechen. Es war wichtig, ihm zu sagen, wie sie sich fühlte. Er selbst hatte es sicherlich auch nicht leicht, mit der Situation umzugehen. Wenn er über Sues Gefühle Bescheid wüsste, dann gäbe sie ihm die Möglichkeit, besser auf sie einzugehen. Unter Umständen bekam sie dann auch mehr hilfreiche Antworten auf ihre Fragen.

      Aus der ersten Therapiestunde wurden spontan zwei, denn Sue sprach wie aufgezogen. All das, was sie bislang unterdrückte und nur mit sich selbst ausmachte, brach auf einmal heraus. Sue dachte bei der Heimfahrt noch über den Vorschlag nach, mit Frank mehr über ihre Gefühle zu sprechen. Vielleicht sollte sie einmal darüber schlafen. Sie würde erst am nächsten Tag entscheiden, ob sie Frank so viel anvertrauen wollte.

      Zu Hause angekommen überraschte es sie, dass ihr Mann doch früher als gedacht von der Arbeit zurück war. Er hing schon wieder am Telefon und wie immer ging er gleich in ein anderes Zimmer, damit Sue nicht mithören konnte. Er meinte, dass er bei geschäftlichen Telefonaten absolute Ruhe benötigte. Im Prinzip war es ihr sowieso egal, mit wem er sprach. Sie hatte genug mit sich selbst zu tun. Als er das Gespräch beendete, erfuhr Sue von seinen Plänen. Frank hatte auswärts an einem Projekt zu arbeiten und würde deswegen für eine Woche verreisen. Was arbeitete er eigentlich? Sue fragte nach, aber ihr Ehemann winkte erneut ab und meinte, dass er sie nicht mit Unnötigem belasten wollte. Zudem könne er seinen Beruf nicht in kurzen Worten erklären. Komisch, warum machte er aus seinem Beruf so ein Geheimnis, ein paar Informationen hätten ihr vielleicht beim Erinnern geholfen. Frank war schon ein eigenartiger Mann. Sein dominantes Verhalten machte ihn nicht wirklich beliebter, sondern drängte ihn noch weiter vom Herzen seiner Frau weg. Seine ständigen Entscheidungen, was für sie gut war und was nicht, nervten. Irgendwie passten sie überhaupt nicht zusammen.

      Sue richtete sich etwas zum Essen her, danach setzte sie sich vor den Fernseher. Wenn Frank nichts von sich preisgab, dann wollte sie auch nicht mehr mit ihm reden. Irgendwann schlief sie ein und als sie erwachte, war ihr Ehemann bereits abgereist. Der Himmel erhellte sich und ein paar Vögel zwitscherten im Garten. Sue zog sich den Morgenmantel über, öffnete die Türe zum Garten und ging hinaus. Die Luft roch nach Freiheit. Eine ganze Woche konnte sie machen wozu sie Lust hatte. Aber wozu hatte sie denn Lust?

      Im Haus gegenüber stand eine Frau und winkte freundlich. Sue dachte sofort darüber nach, ob sie die Nachbarin vielleicht kannte? Die Frau kam näher und grüßte erneut. Sie hieß Sue in der Nachbarschaft Willkommen. Ah, war die Frau erst eingezogen?

      Wie sich jedoch herausstellte, wohnte sie bereits seit vielen Jahren in dieser Straße und Sue war die neue Nachbarin. Jetzt war sie verwirrt. Frank hatte nie erwähnt, dass sie erst kürzlich hergezogen waren. Er ließ sie im Glauben, schon vor längerer Zeit in diesem Haus zu wohnen. Wo waren sie vorher, noch bevor der Unfall passierte?

      Die Nachbarin lud spontan zu einer Tasse Kaffee ein. Sue war begeistert, eine Tasse Kaffee! Sie nahm die Einladung gerne an, ging ins Haus zurück, zog sich was Anständiges über und machte sich auf den Weg zum gegenüberliegenden Haus. Die Nachbarin stellte sich als Ann vor und da sie es vorzog, mit einem freundschaftlichen Du zu reden, tat es ihr Sue gleich.

      Die Beiden verstanden sich auf Anhieb. Ann war Schriftstellerin, deswegen arbeitete sie vorwiegen von zu Hause aus. Sie lebte zudem alleine in dem großen Haus, deswegen freute sie sich über ein wenig Gesellschaft. Das Haus war vorwiegend aus Holz gebaut, strahlte daher eine wunderbare Wärme ab. Anns Garten war nicht so kahl rasiert wie bei Sue, sondern naturbelassener, aber nicht chaotisch, sondern richtig romantisch mit Blumen, welche auch noch in der kühleren Zeit Bienen anlockten. Der Gehweg war ein einzigartiges Mosaik und schlängelte sich um den Gemüsegarten. Mittendrinn war eine alte Schaukel für zwei Personen, rechts und links Laternen, die abends brannten. Sue konnte gar nicht genug bekommen. Augen und Nase waren hell wach und sogen all die schönen Eindrücke ein. Die Frauen beschossen jedoch den Kaffee drinnen zu trinken, denn es zog ein frischer Wind auf.

      Im Haus, mit Blick in den Garten, erzählte Sue dann ihre Geschichte. Es fiel ihr überraschend leicht zu reden. Ann war eine gute Zuhörerin, sie schaute kein einziges Mal uninteressiert aus, oder unterbrach Sues Redefluss.

      Ihre neue Freundin wunderte sich, dass Frank nichts von ihrem erst kürzlichen Einzug erzählte. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, weshalb Sue hier alles so fremd vorkam und keine Erinnerung hochkommen wollte.

      Sie schlug vor, einmal ins Internet zu schauen, vielleicht könnten sie Spuren von Sues Vergangenheit finden. Ach ja. Internet gab es ja auch in dieser Welt.

      Beide saßen mit großen Augen vor dem Laptop und suchten nach Sues Namen, aber es wollte sich kein Eintrag finden. Ann fragte nach Sues Mädchennamen, aber den wusste sie natürlich nicht. Sie versuchte Frank anzurufen, er müsste ihn doch wissen, aber es ging niemand ans Telefon. Die Frauen gingen ins andere Haus, um in Sues Habseligkeiten nachzusehen, ob sich ein Dokument finden ließ. Die Sachen waren schnell durchgesehen, denn eigentlich besaß sie nur Kleidung, ein paar Bücher und Schuhe. Aber sie musste doch eine Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, oder einen Pass haben. Es war nichts zu finden, auch nicht im Wohnzimmer und Franks Arbeitsraum war wie immer versperrt. Dort konnten sie leider nicht nachschauen. Weshalb machte es ihr Frank so schwer, sich an Vergangenes zu erinnern? Was wenn etwas passierte, sie ihre Dokumente brauchte und er war wie gerade eben nicht erreichbar?

      Die Beiden saßen am Boden, rundum aktuelle Rechnungen und Belege, die absolut keinen Hinweis auf die Vergangenheit gaben. Auch jetzt war kein einziges Foto zu finden, nicht einmal von der Hochzeit. In dieser extremen Ordnung war absolut nichts Gefühlsbetontes zu sehen, jedoch das Durchsuchen ging schnell.

      Ratlos sahen sie sich an. Ann sprang plötzlich auf und meinte, sie sollten noch einmal ins Internet schauen, ob etwas vom Autounfall zu finden wäre. Die Journalisten bauten meist unwichtiges in die Nachrichten hinein. Genau dieses Unwichtige könnte eine interessante Information für Sue sein. Sie gingen erneut in Anns Haus zurück, aber auch diesmal konnten sie nichts finden. Es war, als hätte es nie einen Autounfall in der Gegend gegeben. Der Ort wurde in den letzten Jahren kein einziges Mal in den Medien erwähnt.

      Die Zeit verging und Ann musste noch an ihrem Buch weiterschreiben. In einem Monat hatte sie Abgabetermin und den wollte sie nicht versäumen. Also verabschiedeten sich die Frauen, versprachen aber den Kaffeetratsch bald zu wiederholen.

      Ann war die erste Person, welche aktiv versuchte, etwas über Sue herauszufinden. Es tat gut, nicht immer alleine grübeln zu müssen.

      Sue dachte nach, was konnte sie mit dem angebrochenen Tag anfangen? Frank hatte ihr doch eine Kreditkarte dagelassen, also konnte sie auch damit einkaufen gehen. Kurz darauf saß sie im Bus in die Stadt und kaufte sich einen Laptop mit Internetzugang. Sie fühlte sich lebendig, wie schon lange nicht mehr. Mit Anns Zuversicht, etwas zu finden, wuchs ihr eigener Tatendrang.

      Was konnte ihr Besseres passieren? Frank war weg und Ann trat in ihr Leben. Eine gute Nachbarin, die sich jetzt schon wie eine Freundin anfühlte.

      Auf der Heimfahrt dachte Sue nach, weshalb sie eigentlich immer mit dem Bus unterwegs war. Wenn sie einen Autounfall hatte, dann müsste doch Autofahren kein Problem sein.

      Zu Hause angekommen schaute sie gleich in die Garage, aber Auto fand sie keines darin. Frank war mit dem seinen unterwegs, aber wo war ihr Auto hingekommen? Ach ja, der Unfall. Bestimmt war es ganz kaputt. Also musste auch ein fahrbarer Untersatz her. Gleich Morgen wollte sich Sue darum kümmern, denn am Geld sollte es nicht mangeln. Frank schien genug zu verdienen, was auch immer er arbeiten mochte.

      Den restlichen Tag beschäftigte sie sich mit