Die Dorfbewohner wagten nicht, in dieser Nacht Feuer in den Feldern anzuzünden; so hielten Hathi und seine drei Söhne Nachlese, und wo Hathi Nachlese hält, ist kein Halm mehr zu finden. Die Menschen beschlossen, bis zur Regenzeit von dem lagernden Saatkorn zu leben und dann als Tagelöhner Arbeit zu suchen, um den Verlust des Jahres einzubringen.
Der Kornhändler überlegte noch, welche Preise er für seine wohlgefüllten Saatkörbe erzielen könnte, als Hathi bereits mit seinen mächtigen Stößern die Lehmmauern des Vorratshauses umlegte und die Körbe mit der kostbaren Saat zertrat.
Nachdem man diesen letzten Verlust entdeckt hatte, war es an dem Brahmanen, sich zu äußern. Er hatte zu seinen Göttern gefleht, ohne Erhörung zu finden. Möglich wäre es, meinte er nun, daß das Dorf unwissentlich einen der Götter der Dschungel beleidigt habe, denn zweifellos wäre die Dschungel gegen sie.
Da schickten die Dörfler Boten zu dem Führer des nächsten Stammes der wandernden Gonds; es sind kleine weise und sehr dunkelfarbige Jäger, die tief in der Dschungel hausen; sie gehören zu der ältesten Rasse Indiens, und ihre Vorfahren waren die ursprünglichen Beherrscher des Landes. Als der Führer der Gonds eintraf, bewirtete man ihn mit dem, was man noch besaß. Der Gond stand auf einem Bein, seinen Bogen in der Hand, zwei bis drei vergiftete Pfeile durch seinen Haarbüschel gesteckt und blickte halb ängstlich, halb verächtlich auf die trauernden Dorfleute und ihre verwüsteten Felder. Wissen wollten sie von ihm, ob seine Götter – die alten Götter – ihnen zürnten, und welche Opfer man ihnen darbringen müßte.
Der Gond aber schwieg, hob eine Ranke der Karela auf, der Schlingpflanze, die den wilden bitteren Kürbis trägt, und flocht sie hin und her über das Tempeltor, dem starrenden, roten Hindubildnis gerade gegenüber. Darauf stieß er mit der Hand in die Luft, in Richtung der Straße nach Kanhiwara, und wanderte dann heim nach seiner Dschungel.
Die Dorfbewohner brauchten nicht nach der Deutung zu fragen: Der wilde Kürbis würde wuchern dort, wo sie zu ihren Göttern gebetet hatten, und je eher sie flüchteten, desto besser für sie.
Aber es ist schwer, sich von seiner Heimat und seiner Scholle zu trennen. Sie zögerten, solange sie noch etwas Nahrung fanden; sie versuchten, Nüsse in der Dschungel zu sammeln, aber Schatten mit glühenden Augen verfolgten sie und zeigten sich selbst am hellen Mittag auf ihrem Wege. Und wenn sie dann verängstigt zurückflohen zu ihren schützenden Mauern, dann fanden sie die Rinde der Baumstämme, an denen sie vor kaum fünf Minuten vorbeigekommen waren, zerkratzt und gemeißelt vom Schlage irgendeiner großen, bekrallten Pranke. Je mehr sie sich in ihren Mauern hielten, um so dreister wurden die wilden Tiere, die auf den Weidegründen spielten und brüllen, dort am Waingungafluß.
Die Menschen fanden nicht mehr den Mut, die Hinterwände der leeren Kuhställe auszuflicken, die nach der Dschungel zu lagen. Die Wildschweine trampelten sie nieder, und die knotenwurzeligen Schlingpflanzen drängten nach und streckten ihre Fühler aus über den neugewonnenen Grund, während hinter ihnen das harte Gras hochschoß.
Zuerst flohen die ledigen Männer und verbreiteten die Kunde, daß ein Fluch auf dem Dorfe läge. Wer könnte kämpfen, sagten sie, gegen die Dschungel oder gegen die Götter der Dschungel, denn selbst die Dorfkobra habe ihre Höhle unter dem Fuß des Feigenbaums verlassen. So schrumpfte der kleine Handel mit der Außenwelt immer mehr zusammen, und die Pfade, die über die Lichtung führten, verwischten sich und wuchsen zu. Die nächtlichen Trompetenschreie Hathis und seiner drei Söhne beunruhigten die im Dorf nicht mehr, denn sie hatten nichts mehr zu verlieren. Alle Saaten waren verschwunden, schon verloren die Umrisse der Felder ihre Gestalt. Zeit war es jetzt, sich der Barmherzigkeit der Engländer in Kanhiwara anzuvertrauen.
Nach Art der Eingeborenen verschoben sie den Abzug von Tag zu Tag, bis die ersten Regen sie überraschten und die Fluten durch die durchlöcherten Dächer strömten. Bald waren die Weidegründe fußhoch überschwemmt, und nach der langen Sommerhitze schoß plötzlich überall das Grün hervor. Nun wateten sie fort – Männer, Frauen und Kinder – durch die grauen Schleier des heißen Morgenregens und wandten sich noch einmal um zu einem letzten Abschiedsblick auf ihre Heimat.
Als die letzte Familie schwerbeladen durch das Tor schlich, hörten sie das Krachen von stürzenden Balken und Strohdächern hinter den Mauern. Sie sahen einen schwarzen, schlangenartigen Rüssel für Augenblicke auftauchen und fauliges Dachstroh umherschleudern. Dann verschwand er, und abermals ertönte ein Krachen, gefolgt von einem ärgerlichen Quarren. Hathi pflückte die Dächer der Hütten ab, wie man Wasserlilien pflückt, und dabei hatte ihn ein zurückschnellender Balken empfindlich getroffen. Das hatte nur noch gefehlt, um seine volle Wut zu entfesseln, und von allen Geschöpfen in der Dschungel ist der Elefant im Wutrausch der wollüstigste Zerstörer. Jetzt trampelte Hathi rückwärts gegen eine Lehmwand, die unter seinem Stoß zerbröckelte und in gelblichem Schmutz zerfloß. Dann schwenkte er um und fegte, hell trompetend, durch die engen Straßen, rechts und links gegen die Hütten wuchtend, die Türen zersplitternd und die Dachrinnen zerknitternd; und seine drei Söhne wüteten hinter ihm, wie sie gewütet hatten bei der Verwüstung der Felder von Bhurtpore.
»Die Dschungel wird diese Reste verschlingen«, sprach eine ruhige Stimme inmitten der Vernichtung. »Die Außenmauern muß man umlegen!« Und Mogli, von dessen nackten Schultern der Regen tropfte, sprang von einer Hauswand hinweg, die eben hinsank wie ein müder Büffel.
»Alles zu seiner Zeit«, keuchte Hathi. »Ah! Aber rot waren meine Stößer in Bhurtpore. An die Außenmauern, Söhne! Jetzt zu–gleich!«
Seite an Seite stießen die vier; die Außenmauer bog sich, barst und fiel. Die Dorfbewohner, stumpf vor Entsetzen, sahen die furchtbar dräuenden Schädel der Zerstörer lehmbedeckt aus der Bresche ragen. Da flohen sie, arm und heimatlos, in das Tal hinab; und ihr Dorf, zerstückt, zerfetzt, zerstampft, versank hinter ihnen.
Einen Monat danach war der Ort, wo das Dorf gestanden hatte, ein flacher Hügel, bedeckt mit jungem grünem Gras; und zu Ende der Regenzeit herrschte schrankenlos die rauschende brausende Dschungel dort, wo vor kaum sechs Monden noch Menschen pflügten und ernteten.
Moglis Gesang wider die Menschen
Ich laß los gegen euch die flinkfüßigen Ranken,
Es bersten die Dächer!
Die Pfosten zu Falle!
Und Karela, die bittre Karela,
Begrabe sie alle!
Meines Volkes Gesang euren Ratplatz durchschalle,
Die Fledermaus niste in Scheune und Halle;
Am erloschenen Herdstein
Halte, Schlange, die Hut,
Karela soll fruchten,
Wo zur Nacht ihr geruht!
Meine Streiter nicht seht ihr, ihr hört nur voll Graus,
Zur Nacht, eh' der Mond steigt, da send' ich sie aus,
Der Wolf sei euch Hirte,
Die Herde zerstiebt!
Karela wird samen,
Da, wo ihr geliebt!
Eure Felder beernte das Heer meiner Schnitter,
Nachles' mögt ihr halten um Hähnchen und Splitter!
Pflugstier sei das Rotwild
Und pflüge das Feld!
Es laube Karela,
Wo die Saat ihr bestellt!
Ich ließ los gegen euch die vielfüßigen Ranken,
Euch zu tilgen, entband ich die Dschungel der Schranken: